Grüne diskutieren weiter über Lützerath
Stand: 15.10.2022, 16:11 Uhr
Zum Bundesparteitag der Grünen in Bonn gibt es neue Fragen in Bezug auf den beschlossenen Kohleausstieg. Manche an der Parteibasis fühlen sich übergangen. Angeblich gibt es neue Belege, dass das Örtchen am Rande des Tagebaues zu retten wäre.
In Bonn demonstrieren Klimaaktivisten vor dem Parteitagsgebäude der Grünen. Sie fühlen sich von der Partei betrogen. Denn auch wenn der Kohleausstieg im Jahre 2030 nun acht Jahre früher kommt: Erstmal werden die Kohlekraftwerke hochgefahren oder aus er Reserve geholt, verbrauchen mehr Kohle und stoßen daher auch mehr Treibhausgase aus. Wegen des aktuellen Gasmangels und drohender Versorgungsengpässe beim Strom werden die Kohlekraftwerke jetzt aber gebraucht, so der grüne Energieminister Robert Habeck.
Die Gutachten
Die Entscheidung zum Kohleausstieg und dem gleichzeitigen Aus für Lützerath stützt die grüne Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur auf drei neue Gutachten.
"Weil es eben ein einfacher Schritt gewesen wäre zu sagen, rechtlich ist die Lage doch klar, Lützerath kann weg. Aber genau anders sind wir drangegangen", so Neubaur gegenüber dem WDR. "Wir wollten eine Begutachtung: Kann man es nicht doch erhalten. Und die begutachtenden Büros sind alle drei zu dem Schluss gekommen, dass Lützerath nicht erhalten werden kann", sagte Neubaur.
Mit den Gutachten beschäftigte sich auch das Magazin "Der Spiegel". Da die Wissenschaftler in Ihren Berichten von Zeitdruck bei der Erstellung sprechen, kamen Fragen nach der Aussagekraft auf. Michael Denneborg von der Firma Ahu, der eines der Gutachten angefertigt hat, hadere damit, wie schnell die Entscheidung getroffen wurde, hieß es im Spiegel.
Doch Denneborg sagte dem WDR, Zeit war kein ausschlaggebender Faktor: "Das hat keine Auswirkung. Also auch wenn ich die fünffache oder die zehnfache Zeit gehabt hätte, wäre ich zu denselben Ergebnissen gekommen. Also es ist kein Kriterium." Er denke, so Denneborg weiter, "dass die Entscheidung der Landesregierung auf sehr validen Füßen ruht."
Gutachterlicher Gegenschlag
Wissenschaftlerin Catharina Rieve, die unter anderem für die Forschungsgruppe CoalExit der TU Berlin und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung tätig ist, kommt dagegen zu anderen Ergebnissen. Durch das Hochfahren der Kohlekraftwerke jetzt spare der auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg de facto kein CO2, schreibt sie in einem Gutachten. Ein vereinbartes Interview mit dem WDR sagte Rieve allerdings ab.
Michael Denneborg hält die Rieve-Studie allerdings für fehlerhaft: Sie sei "ohne Bergbaudaten" gemacht worden. Außerdem habe man "viele Aspekte gar nicht betrachtet". Dabei geht es um Böschungswinkel und um die Standfestigkeit der Grube.
Anlässlich des Grünen-Parteitags meldete sich auch die Umweltorganisation Greenpeace noch einmal zu Lützerath zu Wort: "Das vorgezogene Enddatum für RWEs Kohleausstieg auf 2030 garantiert noch nicht, dass die Klimabilanz stimmt", teilte Greenpeace Klimaexperte Karsten Smid mit. "Wenn RWE nun den Tagebau in Garzweiler schneller ausweiten und Millionen Tonnen Braunkohle verfeuern darf, ist damit dem Klima nicht geholfen."
Frust bei der Grünen Basis
Neben dem, was beschlossen wurde, kritisieren viele Grüne vor allem, wie es zu dem Beschluss kam. Die Verhandlungen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur und dem RWE-CEO Markus Krebber waren bis zuletzt geheim. Auch Bundestags- und Landtagsabgeordnete erfuhren erst kurz vor der Pressekonferenz von den Ergebnissen.
Michael Zobel, seit rund 20 Jahren Mitglied bei den Grünen, hat sich einen Namen gemacht rund um die Tagebaue. Bei 100 Wald- und Dorfspaziergängen durch den Hambacher Forst und durch die Dörfer am Tagebau hat er den Protest gegen die Braunkohletagebaue angeführt. Jetzt ist er aus der Partei ausgetreten.
Bislang allerdings ein Einzelfall, eine Austrittswelle gibt es in der Partei aktuell nicht. Aber Gesprächsbedarf über den Kohleausstieg. Diese Wogen gilt es jetzt auf dem Parteitag zu glätten.