Herbert Reul (rechts) neben Jürgen Kayser (links)

NRW-Verfassungsschutz-Bericht 2024: Extremismus wird jünger und digitaler

Stand: 09.04.2025, 12:15 Uhr

Extremismus, Radikalisierung, Islamismus, Spionage, Cyberangriffe, Terrorgefahr - die aktuellen Zahlen dazu wurden vorgestellt.

Von Sabine Tenta

Der Extremismus hat sich gewandelt - das ist eine wesentliche Erkenntnis aus dem NRW-Verfassungsschutzbericht 2024. Er wurde am Mittwoch von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in Düsseldorf vorgestellt.

Junge Menschen würden zunehmend in den Fokus von Extremisten geraten, die Radikalisierung finde immer häufiger online statt. So werde "eine enorme Reichweite" erreicht, sagte Reul. "Die Konflikte der Welt spielen sich nicht nur auf anderen Kontinenten ab, sondern finden immer auch in Nordrhein-Westfalen statt. Das Internet ebnet ihnen den Weg." Zentral seien dabei die Social-Media-Plattformen.

Der Einfluss der Plattformen ist gigantisch. Die staatlichen Möglichkeiten sind überschaubar. Herbert Reul (CDU)

Der Leiter des NRW-Verfassungsschutzes, Jürgen Kayser, berichtete von den Erfahrungen seiner Behörde mit den Betreibern der Plattformen: Bei schweren Straftaten gebe es eher die Neigung, IP-Adressen herauszugeben. Aber diese IP-Adressen könne man nur dann erfolgreich nutzen, wenn sie auch gespeichert seien. Extremistische Äußerungen im Netz hingegen würden von den Betreibern meist als Meinungsäußerung eingestuft und darum nicht gelöscht.

Politisch motivierte Kriminalität um 42 Prozent gestiegen

Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität ist die Zahl der Straftaten erneut gestiegen: 10.772 Straftaten wurden 2024 registriert. Im Vorjahr waren es noch 7.596; das entspricht einer Zunahme von 42 Prozent. Bei rund einem Viertel dieser Straftaten, nämlich bei 2.450, wurde laut NRW-Verfassungsschutz das "Tatmittel" Internet genutzt. Das sei im Vergleich zu 2023 ein Anstieg von rund 30 Prozent (2023: 1.859). In rund 19 Prozent aller politisch motivierten Straftaten handele es sich um Hasskriminalität.

Bezogen auf einen Zehn-Jahres-Zeitraum verzeichnet der Verfassungsschutz-Bericht bei der politisch motivierten Kriminalität ein Allzeithoch:

Als Gründe für den Anstieg nannte Jürgen Kayser "die weitere Polarisierung der Gesellschaft und multiple Krisen". Und Herbert Reul sprach von "aufwühlenden Zeiten", die die Tendenz stärkten "sich zu radikalisieren".

Vorstellung Verfassungsschutzbericht NRW

WDR Studios NRW 09.04.2025 00:43 Min. Verfügbar bis 09.04.2027 WDR Online


Reul: Rechtsextremismus bleibt die größte Bedrohung für Demokratie

Die wesentlichen Erkenntnisse zum Feld Rechtsextremismus hatte das Innenministerium bereits im März mit dem "Lagebild Rechtsextremismus" präsentiert. Herbert Reul griff dies Thema am Mittwoch erneut auf: "Der Rechtsextremismus bleibt die größte Bedrohung für unser demokratisches Zusammenleben."

Der Rechtsextremismus halte sich durch Hass und Hetze am Leben. "Wir sehen, dass er sich modernisiert hat - heute weniger Glatze und Springerstiefel, dafür Sneaker und Active Clubs. Das ist nur alte Ideologie in neuem Gewand. Davon dürfen wir uns aber nicht täuschen lassen", warnte Reul.

Beim Linksextremismus verzeichnet der aktuelle Verfassungsschutz-Bericht lediglich einen leichten Anstieg der Taten. Von den 1.187 erfassten Straftaten (2023: 1.097) wurden 86 als Gewalttaten eingestuft. Meist habe es sich um Widerstandsdelikte gehandelt. Bei den Gewalttaten gibt es einen deutlichen Rückgang, 2023 waren es noch 274.

Abstrakt hohe Gefahr durch Islamismus

NRW-Innenminister Reul sieht weiterhin eine hohe Gefahr islamistisch motivierter Anschläge. Eine große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden seien allein handelnde Täter, die sich ohne soziale Kontakte online radikalisieren. Die Lage in Nahost könne Radikalisierungen in NRW zusätzlich befeuern. 2.700 Personen werden vom Verfassungsschutz dem extremistischen Salafismus zugerechnet, rund 600 von ihnen seien gewaltorientiert.

Für Herbert Reul stellt der islamistische Terrorismus die größte Gefahr "für Leib und Leben" dar. Auch bei dieser Bedrohung sei das Internet ein "Hochleistungsmotor für Radikalisierung", sagte der CDU-Politiker. "Hass-Prediger haben Online-Propaganda auf TikTok, Instagram oder Telegram perfektioniert. Der Islamismus ist weiter auf dem Vormarsch."

Auch der Antisemitismus sei in NRW weiter präsent. Besonders durch die Eskalation des Nahost-Konflikts habe der Hass auf Jüdinnen und Juden zugenommen. 2024 Jahr wurden laut Bericht 695 antisemitische Straftaten erfasst, im Vorjahr waren es 547. Viele Taten seien Sachbeschädigungen oder Volksverhetzungen.

Zunahme bei Spionage, Cyberangriffen und Desinformation

Einen Anstieg verzeichnet die Behörde auch in den Bereichen Spionage und Cyberangriffe. Aber auch gezielte Desinformation und "illegitime Einflussnahme durch ausländische Akteure, besonders im digitalen Raum" spiele eine zunehmende Rolle. Diese Zunahme führt der Innenminister auf verschärfte Konflikte in der Welt zurück.

"Vor allem Russland hat seine nachrichtendienstliche Methodik verändert und tritt zunehmend robuster auf. Dabei geht es darum, auszuspähen, Informationen zu beschaffen und unsere Demokratie zu destabilisieren." Der Verfassungsschutz unternehme alles, um diese Angriffe abzuwehren, versicherte Reul.

Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin äußerte der CDU-Politiker seine Hoffnung, dass sich die rechtlichen Grundlagen zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung ändern. Auch müsse man offener darüber reden, wie Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz zusammenarbeiten können.

FDP vermisst Lösungsvorschläge der Landesregierung

Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, kritisierte, "die politische Reaktion bleibt zu zaghaft". Der Bericht sei ein Weckruf, "doch die Landesregierung bleibt im Diagnosestadium stecken". Minister Reul beschreibe Symptome, aber liefere keine Therapie. "Die Bedrohung ist real, sie ist digital, sie trifft unsere Jüngsten – und NRW ist nicht ausreichend vorbereitet", klagte Lürbke.

SPD spricht von schrillen Alarmglocken

Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD Landtagsfraktion

Christina Kampmann

Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag NRW, sagte, die Entwicklungen im Bereich politisch motivierter Straftaten "sind erneut schockierend". Von einem Weckruf, so ihre Schlussfolgerung, könne dabei schon lange keine Rede mehr sein. "Die Alarmglocken schrillen immer lauter. Wann, wenn nicht jetzt, ist es an der Zeit für entschiedenes Handeln der Landesregierung?"

Die SPD gebe Innenminister Reul recht, dass sich die Verteidigung der Verfassung mehr ins Netz verlagern müsse. "Die Frage ist, warum er dort nicht schon längst tätig geworden ist", so der Vorwurf von Kampmann. "Die heutigen Analysen teilen wir. Die Schlussfolgerungen für das eigene Handeln der Landesregierung sind jedoch stark ausbaufähig."

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