So nicht - auf diese Kurzformel lässt sich die Haltung der Grünen am wohl größten Verschuldungs-Paukenschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte bringen. Am Vormittag stellten die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Katharina Dröge und Britta Haßelmann, in Berlin klar: Sie werden dem milliardenschweren Verteidigungs- und Infrastrukturprojekt im Bundestag nicht zur nötigen Zweidrittelmehrheit verhelfen.
Ein Schritt, der nicht überraschend kommt und sich seit Tagen abzeichnet. Immer wieder machten die Grünen klar, dass es ihre Zustimmung nicht gratis gibt, sondern verhandelt werden muss.
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) schlug am Sonntag mit zwei weiteren Landesministern ihrer Partei konkrete Pflöcke ein: In einer gemeinsamen Stellungnahme mit Danyal Bayaz, Finanzminister in Baden-Württemberg, und Björn Fecker, Finanz-Senator in Bremen, stellt sie drei Forderungen auf. Sie lesen sich nach der Festlegung der Bundestagsfraktion wie ein Kompromiss-Vorschlag an Union und SPD für das umstrittene Finanzpaket. Darauf weist der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Thorsten Schick, hin. Dem WDR sagte er: "Es sind Hinweise und Vorschläge von Grünen gekommen, die in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen mit in Regierungsverantwortung sind. Diese Hinweise können als Grundlage für die weiteren Gespräche dienen."
Die Forderungen von Neubaur
Am Montag ordnete Mona Neubaur im WDR ihre Forderungen ein: "Das ist unser Beitrag zur Debatte, unser Angebot von Landesseite an CDU/CSU und SPD im Bund". Sie hoffe, es sei ein wesentlicher Beitrag und "dass etwas Gutes dabei rumkommt". Und diese drei Forderungen geht es konkret:
- Bei der Lockerung der Schuldenbremse für die Bundeswehr sollen erst Ausgaben über 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Dass Union und SPD die Grenze bei 1 Prozent festlegen wollen, halten die Grünen für zu unambitioniert. Ihre Befürchtung: "Diese Regelung würde ermöglichen, einen Teil der bisherigen Verteidigungsausgaben einfach über Kredite zu finanzieren, um so neue Spielräume im Kernhaushalt zu schaffen, die anderweitig genutzt werden können." Es seien aber weiterhin "solide Staatsfinanzen" und dafür auch Reformen nötig.
- Das Sondervermögen für die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro begrüßen Neubaur, Bayaz und Fecker grundsätzlich. Aber der vorgeschlagene Gesetzentwurf stelle nicht sicher, dass diese Schulden nur für zusätzliche Investitionen verwendet werden dürfen. Auch hier besteht wieder die Befürchtung, dass damit bereits geplante Investitionen finanziert werden sollen, also Aufgaben aus dem regulären Haushalt. Denn, so argumentieren die Landesministerin und ihre beiden Kollegen, die Vereinbarungen aus dem Sondierungspapier von Union und SPD seien aktuell nicht "seriös finanzierbar". Bei einer Beschränkung auf zusätzliche Investitionen sei eine Zustimmung denkbar.
- Der Anteil für die Länder aus dem Sondervermögen müsse verdoppelt werden, also 200 Milliarden statt der jetzt geplanten 100 Milliarden. "Etwa 60 Prozent der staatlichen Infrastrukturinvestitionen werden von Ländern und Kommunen erbracht, sie sollen aber nur 20 Prozent der Mittel aus dem Sondervermögen erhalten", heißt es in der Stellungnahme. Viele Zukunftsinvestitionen in den Klimaschutz würden jedoch auf Landesebene stattfinden: "Die gigantischen Investitionen in nachhaltige Wärmenetze sind vor allem von den Kommunen und Stadtwerken zu stemmen."
Neubaur erhält Unterstützung von Wüst
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) lobte die Vorschläge seiner Stellvertreterin Neubaur am Montag in Düsseldorf als "sachlich und nachvollziehbar". Sie könnten eine gute Grundlage für einen weiteren Austausch sein. Ohne konkrete Zahlen zu nennen, forderte auch Wüst einen angemessenen Teil für Länder und Kommunen an den Investitionsmitteln.
Der Ministerpräsident empfahl zudem noch für die nun anstehenden Verhandlungen mit den Grünen: "Bei diesen Gesprächen sollten jetzt die Akteure aller staatlichen Ebenen gehört und einbezogen werden." Klingt so, als wollte sich Wüst konkret als Verhandlungspartner mit ins Spiel bringen.
Kritik der Grünen am Stil und der Sache
Seit Tagen zeigen sich die Grünen äußerst verschnupft wegen des Umgangs von CDU und CSU mit ihnen. Scharf kritisierten sie, dass CSU-Chef Söder beim politischen Aschermittwoch weiterhin Spott und Häme über die Grünen ergoss. Im WDR sagte Sonntagabend der Co-Parteivorsitzende der Grünen im Bund, Felix Banaszak: "Die Reihenfolge ist falsch." Wenn klar sei, dass alles auf der Zustimmung der Grünen fuße, dann müsse zunächst mit ihnen geredet werden.
"Wer die Grünen gerne an Bord hätte, legt ihnen nicht nur am Ende irgendetwas vor, sondern spricht regelmäßig und vorab mit ihnen." Felix Banaszak
Die Grünen seien bereit zum Gespräch. "Aber Gespräch bedeutet nicht, wir tragen vor, was wir vorher schon in der Öffentlichkeit gesagt haben." Friedrich Merz habe beispielsweise der Co-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Britta Haßelmann, nur eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. "So geht man nicht miteinander um, wenn man aufeinander angewiesen ist."
Die bisher getroffenen Vereinbarungen nannte Banaszak "ein wildes Potpourri", Klimaschutz komme gar nicht vor. Aber, auch das betonte er: "Man kann mit uns über alles reden. Ob wir zustimmen, hängt davon ab, wie die Verhandlungen laufen."
SPD-Fraktionschef warnt bei einem Scheitern vor "Kürzungsorgie"
Der SPD-Oppositionsführer im NRW-Landtag, Jochen Ott, zeigte Verständnis dafür, "dass die Grünen beleidigt sind", wie er dem WDR erklärte: "Weil permanente Angriffe, zum Beispiel von Söder, nicht dazu beitragen, dass man fröhlich ist." Die Grünen hätten schließlich über viele Jahre für eine Reform der Schuldenbremse geworben. Zudem habe die Union mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht dafür gesorgt, dass die Ampel mit dem Geld nicht mehr klargekommen sei.
Ott appelliert an die Grünen, "jetzt nicht aus persönlicher Betroffenheit, diese große Chance für unser Land kaputtzumachen". Die Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur seien dringend nötig. Alternativ eine umfassende Reform der Schuldenbremse zu beschließen, sei in der Kürze der Zeit nicht zu machen. Aber perspektivisch müsse diese kommen. Ott warb bei allen Beteiligten dafür, jetzt schnell zu einer Lösung zu finden.
Sollte der komplette Finanzdeal platzen, droht nach Aussage des SPD-Fraktionsvorsitzenden eine "Kürzungsorgie" im Bundeshaushalt 2025 - "und zwar an vielen Stellen, weil das Geld aufgrund der Wirtschaftslage nicht da ist".
NRW-FDP-Chef Höne warnt vor Inflation
Der Vorsitzende der NRW-FDP, Henning Höne, sagte dem WDR, es sei nicht Aufgabe anderer Parteien, für schwarz-rote Wahlgeschenke zu sorgen. Auch er zeigte Verständnis für die Grünen: Jetzt räche sich, wie die Union und die SPD aufgetreten seien. CDU-Chef Merz müsse nun zeigen, dass er in der Lage sei, Mehrheiten zu organisieren.
Der Liberale sprach vom "teuersten Wahlbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik" und kritisierte die Schulden. "Das ist keine Politik, die Probleme löst, sondern sie mit Geld zuschmeißt." Die Inflation drohe zurückzukommen, sie werde Menschen mit niedrigem Einkommen und "Häuslebauer" treffen, warnte Höne.
JU-NRW-Vorsitzender Kevin Gniosdorz bei Verteidigung "näher bei den Grünen"
Der Vorsitzende der Jungen Union in NRW, Kevin Gniosdorz, betont im Gespräch mit dem WDR, dass jedes Sondervermögen "zunächst mal nichts anderes ist als Sonderschulden". Wie im Privaten seien auch beim Staat Kredite für investive Maßnahmen ok. Aber ihn störe, dass die Reihenfolge nicht eingehalten wurde. "Nämlich zuerst schauen, wo man einsparen kann und dann nach dem Kassensturz sagen, für welche Maßnahmen müssen wir Kredite aufnehmen."
Die Landesverteidigung gehöre prinzipiell in den Kernhaushalt, so der JU-Landesvorsitzende. Wegen der geänderten Sicherheitslage seien Schulden hier aber auch gerechtfertigt, argumentiert Gniosdorz. "Ich bin näher bei den Grünen, die 1,5 Prozent gefordert haben, die in den Kernhaushalt gehören", erst danach sollten Kredite erlaubt sein. Kevin Gniosdorz sagt aber auch: "Bevor man den Stab zerbricht über die Ideen, sollte man die Koalitionsverhandlungen abwarten."
Abgewählt und trotzdem machtvoll
Die Zeit für eine Einigung mit den Grünen drängt. Bereits am Donnerstag (13.03.2025) sollen die Gesetze für die Lockerung der Schuldenbremse und das Sondervermögen Infrastruktur in den alten Bundestag eingebracht werden. Auf einer weiteren Sondersitzung am 18.03.2025 steht die Abstimmung an. Schon am 25.03. konstituiert sich der neue Bundestag mit den neuen Mehrheitsverhältnissen.
Ohne die Zustimmung der Grünen würde das Finanz-Konstrukt von CDU/CSU und SPD noch vor Aufnahme der Koalitionsverhandlungen wie ein Kartenhaus in sich zusammenkrachen. Selten zuvor war eine abgewählte Regierungspartei in einer so machtvollen Position, um die Zukunft des Landes mitzugestalten. Klingt so, als wären in den nächsten Tagen noch intensive Verhandlungen zwischen den Grünen und den künftigen Koalitionären nötig.
Über dieses Thema berichten wir am Montag unter anderem im WDR-5-Landesmagazin Westblick ab 17.04 Uhr.
Unsere Quellen:
- Stellungnahme von Mona Neubaur, Danyal Bayaz und Björn Fecker
- Felix Banaszak in der Aktuellen Stunde
- WDR-Interview mit Jochen Ott
- Henning Höne, Thorsten Schick und Kevin Gniosdorz auf Anfrage
- dpa-Meldung
- eigene Recherchen