Zwei Tage nach dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad ist die Lage im Land weiter unübersichtlich. Kontrolliert wird das Land derzeit von islamistischen Milizen. Doch wie geht es dort weiter? Beruhigt sich die Lage oder droht eine Eskalation? Florian Barth ist freier Journalist und berichtet aus Damaskus.
WDR: Sie sind gestern kurzfristig nach Damaskus gefahren. Wie ist es derzeit in der Stadt?
Florian Barth: Die Straßen sind ziemlich leer. Heute Nacht hat es sehr viele israelische Luftangriffe auf die Stadt gegeben, in meinem Hotel haben die Wände gewackelt. Eine Kollegin meinte, es habe über hundert Einschläge gegeben. Damaskus steht also unter starkem Bombardement durch die Israelis. Aber die Menschen sind dennoch sehr glücklich darüber, dass das Assad-Regime gefallen ist. Sie können es auch Tage danach kaum glauben. Viele sagen, dass sie immer noch am Telefon flüstern, wenn sie über Assad sprechen.
WDR: Ist eine gewissen öffentliche Ordnung zu spüren? Oder herrscht doch eher Chaos?
Barth: Es gibt ein Machtvakuum, das ist spürbar. Auf meiner Fahrt von der libanesischen Grenze nach Damaskus waren alle Checkpoints des Assad-Regimes verlassen, da standen ausgebrannte Panzer, aber es gab keine Kontrollen. Das war sehr beeindruckend. Vereinzelt trafen wir auf bewaffnete Männer, die wie Milizen wirkten. Die hielten uns aber nicht an, sondern riefen und jubelten, dass man nun zurückkehren könne.
Wegen der Plünderungen gibt es eine Ausgangssperre von 17 Uhr bis 4 Uhr morgens, und das ist schon ziemlich gespenstisch. Gestern Nachmittag gab es lange Schlangen vor den Bäckereien, die Menschen haben noch schnell versucht, Brot zu kaufen. Um 17 Uhr sind dann alle schnell nach Hause geeilt, weil nicht klar ist, wie die Milizen reagieren, wenn sie jemanden auf der Straße antreffen.
WDR: Assad hat sehr viele Menschen in Folterkeller und Gefängnisse stecken lassen. Wie ist da die aktuelle Lage?
Barth: Jeder in der Stadt spricht darüber, alle leiden mit den Menschen mit, die noch in diesen Folterkellern eingesperrt sind. Wir sind gestern durch die Stadt gefahren, und an einer Stelle meinte der Fahrer: "Unter uns befindet sich das größte Foltergefängnis der Stadt." Eine Kollegin meinte, dass heute Nacht offenbar aufgehört wurde, die Keller zu öffnen, weil kein Weg dorthin zu finden sei. Diese Information konnte ich allerdings noch nicht verifizieren.
Aber Fakt ist, dass das ein großes Thema hier ist. Die Menschen hoffen darauf, dass die Gefängnisse geöffnet werden, aber sie erwarten auch mit Schrecken, welche Geschichten sie dann hören. Viele haben keine Vorstellung davon, was dort passiert ist. Denn auch darüber durfte man unter Assad nicht sprechen, man durfte diese Orte noch nicht einmal als Gefängnisse benennen.
WDR: Wir hoffen so sehr, dass unser Land zusammenfindet in seiner Verschiedenheit - diese Aussage hört man aus Syrien derzeit immer wieder. Ist die Hoffnung berechtigt?
Barth: Natürlich. Die Leute sind zwar einerseits skeptisch, weil man noch nicht einschätzen kann, wie die islamistischen Rebellen in Zukunft handeln. Aber andererseits ist auch eine große Hoffnung vorhanden, dass man sich - um es einfach zu sagen - zusammenrauft und die Lage nicht wieder eskaliert. Das haben mir eben Menschen beim Kaffee erzählt. Niemand geht derzeit aufeinander los, es gibt keine blutigen Straßenkämpfe in Damaskus. Und alle Menschen in Syrien hoffen, dass es so bleibt.
Das Interview mit Florian Barth fand am 10.12.2024 im Rahmen des "Morgenechos" auf WDR 5 statt. Zur besseren Lesbarkeit haben wir den Text gekürzt und angepasst, ohne den Sinn und die Aussagen zu verändern.