Keine Mehrheit im Bundestag für neuen Umgang mit Sterbehilfe

Stand: 06.07.2023, 16:11 Uhr

Der Bundestag hat am Donnerstag über zwei Gesetzentwürfe zur Beihilfe zum Suizid abgestimmt - beide fielen durch. Welche Formen der Sterbehilfe sind aktuell erlaubt oder verboten? Ein Überblick.

Von Jörn Seidel

Es gibt Menschen wie Harald Mayer, die so schwer krank sind, dass sie für sich "ein Recht auf ein würdevolles und selbstbestimmtes Sterben" fordern. So formuliert er es in seinem Internetblog. Er leidet an Multipler Sklerose, kann nur noch seinen Kopf bewegen. Für den Fall, dass er sein Leben nicht mehr erträgt, möchte er sich würdevoll selbst das Leben nehmen. Doch dafür ist er auf Sterbehilfe, auf Beihilfe zum Suizid, angewiesen. Am Donnerstag hat der Bundestag über zwei Gesetzentwürfe zum Thema abgestimmt. Keiner der Vorschläge fand eine Mehrheit.

Wie ist die bisherige Rechtslage zu Sterbehilfe in Deutschland?

Es gibt unterschiedliche Formen von Sterbehilfe. Ein Überblick:

Aktive Sterbehilfe ist verboten. Der Paragraf 216 im Strafgesetzbuch zu "Tötung auf Verlangen" bleibt von den jetzigen Abstimmungen im Bundestag unberührt. Demnach ist es strafbar, einen anderen zu töten, selbst wenn dieser das "ausdrückliche und ernstliche Verlangen" dazu hat. Eine Ärztin darf ihrem Patienten also nicht bewusst ein tödliches Medikament verabreichen.

Medikamentenreichung

Bei der Beihilfe zum Suizid nimmt man das tödliche Medikament selbst zu sich.

Beihilfe zum Suizid ist straffrei. Unter der Beihilfe zur Selbsttötung bzw. zum Suizid versteht man, dass ein Suizidhelfer alles Erforderliche - also auch ein tödliches Medikament - bereitstellt, damit sich ein Mensch selbst töten kann. Zu dieser Form der Sterbebilfe gehörte auch die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung", die mit Paragraf 217 des Strafgesetzbuches vorübergehend verboten war, bis das Bundesverfassungsgericht die Regelung 2020 gekippt hat.

Passive Sterbehilfe ist erlaubt. Darunter versteht man lebenserhaltende Maßnahmen, die gar nicht erst begonnen oder abgebrochen werden, zum Beispiel eine künstliche Beatmung oder Ernährung.

Indirekte Sterbehilfe ist erlaubt. Dabei geht es eigentlich um Therapien am Lebensende. Gemeint sind palliative Maßnahmen wie die Verabreichung starker Schmerzmittel, die das Leid der Sterbenden lindern sollen. Gleichzeitig kann dieses Medikament aber auch das Leben verkürzen.

Über welche beiden Gesetzesentwürfe hat der Bundestag abgestimmt?

Gesetzentwurf 1: Begrenzte Strafbarkeit. Der Vorschlag der Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci hat im Grundsatz an einer Strafbarkeit der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" festgehalten. "Geschäftsmäßig" hat dabei nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet: auf Wiederholung angelegt.

Lars Castellucci hält eine Rede im Bundestag

Lars Castellucci (SPD)

Verstöße sollten mit Haft- oder Geldstrafen geahndet werden können. Nicht rechtswidrig sollte die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe dann sein, wenn der suizidwillige Mensch "volljährig und einsichtsfähig" ist, sich mindestens zwei Mal von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder einem Psychotherapeuten hat untersuchen lassen und mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat.

Außerdem war eine Wartezeit von mindestens drei Monaten zwischen den beiden Untersuchungsterminen vorgesehen und von zwei Wochen bis zwei Monaten zur Selbsttötung. Bei Menschen mit besonders hohem Leidensdruck sollte ein Untersuchungstermin reichen. Der Entwurf fand keine Mehrheit.

Gesetzentwurf 2: Generelle Straffreiheit. Der Vorschlag der Gruppe um Kathrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) sah weniger Einschränkungen vor und wollte die Beihilfe zum Suizid grundsätzlich aus dem Strafrecht herausnehmen. Die Regelung sollte die individuellen Motive für den Sterbewunsch nicht bewerten, sondern lediglich "Leitplanken" für den Weg eines erwachsenen und einsichtsfähigen Menschen zur Selbsttötung aufstellen.

Renate Künast spricht über Regelungen zur Sterbehilfe

Von links: Renate Künast (Grüne) und Kathrin Helling-Plahr (FDP)

Trotzdem waren Beratung und Wartezeiten vorgesehen - allerdings weniger strikt als beim anderen Vorschlag. Voraussetzung für die Verschreibung von Medikamenten zur Selbsttötung sollte in der Regel eine Beratung bei einer fachlich qualifizierten Stelle sein, in der auch Alternativen zur Selbsttötung angesprochen werden. Die Verschreibung sollte dann frühestens drei Wochen nach der Beratung - und maximal zwölf Wochen danach - möglich sein.

In Härtefällen sollte ein Arzt die Mittel nach eigenem Ermessen auch ohne Beratung verschreiben können. Ein solcher Härtefall sollte dann vorliegen, wenn sich jemand "in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen" befindet. Der Entwurf fand keine Mehrheit.

Welche Regelungen zur Sterbehilfe gelten in anderen Ländern?

Die Beihilfe zum Suizid ist mittlerweile in mehreren europäischen Ländern erlaubt. Zum Teil ist sogar die aktive Sterbehilfe erlaubt, also die Tötung durch einen anderen. Eine Auswahl:

  • Schweiz: Beihilfe zum Suizid erlaubt
  • Österreich: Beihilfe zum Suizid erlaubt
  • Niederlande: Beihilfe zum Suizid und aktive Sterbehilfe erlaubt
  • Belgien: Beihilfe zum Suizid und aktive Sterbehilfe erlaubt
  • Luxemburg: Beihilfe zum Suizid und aktive Sterbehilfe erlaubt
  • Spanien: Beihilfe zum Suizid und aktive Sterbehilfe erlaubt
  • Portugal: Beihilfe zum Suizid und aktive Sterbehilfe erlaubt

Welche Kritik gab es an den geplanten Regelungen zur Sterbehilfe?

Es gab viele Kritikpunkte. Generell warnen Ärztevertreter und Fachverbände vor einer zu weitgehenden Liberalisierung der Sterbehilfe. Es sei bedenklich, wenn "die Selbsttötung sozusagen zu einer Art regelhaftem Sterben wird", sagte etwa der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, am Donnerstagmorgen dem WDR. Er forderte, die Suizid-Prävention in den Vordergrund zu stellen. Das forderte auch der Psychiatrie-Fachverband DGPPN.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) erachtete die geplanten Regelungen als zu weitgehend und befürchtet, dass sich Schwerstkranke unter Druck gesetzt fühlen könnten. Es müssten "Regelungen getroffen werden, die verhindern, dass eine Selbsttötung nur aus einer temporären Verzweiflung erfolgt", zitierte ihn die "Rheinische Post" am Mittwoch.

Über dieses Thema berichtet am 06.07.2023 auch die "Aktuelle Stunde" im WDR Fernsehen.

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe

Wer sich mit Suizidgedanken trägt, empfindet seine persönliche Lebenssituation als ausweglos. Doch es gibt eine Fülle an Angeboten zur Hilfe und Selbsthilfe, auch anonym.

Telefonseelsorge

Die Telefonseelsorge ist unter den Rufnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 sowie 116 123 rund um die Uhr erreichbar. Sie berät kostenfrei und in jeder Hinsicht anonym. Der Anruf hier findet sich weder auf Ihrer Telefonrechnung noch im Einzelverbindungsnachweis wieder.

Menschen muslimischen Glaubens können sich an das muslimische Seelsorgetelefon wenden. Es ist ebenfalls kostenfrei und anonym 24 Stunden am Tag unter der Rufnummer 030/44 35 09 821 zu erreichen.

Chat der Telefonseelsorge

Die Telefonseelsorge bietet Betroffenen auch die Möglichkeit an, sich Hilfe per Chat zu holen. Dazu meldet man sich auf deren Webseite an.

E-Mail-Beratung der Telefonseelsorge

Menschen mit Suizidgedanken können sich auch an die E-Mail-Beratung der Telefonseelsorge wenden. Der E-Mail-Verkehr läuft über die Webseite der Telefonseelsorge und ist deshalb nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden.

Anlaufstellen für Opfer von häuslicher Gewalt

Das Hilfetelefon ist anonym, kostenfrei und rund um die Uhr unter 08000 116 016 erreichbar.

Der Weiße Ring bietet ebenfalls einen anonymen Telefondienst unter 116 006 sowie eine Online-Beratung.

Überblick auf Hilfsangebote

Darüber hinaus hat die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) zahlreiche Informationen zu Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und sozialpsychiatrischen Diensten aufgelistet, an die sich Suizidgefährdete und Angehörige wenden können, um Hilfe zu erhalten. Entsprechende Informationen finden Sie unter nachfolgendem Link.

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