Als NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im Februar die Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2022 präsentierte, da war ihm anzusehen, wie sehr ihn besonders eine Zahl bedrückte: Die Zunahme der Straftaten durch Kinder und Jugendliche. Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit ein Plus von mehr als zwölf Prozent.
Ein Teil dieser Straftaten scheint an den Schulen in NRW stattgefunden zu haben. Auch dort hat die Kriminalität zugenommen, wie das Innenministerium auf eine Anfrage der AfD im Landtag aufschlüsselt. Für insgesamt mehr als 24.500 Straftaten hat die Polizei als Tatort "Schule" festgehalten, ein Anstieg von rund 19 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019.
"Im Lockdown ist etwas auf der Strecke geblieben"
Innenminister Reul sieht einen Zusammenhang zu den Einschränkungen während der Pandemie: "Sowas wie gesunde Streitkultur und Kräftemessen mit Gleichaltrigen ist im Lockdown zwangsläufig auf der Strecke geblieben. Kinder sind heute viel zu oft Täter", sagte Reul auf Anfrage.
Am häufigsten ist es laut der polizeilichen Statistik in Schulen oder auf dem Schulgelände zu Diebstählen gekommen (8.096), zu Körperverletzungen oder Bedrohungen (6.737) und zu Sachbeschädigungen (5.694). Dazu kamen mehr als 1.100 Drogendelikte, mehr als 1.000 Beleidigungen und mehr als 700 sexuelle Straftaten, darunter 21, die von der Polizei als Vergewaltigung eingestuft wurden.
Statistik zählt alle Taten auf dem Schulgelände - auch außerhalb der Schulzeit
Allerdings hat die Statistik eine Schwäche: Sie zeigt nicht automatisch, wie viele der Straftaten wirklich von Schülerinnen und Schülern begangen wurden oder wie viele während der Unterrichtszeit verübt wurden.
Die Polizei rechnet nämlich zu diesen Taten erst einmal alle hinzu, die sich auf einem Schulgelände oder im Umfeld der Schule ereignet haben. Auch ein Drogenverkauf nachts auf dem Schulhof durch einen Erwachsenen könnte also hier mitgezählt werden.
Taten, die einen direkten Zusammenhang mit dem Schulgeschehen oder dem Unterricht haben, erfasst die Polizei dagegen als "Ereignis Schule". Hier wurden 2022 etwas mehr als 9.000 Straftaten begangen - ein deutlicher Rückgang gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019. Damals waren es fast 15.000.
Lehrerverband: "Umgang ist respektloser geworden"
Trotz dieser Ungenauigkeiten bestätigt auch der Lehrerverband den Eindruck des Innenministers: "Der Umgang miteinander an den Schulen ist stärker geprägt von Respektlosigkeit, von Intoleranz", sagt Andreas Bartsch, Präsident des NRWL, "und mein subjektiver Eindruck sagt, es liegt auch an der Pandemie".
Um Konflikten und Straftaten an Schulen besser vorzubeugen, sollte die Landesregierung aus Sicht des Lehrerverbandes noch stärker auf Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter setzen. "Das Ziel muss sein, dass es an jeder Schule Sozialarbeiter gibt", sagt Lehrerverband-Präsident Bartsch. Die Lehrerinnen und Lehrer müssten sich wieder stärker Unterricht konzentrieren können.
Das NRW-Schulministerium verweist darauf, dass es in dem Bereich schon viel verbessert habe. So seien inzwischen mehr als 2.800 Stellen für die Sozialarbeit an Schulen geschaffen worden. Außerdem habe man in den Jahren 2020 und 2021 100 neue Stellen für Schulpsychologen eingerichtet.