Aktuelle Filme nicht im Kino anschauen, sondern auf dem Smartphone: Auf der Videoplattform TikTok ist das derzeit immer öfter möglich. Und das läuft so ab: User sehen zuerst ein Filmplakat. Beim Anklicken kommt die Aufforderung, den Vollbildmodus zu aktivieren. Und dann geht’s los: Zu sehen sind Filme und Serien wie etwa "Sonic", "Mufasa" oder "Squid Game" - in voller Länge bei vergleichsweise guter Qualität. Doch Medienrechtsexperten warnen: Aktuelle Kinofilme per TikTok-Livestream sind nicht nur für den Streamer juristisch riskant, sondern auch für den User. Es drohen Abmahnungen und Schadenersatz-Zahlungen.
- Ist es urheberrechtlich erlaubt, aktuelle Kinofilme auf TikTok zu streamen?
- Lässt sich schon abschätzen, welcher Schaden durch dieses Streamen für die Filmbranche entsteht?
- Was sind das für Leute, die Kinofilme streamen und auf TikTok stellen?
- Wie könnten die Rechteinhaber gegen das illegale Streaming vorgehen?
- Mache ich mich auch mit dem Anschauen der Kinofilme auf TikTok strafbar? Was droht mir?
- Wie kann man mir denn überhaupt auf die Schliche kommen, wenn ich mir einen Kinofilm auf TikTok anschaue?
- Besteht die Gefahr, dass User auf illegale Webseiten umgeleitet werden, die womöglich persönliche Daten abfragen?
Ist es urheberrechtlich erlaubt, aktuelle Kinofilme auf TikTok zu streamen?
Nein, das ist nicht erlaubt. "Die meisten der auf TikTok gezeigten Filme sind urheberrechtlich geschützt", sagt der Kölner Medienrechtsexperte Prof. Christian Solmecke dem WDR. Dies bedeute, dass allein den Rechteinhabern die Rechte an dem Film zustehen. Diese betreffen beispielsweise die Vervielfältigung oder auch die öffentliche Wiedergabe. Ohne Erlaubnis durch den Rechteinhaber des jeweiligen Films, stellt die öffentliche Wiedergabe eines Films eine Urheberrechtsverletzung nach Paragraph 15 des Urheberrechtsgesetzes dar. Zudem liege wohl auch ein Verstoß gegen das Senderecht nach Paragraph 20 des Urheberrechtsgesetzes vor, so Solmecke.
Mache ich mich auch mit dem Anschauen der Kinofilme auf TikTok strafbar? Was droht mir?
In der Theorie kann das Ansehen von Filmen eine Verletzung des Urheberrechts bedeuten, sagt Rechtsanwalt Philipp Obladen dem WDR. Das hänge aber auch davon ab, wie man das Recht auslegt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte bereits 2017 entschieden, dass das Ansehen illegaler Streams von Filmen und Serien rechtswidrig ist (Urteil C-527-15). "Im Kern ging der EuGH davon aus, dass sich Nutzer immer dann illegal verhalten, wenn sie beim Streaming von der Rechtswidrigkeit des verbreiteten Streams Kenntnis hatten oder diese hätten haben müssen", sagt auch Rechtsanwalt Christian Solmecke. Davon sei immer dann auszugehen, wenn aktuelle Kino-Blockbuster oder Top-Serien, die nicht legal abrufbar sind, im Internet als Streams verfügbar gemacht werden.
Eine andere Argumentation könnte laut Rechtsanwalt Philipp Obladen sein, dass man beim Scrollen ja kaum verhindern könne, dass einem der Film angezeigt würde. Dann müsse man die Frage diskutieren, ab wann man sich strafbar mache - nach einer Minute Schauen, nach einer halben Stunde? Zudem müssten die Rechteinhaber erst einmal klagen und auch nachweisen können, dass man den Film gesehen habe. Verklagt werden würde eher TikTok selbst, sagt Obladen.
Fest steht aber: Wer sichergehen will, keine Strafe zu bekommen, sollte sich auf TikTok keine Filme und Serien anschauen.
Lässt sich schon abschätzen, welcher Schaden durch dieses Streamen für die Filmbranche entsteht?
Das hängt von den Zuschauerzahlen dieser Streams ab. "Umfangreiche Schäden sind hier nicht auszuschließen", sagt Solmecke. Dies werde gerade bei den aktuellen Kinofilmen deutlich. Jeder Nutzer, der sich einen aktuellen Kinofilm ohne zu zahlen auf TikTok in teils hervorragender Qualität ansieht, werde den Film nicht ein zweites Mal im Kino sehen wollen - und entsprechend fließe kein Geld mehr in die Kinokassen. "So entgehen der Filmbranche je nach Zuschaueranzahl enorme Summen", sagt Solmecke.
Was sind das für Leute, die Kinofilme streamen und auf TikTok stellen?
Medienrechtsexperte Solmecke vermutet, dass das in der Regel normale TikTok-Nutzer sein dürften. Schließlich könne jeder, der mindestens 18 Jahre alt ist und mehr als 1.000 Follower auf TikTok hat, einen Livestream starten. Diese Voraussetzungen dürften Millionen von Nutzern erfüllen. "Und vielfach werden sich Nutzer die Follower einfach kaufen", so Solmecke. Daher komme jeder TikTok-Nutzer als Täter in Betracht.
Wie könnten die Rechteinhaber gegen das illegale Streaming vorgehen?
Rechteinhaber wie Warner Bros. oder Constantin Film können TikTok-Nutzer direkt abmahnen, zum Beispiel, wenn diese unter ihrem Klarnamen Filme zeigen. "Ansonsten können die Rechteinhaber Auskunftsansprüche gegenüber TikTok geltend machen", sagt Solmecke. Konkret wäre es möglich, dass die Rechteinhaber bei TikTok nach Postanschrift, E-Mail-Adresse, Telefonnummer und Geburtsdatum von Nutzern fragen und dann zivilrechtlich per Abmahnung gegen sie vorgehen. Die Rechteinhaber könnten auch Strafanzeige stellen. Und Ermittlungsbehörden könnten sogar ohne Anzeige ermitteln.
Praktisch ist das natürlich nicht so einfach nachzuweisen, dass sich jemand auf TikTok einen aktuellen Kinofilm angeschaut hat, wie der Jurist und Content Creator Tim Hendrik Walter einräumt. Walter veröffentlicht auf TikTok regelmäßig Videos unter dem Namen "Herr Anwalt" und erklärt darin Rechtliches, so auch zu gestreamten Kinofilmen auf TikTok. Er sagt: Wer fleißig während des Films beispielsweise "Wow, geiler Film" kommentiert, der müsse sich nicht wundern, wenn er rechtlich belangt werde. "Also, lass es im Zweifel lieber. Und warne bitte alle deine Leute auf TikTok davor", sagt "Herr Anwalt" in seinem Video.
Online-Kriminelle lauern heutzutage überall. "Keinesfalls sollten Nutzer daher irgendwelche Daten preisgeben, wenn einem die Seite auch nur im Geringsten dubios vorkommt", so Solmecke. Von reinem Datenklau über Identitätsdiebstahl bis hin zu erheblichen finanziellen Einbußen kann alles passieren. Hier heißt es also vor allem: Wachsam bleiben und im Zweifel Seiten verlassen. Wer über TikTok auf Drittseiten weitergeleitet wird, sollte immer vorsichtig sein.
Unsere Quellen:
- Medienrechtsanwalt Christian Solmecke gegenüber dem WDR
- TikTok-Video von "Herr Anwalt"