Schon seit Jahren verlieren die Kirchen in NRW viele Mitglieder. Doch was im vergangenen Jahr passiert ist, übertrifft den bisherigen Mitgliederschwund. Die Zahl der Kirchenaustritte ist 2022 in die Höhe geschnellt. Konkret verließen 223.509 Menschen die Kirchen im Land. Das teilte das NRW-Justizministerium am Donnerstag mit.
Zum Vergleich: 2021 waren es 155.322 Kirchenaustritte gewesen. Schon das war die höchste Zahl gewesen, seitdem das Justizministerium im Jahr 2011 die Statistik begonnen hat. Dieser Rekord wurde nun in 2022 noch einmal deutlich übertroffen.
Wichtig ist: Aus den Zahlen lässt sich nicht ablesen, wie sich die Austritte nach Konfessionen aufschlüsseln. Es ist also unklar, welchen Anteil Katholiken und Protestanten jeweils haben.
Woelki sorgt auch für Austritte aus evangelischer Kirche
Angesichts des Ärgers um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki liegt zwar die Vermutung nahe, dass vor allem die katholische Kirche von den Austritten betroffen ist. Doch in der Praxis trifft das wohl nur bedingt zu. Offenbar trifft der Ärger vieler Kirchenmitglieder über den katholischen Erzbischof auch die evangelische Kirche. So hatte im Dezember der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, der "Rheinischen Post" gesagt, dass die evangelische Kirche in "Mithaftung" genommen werde. "In und um Köln verzeichnen auch wir Kirchenaustritte, die doppelt so hoch sind wie an anderen Stellen."
"Katholische Kirche wird zur Minderheitenkirche"
Doch wie sind die neusten Zahlen zu bewerten? Kirchenrechtler Thomas Schüller spricht von einer "hochdramatischen Dynamisierung der Kirchenaustrittszahlen". Was die katholische Kirche betreffe, so schreite deren Vertrauensverlust immer schneller voran. In NRW müsse die zentrale Verantwortung bei Woelki gesucht werden. Der Kölner Erzbischof habe das Ansehen der katholischen Kirche stark in Mitleidenschaft gezogen und sei zum Katalysator einer Austrittsbewegung geworden. "Davon wird sich die katholische Kirche auf lange Zeit nicht mehr erholen und sie pulverisiert sich selbst zu einer Minderheitenkirche, die kaum noch Einfluss auf ihre eigenen Gläubigen, geschweige denn auf virulente gesellschaftliche Fragen haben wird", sagte Schüller.
Auf einen anderen Aspekt wies schon vor ein paar Tagen Petra-Angela Ahrens vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland hin. So sagte sie der "Kölnischen Rundschau", dass die Kirchenmitgliedschaft für die Menschen immer weniger plausibel werde. Mittlerweile gebe es einen "Sogeffekt". "Gerade bei Jüngeren erleben wir verstärkt einen Kirchenaustritt bei Gelegenheit, der keinen besonderen Anlass wie kirchliche Skandale oder enttäuschende Erfahrungen braucht, manchmal sogar in Absprache mit Familienangehörigen oder Freunden." Nicht wer aus der Kirche austrete, müsse das heute gesellschaftlich begründen, sondern wer in der Kirche bleibe.