Ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen wird derzeit in Deutschland zwar nicht bestraft, er gilt aber weiter grundsätzlich als rechtswidrig. Geregelt ist das im Strafgesetzbuch im Paragraf 218. Dieser existiert seit sage und schreibe 1871 und wurde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder diskutiert, kritisiert und reformiert, aber eben nicht abgeschafft.
Das könnte sich nun ändern. Denn die aktuelle Bundesregierung hat vor einem Jahr eine Kommission eingesetzt für dieses Thema, das für die Gesellschaft "ein nach wie vor umstrittenes" sei, so Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Diese Kommission stellt nun der Regierung ihren Bericht vor. Ihre Einschätzung: "Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar."
Die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch hielten einer "verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung" nicht Stand, so das Fazit des Berichts, der dem WDR vorliegt. Der Vorschlag der Kommission: Das Abtreibungsrecht soll deutlich liberalisiert werden. Schwangerschaftsabbrüche in der frühen Phase bis zur zwölften Woche sollen erlaubt und nicht mehr im Strafrecht geregelt werden.
Die Kommission unterteilt die Schwangerschaft in drei Phasen: Demnach empfiehlt das Gremium, eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen in jedem Fall straffrei zu stellen und als rechtmäßig zu kennzeichnen. Es stünde dem Gesetzgeber frei, das mit einer Beratungspflicht zu verbinden. In der mittleren Phase, bis zur 22. Woche, könne der Gesetzgeber entscheiden, unter welchen Voraussetzungen ein Abbruch straffrei sein solle. Ab der 22. Woche sei der Abbruch rechtswidrig.
Lauterbach sieht schlechte Versorgungssituation für Frauen
Ob sich die Ampel-Regierung den Vorschlägen anschließt und den umstrittenen Paragrafen 218 nun ganz oder teilweise abschafft? Zumindest Familienministerin Paus versieht ihre Posts zum Thema auf dem Kurznachrichtendienst X gerne mit dem Hashtag #wegmit218.
Und auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht Handlungsbedarf. Ihn stört vor allem die geringe Anzahl an Beratungsstellen, Kliniken und Praxen: "Wir haben keine gute Versorgungssituation für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen oder wollen", sagte er der ARD. In vielen Regionen Deutschlands sei es "zu schwer" für die Betroffenen, zuverlässige und schnelle Hilfe zu erhalten.
NRW: 22.000 Abtreibungen in 150 Praxen und Kliniken
In NRW ist die Zahl der Abtreibungen zuletzt gestiegen. Laut dem Landesbetrieb IT.NRW gab es hier im vergangenen Jahr 22.558 Abtreibungen. Das waren 13,4 Prozent mehr als 2022 und der höchste Wert seit 2010. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) führen derzeit rund 220 Stellen in NRW entsprechende Beratungen durch und stellen die für einen Abbruch erforderliche Bescheinigung aus. Die Anzahl der Praxen und Kliniken, die in NRW Abbrüche durchführen, liegt laut statistischem Bundesamt derzeit bei etwa 150. Wo genau diese liegen, ist unklar. "Eine tiefere Regionalisierung ist nicht verfügbar", heißt es beim Statistikamt.
Lange Wege, schlechte Versorgung, Stigmatisierung
Dass die Versorgungslage derzeit schwierig ist und viele Frauen gerade im lange Wege für einen Eingriff auf sich nehmen müssen, der zum Teil unter Vollnarkose durchgeführt wird, wird von Organisationen wie "Pro Familia" schon lange kritisiert. Das gilt vor allem für den ländlichen Bereich und für Gegenden, die stark katholisch geprägt sind. Und davon gibt es auch in NRW eine Menge. Wie zum Beispiel Paderborn, wo Frauen für eine Abtreibung jahrzehntelang in Nachbarkreise fahren mussten. Das änderte sich erst 2008, als eine Frauenärztin den Eingriff anbot.
Dass es nicht mehr Praxen und Kliniken gibt, bei denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, liegt offenbar auch an der Rechtslage. Laut einer aktuellen Studie im Rahmen des ELSA-Projekts, für das sich verschiedene Universitäten zusammengeschlossen haben, erleben 65 Prozent der Mediziner, die Abtreibungen durchführen, Stigmatisierungen im privaten, öffentlichen oder beruflichen Umfeld. Drei Viertel von ihnen sprachen sich dafür aus, Schwangerschaftsabbrüche nicht mit dem Strafrecht zu regeln. Das würde die Versorgung deutlich verbessern, so die Einschätzung.
Abtreibung als Teil der medizinischen Grundversorgung?
Wenn Abtreibungen nicht mehr rechtswidrig wären, könnten diese auch leichter von öffentlichen Kliniken angeboten werden. Unter Umständen wären diese dann sogar dazu verpflichtet, so Regine Wlassitschau von "Pro Familia": "Klinken müssen schließlich in bestimmten Bereichen eine Grundversorgung für die Region leisten". Zwar müsste man das Prozedere noch mit den entsprechenden Ärztekammern und Verbänden klären. Allerdings sei eine mögliche Streichung des Paragrafen ein wichtiger Schritt.
Regierung erwartet längere gesellschaftliche Debatte
Ob es so weit kommt, muss nun die Koalition entscheiden. Zumindest kurzfristig ist eine Gesetzesänderung eher unwahrscheinlich. Es gelte, unterschiedliche Güter gegeneinander abzuwägen, sagte Regierungssprecherin Christiane Hoffmann, die eine längere gesellschaftliche Debatte erwartet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei daran gelegen, dass diese Diskussion in ruhiger und sensibler Weise geführt werde. Das sei verbunden mit der Hoffnung, dass in Deutschland eine Polarisierung beim Thema Schwangerschaftsabbruch vermieden werden könne.
Unsere Quellen:
- dpa
- Pro Familia
- Statistisches Bundesamt
- IT.NRW
- Bundesgesundheitsministerium
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung