Landtagswahl in NRW: Historisch niedrige Wahlbeteiligung schadete vor allem der SPD

Stand: 16.05.2022, 13:07 Uhr

Noch nie war die Wahlbeteiligung bei einer Landtagswahl in NRW so niedrig wie in diesem Jahr. Geschadet hat das vor allem der SPD.

Von Jörn Kießler

Ganz egal, welche Parteien am Ende die neue Landesregierung stellen und wie es politisch in NRW weitergeht, eines steht schon jetzt fest: Allein wegen der Wahlbeteiligung wird die Landtagswahl 2022 in die Geschichte eingehen. Seitdem Nordrhein-Westfalen 1950 zum ersten Mal einen Landtag wählte, gaben noch nie so wenige Menschen ihre Stimme ab: nur 55,5 Prozent der Wahlberechtigten.

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Geschadet hat das vor allem der SPD. Gut 300.000 Stimmen gingen den Sozialdemokraten nach Daten von Infratest dimap verloren, weil ihre Wähler und Wählerinnen zuhause blieben. Um wem es sich bei den Nichtwähler genaeu handelt, ist laut dem Politikwissenschaftler Martin Florack aber schwierig zu sagen.

Es handele sich dabei um keine einheitliche Gruppe von Menschen. Tendenziell würden aber eher Menschen mit einem "niedrigeren formalen Bildungsgrad und wenig Einkommen" seltener wählen gehen. Das schlechte Abschneiden der SPD habe aber auch daran gelegen, dass es die Partei nicht geschafft habe, die Wählerinnen und Wähler in ihren Hochburgen zu mobilisieren.

"Viele können sich dann nicht entscheiden, zu einer anderen Partei zu wechseln, aber sie wollen auch ihrer SPD nicht ihre Stimme geben." Dr. Martin Florack, Politikwissenschaftler

Aber nicht nur deswegen zeigte sich SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty besorgt. "Es ist insgesamt schlecht für die Demokratie, wenn nur gut jeder Zweite zur Wahl gegangen ist", so Kutschaty.

Das zeigt sich auch an den herben Verlusten, die FDP und AfD hinnehmen mussten. Die Liberalen verloren laut Infratest dimap auf diese Weise 120.000 Wähler. Die AfD sogar 160.000.

Grüne holen Nichtwähler an die Urnen

Und obwohl die CDU landesweit fast drei Prozentpunkte im Vergleich zur Landtagswahl 2017 zulegen konnte, gingen auch ihr die Stimmen von rund 160.000 Menschen verloren, weil diese einfach nicht wählen gingen. Diese Entwicklung sieht auch der Vorsitzende der Bundes-CDU als "keine gute Entwicklung für die Demokratie in Deutschland", so Friedrich Merz auf seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Montag.

"Ich würde mir wünschen, dass die Beteiligung an den Wahlen in Deutschland wieder größer wird. Und dass wir auch das Wählerpotential, das wir als Union haben, stärker ausschöpfen." CDU-Parteichef Friedrich Merz

Laut dem Politologen Klaus Schubert von der Uni Münster liegt die geringe Wahlbeteiligung aber nicht an einer allgemeinen Wahlmüdigkeit. "Sie ist spezifisch auf den Wahlkampf der Parteien und auf die Kandidaten zurückzuführen", so Schubert.

Ähnlich sieht das auch Martin Florack. Gerade in der letzten Phase des Wahlkampfs habe es vor allem die SPD nicht geschafft, klar herauszuarbeiten, was sie von der CDU unterscheide. "Und das hat dann auch nicht unbedingt dazu geführt, dass Mobilisierung stattfindet", so der Politikwissenschaftler.

Schubert sieht noch einen weiteren möglichen Fehler der SPD: Gegen Ende des Wahlkampfs habe der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten Thomas Kutschaty seine Nähe zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ins Spiel gebracht. Scholz werde jedoch von manchen als "eher schwach und wenig entscheidungsfreudig" angesehen, so der Politologe. "Das mag einige aus der SPD-Klientel abgehalten haben, abzustimmen."

Viele Nichtwähler in SPD-Gebieten, Grüne profitieren von hoher Wahlbeteiligung

Ganz anders bei den Grünen. Sie schafften es als einzige Partei, Nichtwähler dazu zu motivieren, doch wählen zu gehen. So sammelte die Partei etwa 30.000 Stimmen von Menschen ein, die bei der vergangenen Landtagswahl noch nicht gewählt hatten.

Dieser Trend zeigt sich auch in den Unterschieden zwischen den Wahlkreisen im Land. Vor allem in den traditionell von der SPD dominierten Gebieten war die Wahlbeteiligung extrem gering. Schlusslicht ist der Wahlkreis Duisburg III, wo lediglich 38,1 Prozent der Wahlbeteiligten zur Wahl gingen. Ähnlich sieht es in Gelsenkirchen II (43,6 %) und Wuppertal I (45,4 %) aus.

In den Gebieten, in denen die Wahlbeteiligung verhältnismäßig hoch war, profitierten vor allem die Grünen. So gewann der Grüne Frank Jablonski den Wahlkreis Köln II, in dem die Wahlbeteiligung mit 68,8 Prozent höher war, als in allen anderen Wahlkreisen in ganz NRW. Und auch im Wahlkreis Münster III - Coesfeld III (68,5 %) konnte eine grüne Kandidatin die meisten Erststimmen holen.

Der Wahlkreis mit der dritthöchsten Wahlbeteiligung im Land - Essen IV mit 67,2 Prozent - ging zwar an die CDU. Dort konnten die Grünen allerdings um mehr als 12 Prozentpunkte im Vergleich zur Landtagswahl 2017 zulegen.

Der WDR berichtet am Montag in zahlreichen Sendungen in Hörfunk und Fernsehen über die Ergebnisse und Folgen der Landtagswahl in NRW. So in allen Ausgaben von WDR aktuell im WDR Fernsehen um 12.45 Uhr, 16.00 Uhr, 18.00 Uhr und 21.45 Uhr. Außerdem in der "Aktuellen Stunde" um 18.45 Uhr. Um 20.15 Uhr wird ein WDR extra ausgestrahlt. Im Hörfunk thematisiert unter anderem WDR 5 die Landtagswahl im Tagesgespräch um 12.10 Uhr, in einem WDR 5 spezial um 13 Uhr, im Westblick um 17.04 Uhr sowie im Echo des Tages um 18.30 Uhr.

Kommentare zum Thema

  • Lisa 17.05.2022, 10:04 Uhr

    Ich bin wählen gegangen, weil die Frauen in der Vergangenheit kein Recht dazu hatten. Ich habe dieses Recht. Und auch wenn ich die Entscheidungen der Politiker (egal welcher Partei) nicht nach der Wahl beeinflussen kann, ist es schlimmer gar kein Mitspracherecht zu haben als nur ein kleines. Wer einen Unterschied machen will, der sollte wählen gehen. Aber um eine Partei wählen zu können, die mit den eigenen Werten übereinstimmt, fehlt es meiner Meinung nach an politischer Aufklärung. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen nichtmal den Unterschied zwischen linker und rechter Politik kennen (anabhängig von dem womit die Parteien vor einer Wahl werben und was sie versprechen).

  • Niczewitz 17.05.2022, 00:06 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

    • Janssen 17.05.2022, 19:11 Uhr

      Jeder darf bei der Auszählung im Wahllokal anwesend sein, da findet nichts im Geheimen statt. Man kann auch selbst als Wahlhelfer tätig werden um sicher zu sein, das alles korrekt abläuft. Die Wahlen laufen in Deutschland so transparent wie in kaum einem anderen Land ab. Ansonsten, wenn Sie wirklich ernsthafte Belege für Wahlmanipulation haben, dann erstatten Sie bitte Anzeige - sowas ist kein Kavaliersdelikt! Aber es ist natürlich viel einfacher nach Trump-Manier von Betrug zu reden, anstatt eine Wahlniederlage hinzunehmen. Wer die meisten Plakate aufhängt hat nicht auch automatisch die meisten Stimmen - sonst wären bei mir vor Ort Die Basis und MLPD die Wahlsieger.

  • Sabine 16.05.2022, 23:03 Uhr

    Bin das erste Mal nicht wählen gegangen, denn es macht keinen Unterschied. Jeder dreht sich seine Geschichte am Ende so, wie er will und es gibt keine klaren Haltungen mehr außer Angst Macherei mehr. So viele verdeckte Subventionen und Verträge für eine Verzerrung der Tatsachen und das Ausland lacht. Doch Hauptsache die Maske sitzt im Flieger. Ach und wenn die Hälfte der Menschen in NRW bildungsarm & gering Verdiener sind, finde den Fehler im System… oder weitermachen, dann sind es bestimmt irgendwann definitiv 70 %!