Mann mit Kippa (Symbolbild)

Umfrage: Antisemitismus in NRW weit verbreitet

Stand: 24.09.2024, 12:02 Uhr

Hass auf Juden ist in NRW in breiten Schichten der Bevölkerung anzutreffen. Dies geht aus einer neuen repräsentativen Umfrage hervor. Eine Altersgruppe ist demnach besonders israelfeindlich.

Von Martin TeiglerMartin Teigeler

In einer repräsentativen Allensbach-Umfrage plädiert fast die Hälfte der Befragten in NRW dafür, einen "Schlussstrich" unter den Holocaust zu ziehen. Das ist ein Ergebnis der Studie "Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024", die NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und die Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Dienstag vorstellten.

"In der Studie wird zwischen vier Erscheinungsformen des Antisemitismus unterschieden: religiöser Antisemitismus, moderner (oder: ‚tradierter‘) Antisemitismus, sekundärer (oder: ‚holocaustbezogener‘) Antisemitismus und israelbezogener Antisemitismus." Studie "Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024"

Teenager israelfeindlich eingestellt

Der Umfrage zufolge gibt es bei antisemitischen Einstellungen kaum Altersunterschiede - "allerdings sind 16- bis 18-jährige auffällig israelfeindlich eingestellt". Die Forscher führen als möglichen Grund den hohen Konsum von Hetzvideos auf Tiktok bei unter 20-Jährigen an.

Eine weitere Erkenntnis: Bei allen Indizes außer dem israelbezogenen Antisemitismus haben "Befragte, die sich subjektiv als AfD-Wähler einstufen, im Durchschnitt einen signifikant höheren Antisemitismuswert" als befragte Wähler von CDU, SPD, Grünen und FDP.

Keinen messbar stärkeren Antisemitismus gab es demnach bei Menschen mit Migrationshintergrund. Wer regelmäßig ein Gotteshaus besucht, hat laut Studie höhere Werte "beim offen modernen und religiösen Antisemitismus" - und dies "unabhängig von der Konfession".

Politiker alarmiert

Leutheusser-Schnarrenberger sprach in Düsseldorf von "zum Teil erschreckenden Erkenntnissen" aus der Studie, die sie bereits 2022 angestoßen hatte. Um die Wirkungen des Hamas-Terrorangriffs vom 7. Oktober 2023 auf Israel auf Einstellungen in der NRW-Bevölkerung abzuwarten, wurde die Umfrage erst im Frühjahr 2024 durchgeführt.

Minister Reul will über Konsequenzen aus der Studie nachdenken: "Das können wir nicht einfach so weiterlaufen lassen." Das Problem des Antisemitismus sei noch größer als bisher angenommen.

Weitere zentrale Ergebnisse der Umfrage:

  • Zehn Prozent der Befragten stimmen sogenannten systematisch modern-antisemitischen Aussagen zu, die offen formuliert werden, wie etwa dass „Juden […] zu viel Einfluss auf die öffentliche Meinung in Deutschland“ habe.
  • Je nach Fragestellung haben acht bis 24 Prozent der Befragten "tief verankerte antisemitische Überzeugungen".
  • Rund ein Viertel der Befragten glaubt auch, dass der Zentralrat der Juden Unfrieden in Deutschland schüre und darum abgeschafft werden sollte.
  • Fast die Hälfte (46 Prozent) stimmte verklausulierten Aussagen von einem übermäßigen jüdischen Einfluss in der Welt zu.
  • Die Landbevölkerung hat laut Studie "signifikant niedrigere Antisemitismuswerte bei den Indizes moderner offener und israelbezogener Antisemitismus" als die Großstadtbevölkerung.

Dass Hass, Hetze und Gewalt gegen Juden auch in NRW zugenommen haben, ist seit dem Hamas-Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober traurige Realität. NRW-Innenminister Reul und die Landes-Antisemitismus-Beauftragte Leutheusser-Schnarrenberger hatten dazu bereits in den letzten Monaten Statistiken und Berichte vorgelegt.

Wie der Hamas-Terror Juden in der Diaspora traumatisiert

WDR Lebenszeichen 16.06.2024 28:53 Min. Verfügbar bis 14.06.2025 WDR 5


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Forscher für Tiktok-Regulierung

Prof. Dr. Lars Rensmann (l.) und Prof. Dr. Heiko Beyer bei der Vorstellung der Studie "Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von NRW im Jahr 2024"

Prof. Dr. Lars Rensmann (l.) und Prof. Dr. Heiko Beyer bei der Vorstellung der Studie in Düsseldorf

Die Wissenschaftler, die die neue Befragung konzipiert und ausgewertet haben, plädierten unter anderem für eine verstärkte Debatte über eine Regulierung von sozialen Medien wie Tiktok. "Das ist keine Meinungsfreiheit, sondern gezielte Indoktrination", sagte der Politologe und Antisemitismusexperte Lars Rensmann. Auf Basis von Desinformation habe eine Demokratie "keine Zukunft".

Der Sozialwissenschaftler Heiko Beyer sprach von einer "beunruhigenden Normalität" antisemitischer Einstellungen in NRW. Die Werte lägen höher als bei früheren Studien und Umfragen. Bemerkenswert sei, dass der Anteil bei "hochgebildeten und politisch linken Befragten sogar wahrscheinlich noch unterschätzt wird, da diese, wie unsere Umfrage-Experimente nahelegen, dazu neigen, ihre Einstellungen nicht offen zuzugeben".

Basis der Studie ist eine repräsentative Umfrage in Nordrhein-Westfalen. Die persönliche Befragung von 1.300 per Quotenverfahren ausgewählten Personen ab 16 Jahren wurde vom Institut für Demoskopie Allensbach im März und April 2024 durchgeführt. 

Unsere Quellen:

  • Pressekonferenz zur Studie in Düsseldorf
  • Nachrichtenagentur dpa