Es ist nicht das erste Mal, dass das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche sich zum Krieg in der Ukraine äußert, und es nicht das erste Mal, dass er dafür scharfe Kritik erntet.
In einem an diesem Wochenende vorab veröffentlichten Interview mit dem Schweizer Fernsehen sagte Franziskus: "Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln." Verhandlungen seien niemals eine Kapitulation, fügte der Papst hinzu.
Zwar nannte er weder die Ukraine noch Russland konkret beim Namen. Trotzdem sind die Papstworte vor allem in der Ukraine als Aufforderung zur Kapitulation aufgefasst worden. Konkret hatte der Papst auf die Frage im Interview, ob nicht manchmal Mut nötig sei, die weiße Fahne zu hissen, Folgendes geantwortet:
Theologin: Zynische Papstworte
Die katholische Theologin und Ostkirchenexpertin Regina Elsner von der Universität Münster hat sich über das erneute Papst-Statement geärgert. Dem WDR sagte Elsner, der Papst sehe die Ukraine in der Verantwortung, den Krieg zu beenden, nicht den Angreifer Russland, zynisch sei das:
Strack-Zimmermann entsetzt
Mit Entsetzen reagierte die FDP-Spitzenpolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf die Äußerungen des Papstes. Sie sagte dem WDR: "Ich bin der Meinung, dass der Papst diesbezüglich sich mal sortieren sollte und ich sage das als Katholikin. Ich war entsetzt, als ich das hörte. Nicht die Ukraine muss die weiße Flagge heben, sondern letztendlich muss er Russland ansprechen. Wenn Russland heute, ich nenn das die Piratenflagge, einzieht und sich aus der Ukraine zurück zieht, ist der Krieg sofort zu Ende. Die Opfer sozusagen aufzufordern nicht mehr zu kämpfen, das ist schon bemerkenswert."
Vatikan: Papst habe Ukraine nicht zur Kapitulation auffordern wollen
Inzwischen hat Vatikansprecher Matteo Bruni die Äußerungen relativiert, keinesfalls habe Franziskus die Ukraine zu einer Kapitulation auffordern wollen.
Schon früher hat Franziskus mit Äußerungen zum Krieg für Empörung gesorgt. Bereits wenige Wochen nach Beginn der russischen Großinvasion sprach der Papst in einem Interview mit einer italienischen Tageszeitung davon, möglicherweise habe das "Bellen der NATO vor Russlands Tür" zu dem Krieg beigetragen. Kritiker warfen ihm damals vor, er übernehme Kreml-Propaganda. Auch danach vermied der Papst es, den Aggressor in diesem Krieg klar zu benennen.
Kann ein Papst Frieden stiften?
Für viele Menschen gilt der Papst immer noch als eine moralische Instanz, entsprechendes Gewicht haben seine Worte. "Natürlich muss uns interessieren, was der Papst mit diesem Anspruch, eine weltweit gültige moralische Autorität zu sein, was er zu diesem Krieg sagt", meint die Theologin Elsner.
Päpstliche Vermittlung in früheren Konflikten
Doch kann der Papst tatsächlich Frieden erwirken? Ein Blick in die Geschichte zeigt: ja, er kann.
Anfang 80er Jahre konnte ein drohender Krieg zwischen Chile und Argentinien nur durch päpstliche Vermittlung verhindert werden. Direkte Verhandlungen zwischen den beiden Ländern hatten die Kriegsgefahr nicht bannen können. Erst die Intervention des damaligen Papstes Johannes Paul II. führte zu einem Friedensschluss.
Entscheidend für den Erfolg der päpstlichen Initiative war damals allerdings weniger die moralische Autorität des Kirchenoberhaupts als vielmehr die Tatsache, dass der Vatikan in der Gegenwart selbst keine machtpolitischen Interessen mehr verfolgt. Das macht ihn zu einem ehrlichen und unabhängigen Makler in Konflikten auf der ganzen Welt.
Eine Reise von Franziskus Anfang 2023 nach Zentral- und Ostafrika etwa galt als Erfolg. Damals rief der Papst vor mehr als einer Million Menschen in der Demokratischen Republik Kongo zu einem Ende des blutigen Bürgerkriegs auf.
Friedensvermittler im Ukraine-Krieg
Aber kann der Papst im Ukrainekrieg vermitteln? Dass in der Ukraine die Mehrheit der Christen einer der beiden orthodoxen Kirchen des Landes angehört, dagegen nur eine Minderheit katholisch ist, schließt eine Vermittlerrolle des Vatikans keineswegs aus.
Schon im Mai 2023 ernannte Franziskus den Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Matteo Zuppi zum Leiter einer Friedensmission, die vermitteln soll zwischen Kiew und Moskau. Allerdings gibt es bislang keinen greifbaren Erfolg dieser Initiative. Unter anderem auch deswegen, weil die Ukraine eine solche Vermittlung bislang ablehnt.
Immer wieder wird dem Papst vorgeworfen, er beziehe nicht klar Position in diesem Krieg, Kritik an der russischen Führung würde er, wenn überhaupt nur sehr zurückhaltend formulieren. Auch das Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., hat der Papst bislang eher sanft kritisiert.
Gerade letzteres hat viel Unverständnis ausgelöst, hat Kyrill doch immer wieder in Predigten den russischen Angriffskrieg theologisch gerechtfertigt. Dem Papst wurde deswegen vorgeworfen, der ökumenische Dialog mit der weltweit größten orthodoxen Einzelkirche sei ihm wichtiger als eine klare Positionierung.
Wütende Reaktionen aus der Ukraine
Doch auf der anderen Seite steckt hinter dieser Zurückhaltung Strategie, vermutet Regina Elsner. "Der Papst versucht, neutral zu bleiben. Er versucht, in jedem Konflikt dieser Welt, eine Haltung einzunehmen, die offen bleibt für beide Seiten, dass er für beide Seiten ansprechbar bleibt." Aber, ergänzt Elsner, man wisse seit zwei Jahren, dass Russland diese Vermittlung gar nicht wünsche und dass Neutralität den Aggressor schütze.
Doch wie hilfreich sind die Papstworte für ein mögliches Ende des Kriegs in die Ukraine? Aus dem Land selbst kamen bislang erboste Reaktionen. So erklärte die ukrainische Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk daran, dass eine Kapitulation für die Ukraine russische Besatzung bedeute. "Die Besatzung ist nur eine andere Form des Krieges", so die Vorsitzende des Kiewer Zentrums für bürgerliche Freiheiten, das 2022 den Friedensnobelpreis erhielt.
Die Co-Gründerin des "Internationalen Zentrums für den Ukrainischen Sieg", Olena Haluschka, schrieb auf X: "Der Papst sollte endlich den Mut haben, einen Aggressor zu verurteilen, anstatt dem Opfer vorzuwerfen, dass es sich gegen einen Völkermord wehrt."
Kann der Papst also in der Ukraine Frieden stiften? Aktuell sieht es danach also nicht aus. Zudem, ergänzt die Theologin Regina Elsner: "Auch die katholische Friedenslehre sagt, dass mit einem Waffenstillstand nicht alles erledigt ist. Frieden ist ganz stark in der katholischen Lehre mit Recht und mit Gerechtigkeit verbunden."