"Dann wollen wir jetzt gucken, dass ein paar Leute mehr in Gelsenkirchen aufwachen", sagt Robert Herrmann zu seinen Kollegen im Lagezentrum der Gelsenkirchener Polizei. Er ist Einsatzleiter einer Großrazzia im Clanmilieu. Über 100 Beamte an acht Zielorten sind beteiligt. Es gibt acht Tatverdächtige: fünf Syrer, ein Deutscher und zwei Mitglieder einer türkisch-libanesischen Großfamilie.
Sie sollen einen Drogenring betreiben und gelten als gefährlich. Deshalb ist auch das SEK mit dabei. Über 400 solcher Razzien gibt es in NRW pro Jahr. Die Ermittlungen sind oft sehr aufwändig, die Familienstrukturen undurchsichtig.
Die "Politik der 1000 Nadelstiche“
Vor sieben Jahren rief Herbert Reul die so genannte Politik der Tausend Nadelstiche aus. Sie sollte die Geschäfte der Clans nachhaltig stören, durch hohen Kontrolldruck mit Razzien in Shishabars, Spielhallen und Cafés. Dabei agiert die Polizei gemeinsam mit Ordnungsämtern und Finanzbehörden. Häufig stoßen die Ermittler dabei aber nur auf ein paar Päckchen unversteuerten Shishatabak.
Doch die Straftaten mit Clanbezug haben in NRW zuletzt einen Höchststand erreicht: Mehr als 7.000 Straftaten innerhalb eines Jahres ordnet das NRW-Innenministerium zuletzt kriminellen Großfamilien zu. Am häufigsten geht es dabei um Körperverletzung, Raub, Betrug oder Drogen. Zehn Prozent der Straftaten sind Verkehrsdelikte.
Innenausschuss zu Clan-Kriminalität. WDR 5 Westblick - aktuell. 31.10.2024. 05:48 Min.. Verfügbar bis 31.10.2025. WDR 5.
Zu wenig Ermittler für zu viele Fälle
Wirklich große Fälle oder organisierte Kriminalität deckt die Polizei selten auf. 2023 hat es gerade mal sechs so genannte OK-Verfahren gegeben. Der Innenminister steht seitens der Gewerkschaften in der Kritik, weil er nicht genügend Personal für die großen Fälle bereitstelle. Die Zahl der Ermittler sei in den vergangenen zehn Jahren nicht signifikant gestiegen, sagt Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Aber die Herausforderungen werden größer, so Huth.
Ähnlich sieht es Birgit Orths. Sie ist Steuerfahnderin. An Clanfällen arbeitet sie bis zu fünf Jahre: "Ich muss unfassbar viele Vorermittlungen machen, verdeckte Maßnahmen, die man aus dem Fernsehen kennt, mit Observationen, verwanzte Autos." Auf ihrem Schreibtisch stapele sich die Arbeit, zwanzig zusätzliche Ermittler bekäme sie sofort beschäftigt, sagt sie.
Tumultlagen und geringe Haftstrafen
Die Clans agieren meist im Verborgenen. Für den Normalbürger wird das Problem nur sichtbar, wenn Streitigkeiten im Milieu eskalieren. Das passiert allerdings vor allem in den Hochburgen immer wieder.
Eine Schießerei mit 100 Beteiligten zwischen einer Clanfamilie und einem Rockerclub in Duisburg sorgte im Mai 2022 für bundesweite Schlagzeilen.
Trotz zahlreicher Videos und Zeugen konnten nur vier Beschuldigte ermittelt werden, zwei landeten am Ende vor Gericht. Die Strafen fielen mit zwei und fünf Jahren relativ milde aus, findet auch der Duisburger Polizeipräsident und ehemaliger Staatsanwalt Alexander Dierselhuis.
Es handele sich hier um professionelle Straftäter, die den Rechtsstaat verachten. "Das kann ich nicht behandeln wie einen Streit, den andere Leute in der Kneipe haben", so Dierselhuis. Die Staatsanwaltschaft und ein Angeklagter haben gegen das Urteil Revision eingelegt
Zweifel an Reuls Clanpolitik
Die neueste Tumultlage spielte in einem Essener Krankenhaus im Herbst 2024. Angehörige einer libanesischen Großfamilie griffen medizinisches Personal an. Anlass? Ein 87-jähriger Angehöriger war kurz zuvor im Krankenhaus verstorben.
Bei den Ausschreitungen werden sieben Angestellte verletzt, eine Frau muss sogar stationär behandelt werden. Der Fall schlägt hohe Wellen und ist wenig später Thema im Innenausschuss des NRW-Landtags.
Für die Opposition ist Reuls Clanpolitik gescheitert. "Er inszeniert sich immer als der harte Hund, der wirklich dem Verbrechen ein Riegel vorschiebt. Aber die Zahlen und die Fakten sind ja nun mal etwas ganz anderes", sagt Marc Lübke, innenpolitischer Sprecher der FDP Fraktion.
"Es braucht zum Beispiel auch Strukturermittlungen in die Clans rein. Und da habe ich gerade in der letzten Zeit nicht gesehen, dass der Innenminister da besonders aktiv war", sagt Christina Kampmann von der SPD und greift damit die Kritik der Gewerkschaften auf.
Dennoch sieht sich Reul auf dem richtigen Weg: Tumulte wie den im Krankenhaus habe es in Essen früher jede Woche gegeben, jetzt zwei bis drei im Jahr. Immer wieder betont er, dass es schnelle Lösungen nicht gebe.
Menschen mit "Clannamen" werden stigmatisiert
Aktuell spricht die Polizei von Clankriminalität bei Straftaten, die von Menschen mit bestimmten Familiennamen begangen werden. Für den so genannten "namenbezogenen Ansatz" steht Reul seit Jahren in der Kritik. Weil so auch Unbeteiligte in den Fokus geraten, nur weil die den falschen Nachnamen haben.
Herbert Reul räumt ein, dass das ein Problem ist: "Ich will gar nicht bestreiten, dass das Risiko besteht. Man stigmatisiert Menschen, die die Namen haben und damit auch die, die ordentlich sind. Aber mit dem Argument hat man 30 Jahre nichts getan, weil man sich nicht getraut hat."
Doch auch mit Reuls Clanpolitik bekommt das Problem mit den kriminellen Großfamilien immer mehr Dynamik. Neben den türkisch-libanesischen Clans gibt es zunehmend auch Probleme mit Großfamilien aus Südosteuropa und auch mit syrischen Clans.
Die Dokumentation "Drogen, Gewalt und Waffen - NRW im Griff der Clans?" senden wir am Donnerstag, 10.04.2025, im WDR-Fernsehen ab 21.00 Uhr. Sie ist außerdem ab sofort in der ARD-Mediathek zu sehen.