Welche Verantwortung trägt Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) an der folgenreichen Sperrung der Rahmedetalbrücke der A45? Es ist eine Frage, die bald einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss beschäftigen wird. Aktuell wird sie neu befeuert durch Dokumente aus der "Projektgruppe A45", die dem WDR vorliegen. Zunächst hatte T-Online über die Unterlagen berichtet.
Die Projektgruppe war bis Ende 2020 beim Landesbetrieb Straßen.NRW für den Ausbau der A45 und den Ersatzneubau der Rahmedetalbrücke zuständig. Mit Beginn des Jahres 2021 ging die Verantwortung für die Autobahnen und ihre Brücken jedoch an den Bund über – seitdem ist dessen Autobahn GmbH auch für die Rahmedetalbrücke zuständig. Am 2. Dezember 2021 musste die marode Brücke wegen Schäden gesperrt werden.
Das Land gab die Autobahnen ab - und kümmerte sich immer weniger
Aus den Protokollen geht nun hervor, dass die Projektgruppe von Straßen.NRW sich immer seltener traf, je näher der 31.12.2020 rückte - der Termin, an dem Straßen.NRW die Zuständigkeit für die Rahmedetalbrücke an die Autobahn GmbH des Bundes abgegeben hat. Laut Protokoll traf sich die Projektgruppe im Jahr 2017 fünfmal, ebenso im Jahr 2018.
Im September 2018 wurde die Autobahn GmbH des Bundes gegründet – ab diesem Moment stand fest, dass Straßen.NRW gut zwei Jahre später nicht mehr für die Rahmedetalbrücke zuständig sein würde. In der Folge traf sich die Projektgruppe im Jahr 2019 nur noch dreimal. Und im Jahr 2020 gar nicht mehr.
Im Jahr 2020 kein einziges Treffen der Projektgruppe
Zur Begründung heißt es von Straßen.NRW, man habe in der Corona-Pandemie keine Infektionen riskieren wollen, deshalb seien die Treffen 2020 eingestellt worden. Dass 2019 bereits weniger Treffen stattfanden, erklärt das jedoch nicht. Zudem wurde das öffentliche Leben in NRW erst am 23. März 2020 heruntergefahren, einheitliche Regeln zum Arbeitsschutz gab es erst ab April.
Und schließlich können Abstimmungen innerhalb einer Projektgruppe auch auf anderen Wegen passieren als bei persönlichen Treffen - das haben Millionen Menschen in der Pandemie gelernt. Trotz alledem gibt es nach November 2019 keine protokollierte Arbeit der "Projektgruppe A45" bei Straßen.NRW mehr.
Kein Nachfolgetermin vereinbart
Dazu kommt: Bei elf Sitzungen in den Jahren 2017 bis 2019 wurde jeweils am Tag einer Besprechung direkt ein Nachfolgetermin festgelegt. Bei der letzten bekannten Besprechung der Projektgruppe am 21. November 2019 war das anders: Im Protokoll bleibt die Zeile "nächster Termin" erstmals leer. Auf Nachfrage gibt Straßen.NRW zum Grund keine Auskunft. Die Corona-Pandemie zumindest existierte damals nicht einmal.
SPD: große Bauvorhaben werden in Ministerien besprochen
Die Opposition will wissen, ob hinter diesem Vorgehen eine politische Schwerpunktsetzung aus Wüsts damaligem Verkehrsministerium steckt. "Nehme ich mir eine Bundesautobahn vor, wo ich weiß, dass die Verantwortlichkeit demnächst sowieso auf einer Bundesebene liegt und ich als Landesebene die Verantwortung los bin? Beschäftige ich mich lieber in der Zeit mit Ortsumgehungsstraßen, die ich vielleicht lieber bauen möchte", fragte im Februar SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty.
Es sei "völlig realitätsfremd zu meinen, mit Ministern würden nicht große Bauvorhaben besprochen" betonte er in dem Pressegespräch zur Einberufung eines Untersuchungsausschusses.
Der heutige Ministerpräsident und damalige Verkehrsminister Wüst beteuert dagegen seit Monaten, er sei nicht für den verhängnisvollen Aufschub des Neubaus verantwortlich. Das sei eine "fachliche Erwägung, die allein die zuständige Straßenbauverwaltung trifft", betonte er vor Journalisten im Januar. Damit verwies er auf den Landesbetrieb Straßen.NRW, der jedoch dem Verkehrsministerium nachgeordnet ist.
"Mangelnder Ressourceneinsatz" für A45-Brücken
Die Bemerkungen des SPD-Politikers Kutschaty zielen auf einen wunden Punkt: Die schlechte Personalausstattung der Autobahnverwaltung. Die damalige Direktorin von Straßen.NRW, Elfriede Sauerwein-Braksiek, hatte im Verkehrsausschuss des Landtags im Februar von einer "Mangelverwaltung" gesprochen.
Wüst verwies in der gleichen Sitzung darauf, dass in seiner Amtszeit die Personaldecke in der A45-Projektgruppe von 23 auf 27 Mitarbeiter erhöht wurde. Trotzdem: Bei der immer weiteren Verschiebung des Neubaus der Rahmedetalbrücke habe "auch der mangelnde Ressourceneinsatz, den wir für die A45-Brücken zur Verfügung hatten", eine Rolle gespielt, so Sauerwein-Braksiek.
Wüst soll Fleher Brücke priorisiert haben
Bei knappen Ressourcen spielt die Priorisierung von Projekten eine entscheidende Rolle: Was nach vorn gestellt wird, kann bearbeitet werden – alles andere muss erst einmal liegen bleiben. Das ist auch Politikern bewusst.
Hendrik Wüsts Parteikollege Olaf Lehne (CDU) hatte im Februar laut Protokoll des Verkehrsausschusses bereitwillig eingeräumt, dass Wüst als Verkehrsminister durchaus den Bau von Autobahnbrücken priorisiert hat. Der Neubau der Fleher Brücke der A46 bei Düsseldorf sei so beschleunigt worden, sagte Lehne demnach. Da der Minister andere Brückenbauten selbst beschleunigt habe, sei im Fall der Rahmedetalbrücke auch ein Herabstufen der Priorität durch den Minister oder enge Mitarbeiter denkbar, so die Lesart der Opposition.
Staatssekretär erkundigte sich nach Entscheidungen zu Neubauten
Tatsächlich gibt es einen Hinweis auf mögliche politische Einflussnahme von Wüsts Verkehrsministerium auf den Planungsprozess der Rahmedetalbrücke.
Am 13. Juli 2017 erkundigt sich Wüsts Staatssekretär im Verkehrsministerium, Hendrik Schulte, nach dem Planungsstand in Sachen Autobahnbrücken. "Besonders interessiert ihn, wie die Entscheidung über Ertüchtigung oder Neubau getroffen wird und ob und - wenn ja - wie priorisiert wird", heißt es in einer Mail von Schultes Mitarbeiter an weitere Abteilungen. "Ergänzend sollte der der Arbeit der Projektgruppe zugrundeliegende Masterplan A45 dargestellt werden", fordert der Mitarbeiter in der E-Mail, die dem WDR vorliegt.
Die Abteilungen stellten daraufhin Informationen über die A45 und ihre Brücken für Staatssekretär Schulte zusammen. Was er oder sein damaliger Chef Hendrik Wüst daraus für Schlussfolgerungen zogen, ist weiter ungeklärt.
Über dieses Thema berichtet der WDR Hörfunk in der Sendung "Westblick" am 16.03.2023 auf WDR5.