Fehlender Hochwasserschutz: "Bei Starkregen oder Unwetter wird es mulmig"
Stand: 14.07.2023, 06:00 Uhr
In Erftstadt fordern die Menschen, dass ihr Leben künftig besser vor Hochwasser geschützt wird. Doch bisher gibt es nur wenige konkrete Planungen für einen besseren Hochwasserschutz.
Von Oliver Köhler
Wolfgang Bieberstein aus Erftstadt Bliesheim achtet in Radio und Fernsehen genau auf die Wettervorhersagen. "Wenn so Starkregen angesagt ist oder Unwetter dann wird es schon mulmig", sagt der 83-Jährige.
In Erftstadt-Bliesheim keine Warnung vor Hochwasserwelle
Wolfgang Bieberstein
In der Nacht zum 15. Juli vor zwei Jahren wachte er von einem Gluckern auf. Als er die Treppe ins Erdgeschoss seines Hauses hinunterging, stand er plötzlich im Wasser. Wohnzimmer, Küche, Flur, alles überflutet.
Niemand hatte die Menschen in Erftstadt davor gewarnt, dass die Hochwasserwelle aus der Eifel nur wenige Kilometer entfernt den Damm eines riesigen Wasserrückhaltebeckens überspült hatte. Die Flut überraschte Erftstadt in den frühen Morgenstunden. Wolfgang Bieberstein rettete sich in die erste Etage. Er hat fast seine komplette Habe verloren.
"Wertgegenstände, die ich hatte, Fotos, Akten und alles, die hätte ich ja selbst mit meinem lahmen Fuß noch in die erste Etage bringen können, wenn die Warnung dagewesen wäre. Es kam ja aber nichts, alles ist abgesoffen. Ich habe nichts mehr."
Immerhin funktionieren jetzt die Sirenen in Erftstadt, es gibt Hochwasserwarnungen übers Handy. Aber die Stadt habe bisher nichts gemacht, um die Anwohner der Erft vor Überflutungen zu schützen, sagt Bieberstein.
Krater von Blessem wird zugeschüttet
Kiesgrube nach der Flut
Ein paar Kilometer weiter in Erftstadt Blessem klafft noch immer ein riesiger Krater in der Erde. Hier war Hochwasser in eine Kiesgrube am Ortsrand geströmt, hatte riesige Erdmassen mit sich gerissen und mehrere Wohnhäuser. Nur durch ein Wunder kam niemand ums Leben.
Jetzt sind Mitarbeiter einer Baufirma dabei, den Krater von Blessem wieder zuzuschütten, das soll etwa drei bis vier Jahre dauern. Die Kiesgrube wurde stillgelegt. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Mitarbeiter des Betreibers der Kiesgrube, gegen den Eigentümer und gegen Mitarbeiter der Bezirksregierung Arnsberg.
Insgesamt gibt es zwölf Beschuldigte. Sie sollen dafür verantwortlich sein, dass die Kiesgrube nicht – wie vorgeschrieben - gegen Hochwasser gesichert war.
Hochwasserschutz erst in fünf bis zehn Jahren
Karl Berger und Reiner von Kempen sind Mitglieder der Hochwasser-Initiative Erftstadt. Auch im Ortsteil Blessem macht jede Ankündigung von Starkregen den Menschen Angst, sagt Karl Berger: "Gerade bei den älteren ist eine gewisse Panik zu verzeichnen."
Denn auch hier gibt es bisher keinen zusätzlichen Schutz vor Hochwasser. Der Damm am Ufer der Erft müsse dringend aufgeschüttet werden, sagen die Anwohner. Eine Brücke über die Erft habe sich bei dem Hochwasser vor zwei Jahren als regelrechte Staumauer erwiesen, darum müsse sie dringend abgerissen werden, was der Erft mehr Raum zum Abfließen gibt, sagt Anwohner Reiner von Kempen: "Im Moment ist das wie ein Wall und wenn es sich rückstaut, dann fließt das Wasser in den Ort.“
Erftstadt entwickelt Hochwasserschutzkonzept
Die Stadt Erftstadt hat ein Ingenieurbüro beauftragt, ein Hochwasserschutzkonzept zu entwickeln. Im August und September sollen erste Gespräche mit den betroffenen Bürgern stattfinden.
Allerdings wird es Jahre dauern bis die ersten Wasserrückhaltebecken oder Dämme an der Erft gebaut werden, fürchtet Anwohner Karl Berger: "Nach den Informationen, die wir haben, müssen wir mit fünf, sieben oder zehn Jahren rechnen, bis wir hier einen besseren Hochwasserschutz bekommen."
Wolfgang Biebersteins Wohnzimmer in Erftstadt Bliesheim ist frisch saniert, gerade erst ist alles fertig geworden. Gespräche über Hochwasser rufen bei ihm die Erinnerungen wach an die Nacht auf den 15. Juli vor zwei Jahren: "Die Gedanken wirst du nicht mehr los. Das kommt immer wieder hoch."
Der 83-jährige hat Glück gehabt. Viele Freiwillige, Handwerker und großzügige Spender haben dafür gesorgt, dass sein Haus wieder bewohnbar ist und er - wenigstens manchmal - seinen Lebensabend genießen kann.