Schmerzensgeld-Prozess gegen das Erzbistum Köln - Richter bietet Vergleich an
Stand: 06.12.2022, 19:23 Uhr
Georg Menne hat es gewagt, das mächtige Erzbistum Köln zu verklagen. Er fordert insgesamt 805.000 Euro für den jahrelangen Missbrauch, der sein Leben bis heute prägt.
Von Selina Bölle und Christina Zühlke
Es ist ein Kampf David gegen Goliath. Ein Missbrauchsbetroffener klagt gegen die Kirche als Institution. So ein Fall wurde noch nie vor einem deutschen Gericht verhandelt. Der Vorsitzende Richter, Stephan Singbartl, sagte zum Prozessauftakt am Dienstag im Kölner Landgericht, es sei eine der schwierigsten Entscheidungen, die er in den letzten Jahren verhandelt habe. Eigentlich hatten sich Georg Menne, seine Anwälte und auch das Gericht auf etwas anderes vorbereitet.
Bis einen Tag vor der Verhandlung ließ das Erzbistum offen, ob es sich auf Verjährung berufen würde oder nicht. Eine moralische Frage, die den Kölner Erzbischof Woelki wohl letztlich dazu bewogen hat, nicht auf Verjährung zu pochen und das Risiko einzugehen, dass die Kirche viel Geld zahlen muss. Ein erster Sieg für Georg Menne.
Erzbistum Köln findet Schmerzensgeldforderung zu hoch
In der Verhandlung dann die zweite Überraschung. Das Erzbistum bestreitet weder die Taten noch die Amtshaftung. Das bedeutet, dass die Kirche als Institution für Missbrauchstaten haftbar gemacht wird. Damit geht es in diesem Prozess vor allem darum, wieviel Geld das Bistum an Georg Menne zahlen muss.
In Deutschland liegen Schmerzensgeldzahlungen für sexuellen Missbrauch in den meisten Fällen unter 50.000 Euro. Mennes Anwälte fordern 725.000 Euro Schmerzensgeld plus 80.000 Euro für weitere Kosten. Eine unrealistische Forderung? Nicht unbedingt. Georg Menne wurde als Kind über Jahre sexuell missbraucht und gequält, mehr als 320 Mal. Bis heute leidet er körperlich und psychisch massiv unter den Folgen des Missbrauchs. Teile man die geforderte Summe durch 320, rechneten Mennes Anwälte vor, käme man pro Tat auf rund 2.500 Euro und man könne ja keinen Mengenrabatt geben. Die Höhe von Schmerzensgeldzahlungen orientiert sich auch immer an dem Vermögen des Beklagten, in diesem Fall dem reichen Erzbistum Köln.
Gericht geht von Schmerzensgeld im sechsstelligen Bereich aus
Der vorsitzende Richter bot den Parteien einen Vergleich an, im unteren sechsstelligen Bereich. Aber er schloss auch eine höhere Summe nicht aus, das Gericht habe hier einen sehr weiten Ermessensspielraum. Das Erzbistum signalisierte Verhandlungsbereitschaft, Mennes Anwalt, Eberhard Luetjohann nur bedingt. Auch im Fall eines Vergleichs würden sie nicht weniger als 800.000 akzeptieren. Damit war klar, der Prozess geht in die nächste Runde.
Es geht Georg Menne auch darum, dass ein staatliches Gericht ein Urteil fällt, denn das würde einen Präzedenzfall für andere Missbrauchsopfer schaffen.
Menne will einen Präzedenzfall schaffen
Georg Menne
"Ich streite auch für die vielen anderen Betroffenen, die es dann hoffentlich nicht mehr so schwer haben", sagte Menne nach der Verhandlung. Viele seien einfach psychisch nicht in der Lage so einen Prozess durchzustehen, er selbst habe Jahrzehnte und mehrere Therapien gebraucht und auch jetzt sei es sehr belastend. Aber es ist auch jetzt schon ein kleiner Sieg für ihn. "In jedem Fall kann ich davon ausgehen, dass das, was ich bekommen habe, nicht reicht."
Viele Klagen von anderen Betroffenen erwartet
Die Verhandlung stellt auch das kircheninterne Entschädigungssystem in Frage. Seit 2021 können Betroffene hier sogenannte Anerkennungsleistungen für ihr Leid beantragen. Eine unabhängige Kommission beurteilt die Fälle und legt die Höhe der Zahlungen fest. Im Schnitt zahlte die Kirche bisher rund 21.000 Euro, Menne bekam 25.000 Euro. Die Betroffenen kritisierten das System von Anfang an. "Wie das Verfahren abläuft und welche Summen angemessen sind, wurde über unsere Köpfe hinwegentschieden", sagte Karl Haucke, ehemaliger Vorsitzender des Betroffenenbeirats. Er sei beeindruckt von der Stärke und dem Mut von Georg Menne. Außerdem wisse er, dass jetzt viele Betroffene nachziehen werden.
Georg Menne und seine Anwälte haben bis zum 31. Januar Zeit zu begründen, warum sie ein Schmerzensgeld in dieser Höhe fordern.