Der Nobelpreis ist männlich - immer noch

Stand: 07.10.2024, 08:42 Uhr

Der Anteil von Frauen, die Nobelpreise gewonnen haben, ist äußerst gering. Aber: Er steigt kontinuierlich an. Es tut sich also was. Noch immer aber haben Frauen einen schweren Stand in der Forschung. Woran liegt das?

Von Oliver Scheel

In dieser Woche werden in Stockholm wieder die Nobelpreise vergeben. Den Anfang machte die Medizin. Mit den beiden US-Amerikanern Victor Ambros und Gary Ruvkun erhielten einmal mehr zwei Männer diese begehrte Auszeichnung. Es fällt immer wieder auf: Die Nobelpreise sind eine ziemlich männliche Veranstaltung. Frauen sind hoffnungslos unterrepräsentiert. Woran liegt das? Begeben wir uns auf eine kleine Spurensuche.

Die Disziplinen sind auch ein Faktor

Die Nobelpreise werden in sechs Forschungs-Disziplinen vergeben: Es gibt sie für Chemie, Medizin, Wirtschaftswissenschaft, Physik und noch für herausragende Leistungen in der Literatur sowie den Nobelpreis für Frieden.

Die ersten vier hier genannten Disziplinen waren jahrzehntelang von Männern dominiert. Den Nobelpreis für Physik erhielten gerade einmal fünf Frauen, aber 220 Männer. Ein extremes Missverhältnis. Der Medizinhistoriker Nils Hansson von der Uni Düsseldorf ordnet im Gespräch mit dem WDR ein: "Vor 100 Jahren gab es wenige Frauen, die studiert haben und noch viel weniger, die Professorinnen waren."

Marie Curie, Bertha von Suttner und Selma Lagerlöf waren die ersten

Die Physikerin und Chemikerin Marie Curie | Bildquelle: akg-images

Deshalb ist es auch keine Überraschung, dass die meisten Frauen, die geehrt wurden, den Nobelpreis für Frieden (mit einem Anteil von 17,1%) und den für Literatur (14,2%) erhielten. Die erste Frau, die einen Nobelpreis erhielt, ist die berühmte Marie Curie, die 1903 den Nobelpreis für Physik bekam. Curie, die 1867 in Warschau geboren wurde und in Frankreich lebte und forschte, schaffte das Kunststück, 1911 auch noch den Nobelpreis für Chemie zu gewinnen. Eine absolute Ausnahmeperson.

Kaum weniger bekannt als Curie sind die ersten Gewinnerinnen des Friedens-Nobelpreises (Bertha von Suttner, 1905) und des Literatur-Nobelpreises, den die Schwedin Selma Lagerlöf 1909 erhielt.

Die Entwicklung seit den 2000er-Jahren ist positiv

Doch insgesamt gleicht die Suche nach Frauen unter den Preisträgern der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Seit der Jahrtausendwende aber tut sich endlich was: 35 der 65 Frauen, die bisher ausgezeichnet wurden, erhielten den Nobelpreis nach dem Jahr 2000. Von 2001 bis 2021 lag der Frauenanteil der Nobelpreisträgerinnen immerhin bei 14,1 Prozent. Zum Vergleich: Von 1901 bis 1921 waren es gerade einmal 4 Prozent.

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Der steigende Frauenanteil gehe auch über die Nobelpreise hinaus, so der Historiker Hansson. "Wir haben eine Studie zu Medizinpreisen in Deutschland gemacht. Dort sieht man, die Preise wurden Anfang der 2000er eher Männern zugesprochen. In den letzten Jahren aber wurden wichtige Preise immer mehr an Frauen vergeben", so der Forscher. Das gelte auch international.

Wie arbeitet das Nobelpreiskomitee eigentlich?

Was ein wenig im Dunkeln des Nobelpreiskomitees bleibt, ist die Auswahl der Forschenden. Das Komitee fordert die Wissenschaft auf, Vorschläge einzureichen, aus diesen wird eine Shortlist erstellt. Daraus entscheidet dann eine fünfköpfige Jury über die Preisträger. Aber: Die Shortlist wird über 50 Jahre unter Verschluss gehalten. Das macht die Recherche schwieriger, wie viele Frauen überhaupt unter den Nominierten waren.

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Mehr als die Hälfte der Studierenden ist weiblich, aber nur wenige gehen in die Forschung

Aber wie viele Frauen sind aktuell überhaupt in der Forschung tätig? Ihr Anteil im Bereich Forschung und Entwicklung lag 2021 in Deutschland nur bei 29,4 Prozent. Das ist einer der niedrigsten Wert in der Europäischen Union (EU). Noch niedriger war der Anteil nur in Ungarn (29,3%) und Tschechien (27,1%). Den Spitzenwert hält Lettland mit 49,8 Prozent vor Kroatien (48,8%), Litauen (48,5%) und Bulgarien (48,3%). Allerdings ist noch nie eine Lettin mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Der niedrige Wert aus Deutschland ist umso alarmierender, da 2022 mehr als die Hälfte der Studienanfänger (52,3%) und der Absolventen (52,6%) Frauen waren und der Anteil von Promotionen immerhin noch bei 46,1 Prozent lag.

Immerhin steigt der Frauenanteil unter den Studierenden in Deutschland in den sogenannten MINT-Fächern. Im Wintersemester 2022/23 lag der Anteil in NRW bei knapp einem Drittel (31,8 Prozent). 1992/93 waren es noch 20,7 Prozent. MINT-Fächer umfassen die Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

Es dominieren Nordamerika und Europa

Es sind aber nicht nur Frauen, die extrem unterrepräsentiert sind. Auch die Kontinente sind ungleich verteilt. 80 Prozent der Preise gehen nach Nordamerika und Europa. In den naturwissenschaftlichen Disziplinen Physik, Chemie und Medizin erhielten gerade einmal acht Afrikaner den Nobelpreis. Laut Max-Planck-Institut, selbst eine der erfolgreichsten Forschungseinrichtungen der Welt, liegt das an der mangelhaften Forschungsinfrastruktur in Afrika. Außerdem werde dort eher in praktischen Wissenschaften, wie Agrarwissenschaft oder Gesundheitsforschung investiert. Beim Friedensnobelpreis und in der Literatur steht Afrika besser da. Trotzdem dauerte es bis 1960, ehe Albert Luthuli als erster Schwarzafrikaner mit einem Nobelpreis bedacht wurde. Es war der Friedensnobelpreis.

Unsere Quellen

Kommentare zum Thema

  • Andreas Renner 07.10.2024, 16:04 Uhr

    Auch beim WDR gibt es offenkundig Fachkräftemangel: Nobelpreise werden nicht nach Geschlecht vergeben, sondern noch bestimmten Ergebnissen. Weniger Frauen liegt an der Benachteiligung in der Wissenschaft und nichgt am Nobelpreiskomitee!

  • Peter Berger 07.10.2024, 15:20 Uhr

    Echte Forschung ist mühselig und wird selten mit einem Nobelpreis belohnt. Wer will das schon machen ? Super anstrengend und somit eher unattraktiv. Hochqualifiziert muss man auch noch sein. Viel Arbeit, bei der man mit schönen Worten nicht weit kommt. Da muss man richtig etwas können und Biss haben. Viel schneller fließt das Geld hingegen bei Wissenschaftsjournalismus - also andere beobachten und beschreiben, statt selber machen. Infotainment. Edutainment. Wer will es ihnen verdenken ? Mai-Thi Nguyen-Kim ist hier ein gutes Beispiel.