Zukunft des ÖPNV: Verkehrsverbünde schlagen Alarm

Stand: 12.08.2022, 15:47 Uhr

Wenn mehr Menschen vom Auto auf Bus oder Bahn umsteigen sollen, müsste das ÖPNV-Netz dafür gerüstet sein. Ist es aber noch lange nicht, warnen NRW-Verkehrsverbünde - und fordern Geld von Bund und Land.

Von Nina Magoley

In einem gemeinsamen Appell an Bund und Land fordern die vier großen Verkehrsverbünde mehr finanzielle Mittel für den Erhalt und den Ausbau des Verkehrsangebots. Mit dabei sind der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS), der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR), der Aachener Verkehrsverbund (AVV) und die WestfalenTarif GmbH (WestfalenTarif).

Die Pandemie, so heißt es in dem Appell, habe dem ÖPNV bereits finanziell zugesetzt. Die wirtschaftliche Entwicklung "aufgrund der weltpolitischen Ereignisse" - steigende Energiekosten und Inflation - hätten die Nahverkehrsbranche in eine "prekäre Lage" gebracht. Hinzu komme noch die mögliche Finanzierung eines Nachfolgemodells für das Neun-Euro-Ticket.

Die Verbünde prognostizieren einen zusätzlichen Bedarf von 500 bis 600 Millionen Euro für den Erhalt und den Ausbau des Verkehrsangebotes - schon im Jahr 2023. "Andernfalls müssten die bisherigen turnusmäßigen Fahrpreissteigerungen überproportional zu den Vorjahren angehoben oder das Angebot reduziert werden", heißt es in dem Appell. Besonders im ländlichen Raum, so die Warnung, könne das zu erheblichen Versorgungsproblemen führen.

Verkehrsminister verweist auf den Bund

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer reagierte mit Verständnis: "Die Forderungen der Verkehrsverbünde sind richtig", sagte er am Freitag. Um dann aber direkt an die Bundesregierung zu verweisen: Wenn die vereinbarten Klimaschutzziele auch durch einen deutlichen Ausbau des Bus- und Bahnnetzes erreicht werden sollten, dann gelinge das nur "mit einer angemessenen Finanzierung, insbesondere durch den Bund".

NRW selbst habe vor wenigen Tagen 300 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Einnahmeausfälle beim ÖPNV während der Corona-Pandemie zu stopfen. Auch habe NRW "als erstes Bundesland" den Verkehrsunternehmen über den ÖPNV-Rettungsschirm hinaus einen pauschalen Ausgleich für die gestiegenen Energiekosten gewährt, voraussichtlich in Höhe von zusätzlichen 90 Millionen Euro, so Krischer.

Nun müssten aber mehr "Regionalisierungsmittel" aus Berlin kommen, sagt er, und verweist dabei auf den Koalitionsvertrag des Bundes. "Ich habe kein Verständnis dafür, dass das bis jetzt vom Bundesverkehrsminister gar nicht umgesetzt worden ist."

Das Bundesverkehrsministerium holt auf WDR-Anfrage weit aus - und bleibt dann wolkig: Neun-Euro-Ticket und Tankrabatt seien bereits gezielte Entlastungen für die Bürger bei stark gestiegenen Energie- und Spritpreisen, erklärt ein Sprecher. "Inwieweit die Entlastungsmaßnahmen jetzt fortgesetzt werden, muss die Koalition entscheiden", auch zu Fragen der Finanzierbarkeit.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) habe zu Beginn seiner Amtszeit eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Diese bearbeite die Themen Mindeststandards, Qualitätskriterien, Erreichbarkeit, Attraktivitätssteigerung, Digitalisierung, Vernetzung und Tarife sowie Kapazitätsverbesserungen.

Bis zur Verkehrsministerkonferenz im Herbst solle ein "Ausbau- und Modernisierungspakt" erarbeitet werden - um "die Finanzierung des ÖPNV langfristig auf solide Füße zu stellen" und den ÖPNV "deutlich komfortabler und attraktiver zu machen".

Wo wird Geld gebraucht?

Besonders in ländlichen Regionen müssten die öffentlichen Verkehrsmittel ausgebaut werden, sagt Stephan Santelmann, Landrat im Rheinisch-Bergischen Kreis. "Busse und Bahnen müssen deutlich häufiger fahren als bisher, um den ÖPNV als echte Alternative zum Pkw zu etablieren."

Der Düsseldorfer Oberbürgermeister Stephan Keller nennt Projekte, die für die Landeshauptstadt in Zukunft anstehen: Die Wehrhahnlinie beispielsweise oder die Anbindung des Flughafens ans U-Bahn-Netz seien "entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unserer Mobilität".

Durch den Ausbau der Netze stiegen aber die Betriebskosten, sagt Keller. Die finanziellen Mittel der Kommunen seien indes "weitestgehend ausgereizt". Wenn die Kommunen einen wichtigen Beitrag zur klimaneutralen Mobilität leisten sollen, "müssen sie mit ihren kommunalen Unternehmen auch dazu befähigt werden".

VRR-Vorstand José Luis Castrillo wird dem WDR gegenüber noch deutlicher: Sollten die Kommunen künftig allein für die Finanzierung des ÖPNV zuständig sein, würde "alles, was wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, in Frage gestellt". Das, sagt Castrillo, wäre kontraproduktiv beim Thema Mobilitätswende und beim Erreichen der vereinbarten Klimaziele.