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NRW startet neue Diskriminierungs-Meldestellen

Stand: 13.03.2025, 20:21 Uhr

Ab dem 17. März können in NRW rassistische und diskriminierende Vorfälle bei entsprechenden Stellen gemeldet werden.

Von Samuel Acker

Die Vorbereitungszeit dauerte etwa drei Jahre, ihr Aufbau kostete insgesamt mehr als 1,5 Millionen Euro, jetzt starten sie: Am Montag, 17. März, gehen vier von der NRW-Landesregierung finanzierte Meldestellen online, mit einem gemeinsamen Meldeportal. Damit können Betroffene erlebte und beobachtete Fälle melden in den Bereichen:

  • Antiziganismus (Hass gegen Sinti und Roma)
  • Muslimfeindlichkeit
  • Hass gegen Queere Menschen (beispielsweise Schwule, Lesben, Transsexuelle Menschen...)
  • Anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus

Bereits seit April 2022 gibt es eine landesweite Meldestelle für antisemitische Vorfälle.

Die vier neuen Meldestellen wurden im Januar 2022 noch von der damaligen schwarz-gelben Landesregierung angekündigt, als Reaktion auf einen Vorfall auf dem Hauptfriedhof Iserlohn: Dort waren mehrere muslimische Gräber verwüstet worden.

Ministerin betont: Keine juristische Verfolgung durch Meldestellen

NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) betonte in einem exklusiven Interview mit dem WDR, dass die Meldestelle nicht die klassische Anzeige bei der Polizei ersetzen werde. Beispiel: Eine Frau mit Kopftuch meldet im Onlineportal, dass ihr auf einem Parkplatz in Herne von einem Mann "Verpiss dich, du Terroristin!" entgegengerufen wurde. Dies ginge dann in die Diskriminierungs-Statistik ein - habe aber keine juristischen Folgen, betont Paul.

"Wenn es sich um strafrechtlich relevante Vorfälle handelt, dann muss das bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden." Josefine Paul (Grüne)

Die Meldestellen würden zudem keine personenbezogenen Daten abfragen - weder zu Betroffenen noch zu den mutmaßlichen Verursachern des Vorfalls. Sollten doch personenbezogene Daten erfasst werden, so würden diese, laut Ministerium, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern "unverzüglich anonymisiert". Es soll außerdem nicht möglich sein, Fotos oder Videos von Vorfällen hochzuladen oder Screenshots von mutmaßlichen Online-Diskriminierungen.

Rassistisch - aber nicht strafbar

Im Unterschied zur Polizei können bei den Meldestellen auch Vorfälle von Diskriminierung gemeldet werden, die nicht strafbar sind. Ein Beispiel: Zu einem schwarzen Kunden in einer Bäckerei sagt der Verkäufer: "Was, nur zwei Brötchen? Du hast doch bestimmt 30 Kinder mit 20 Frauen!". Das ist als rassistisch einzuordnen - aber tendenziell nicht strafbar. Indem auch solche Vorfälle erfasst werden, solle die Meldestelle dabei helfen, "Dunkelfelder auszuleuchten", sagt Paul.

Wichtig sei auch, festzustellen, an welchen Orten und in welchen Kontexten es häufig zu Diskriminierungen komme. Finden zum Beispiel viele homophobe Anfeindungen, die gemeldet werden, in Schulen statt? Fallen muslimfeindliche Sprüche besonders häufig im Sportverein? So solle eine statistische Grundlage entstehen, um dann zielgerichtete politische Maßnahmen zur Prävention einzuleiten, sagte Paul.

AfD kritisiert Meldestellen scharf

Im Vorfeld kritisierte insbesondere die AfD in NRW das Vorhaben. Sie betonte, dass solche Meldestellen einen "Geist der Denunziation" stärken und unschuldige Personen angeschwärzt werden könnten. Im Interview mit dem WDR sagte der NRW-Landesvorsitzende der AfD und Fraktionsvorsitzende Martin Vincentz, er habe "kein besonders großes Vertrauen" darin, dass bei den neuen Meldestellen tatsächlich konsequent personenbezogene Daten gelöscht werden.

Zudem sei der Datensatz zu diskriminierenden Vorfällen nicht valide genug, weil eben nichts nachrecherchiert werde. Es könne sein, dass am Ende die Meldestellen durch "besonders meldefreudige" Aktivistinnen und Aktivisten missbraucht würden. "Das muss am Ende dann kein Abbild der Realität sein, sondern dieser Datensatz kann extremen Verzerrungen unterliegen". Für Vincentz steht fest:

"Es fußt am Ende auf Datensätzen, die einfach wissenschaftlich nicht stichhaltig sind" Martin Vincentz, NRW-Vorsitzender AfD

Zu den vier neuen Meldestellen, insbesondere jener gegen Muslimfeindlichkeit, hat die AfD seit deren Ankündigung eine Vielzahl von kritischen Anfragen gestellt und auch mehrere Anträge im Landtag, um den Aufbau der Meldestellen sofort zu stoppen. Die Anträge wurden von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Gleichzeitig hat die AfD gegen die Landesmeldestelle gegen Antisemitismus, die seit fast drei Jahren aktiv ist, keine einzige Anfrage oder Antrag gestellt. Da diese Landesmeldestelle nach dem gleichen Schema operiert wie die neuen Meldestellen - anonyme Einreichungen, auch nicht -strafbare Vorfälle können gemeldet werden - stellt sich die Frage nach den Motiven des AfD-Vorgehens.

Darauf angesprochen sagt Vincentz, dass seine Partei aktuell Antisemitismus in NRW tendenziell als ein größeres Problem wahrnehme als beispielsweise Muslimfeindlichkeit. "Wir haben mittlerweile sehr viele Moscheen in NRW, in der Regel benötigen diese keinen Polizeischutz. Bei Synagogen sieht das ganz anders aus." Bei einem anderen Phänomen wie Queerfeindlichkeit sei noch gar nicht wissenschaftlich geklärt, was darunter alles zu verstehen sei. Und: Obwohl die AfD sich bislang nicht mit Anfragen oder Anträgen gegen die Meldestelle für Antisemitismus ausgesprochen hat, betrachte sie deren Art des Datensammelns durchaus kritisch, betont der Landesvorsitzende der Partei.

Aufbau hat mehr als 1,5 Millionen Euro gekostet

Vincentz moniert zudem: Die Kosten für die vier neuen Meldestellen seien viel zu hoch. Der Aufbau der Meldestellen zu Muslimfeindlichkeit, Antiziganismus, Queerfeindlichkeit und verschiedenen Rassismus-Formen hat von 2022 bis 2024 insgesamt mehr als 1,5 Millionen Euro an Landesmitteln gekostet. Der Betrieb dieser Meldestellen im laufenden Jahr kostet insgesamt 720.000 Euro. Vincentz findet: "Dieses Geld hätte man besser investieren können - zum Beispiel für ein wirklich wissenschaftliches Universitäts-Projekt zu Rassismus und Diskriminierung".

"Ich fühle mich damit sichtbarer"

Amira Amzough, 19-jährige Studentin aus Dortmund, ist ehrenamtlich aktiv beim Verein "Muslimisches Jugendwerk". Sie findet es wichtig, dass NRW neue Diskriminierungs-Meldestellen bekommt - auch eine gegen Muslimfeindlichkeit. "Ich trage kein Kopftuch, aber viele Frauen in meinem Umfeld. Ich zucke jedes Mal zusammen, bei dem, was sie mir erzählen. Wie sie zum Beispiel in der Bahn angepöbelt oder angerempelt werden".

Beispielsweise ein Anrempeln stellt in der Regel keine Straftat wie beispielsweise Körperverletzung dar. Damit ist dies kein Fall für die Polizei. Bei der neuen Meldestelle kann ein solcher Vorfall aber gemeldet werden, wenn ein muslimfeindlicher Hintergrund vermutet wird. Amzough sagt: "Mir hilft diese Meldestelle, in dem ich mich sichtbarer fühle. Und hoffentlich wird dann, wenn man die entsprechenden Daten gesammelt hat, auch gehandelt".

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagentur dpa
  • Interview WDR COSMO mit NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne)
  • Interview mit NRW-AfD-Vorsitzendem Martin Vincentz
  • Interview mit Studentin Amira Amzough

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 13.03.2025 auch im Hörfunk: WDR Cosmo, 16.20 Uhr.