Ich muss diese Kolumne mit einem Geständnis starten: Ich mag Alkohol gar nicht. In 90 Prozent der Fälle finde ich nicht mal, dass er schmeckt. Bier, Wein, Crémant, Whiskey, Vodka, Mixgetränke. Nichts davon trinke ich wirklich mit Genuss. Ich mag nicht, was der Alkohol aus Menschen macht, die um mich rum sind. Ich mag es nicht, dass viele in meinem Umkreis keinen anderen Umgang mit dem Stress des Lebens finden, als nach Feierabend oder am Wochenende zu trinken. Ich mag es nicht, wenn meine Freunde davon aggressiv oder weinselig werden, ich hasse die Rolle, die der Alkohol in tragischen Geschichten in meiner Familie gespielt hat - die Geschichten, die es so oft in so vielen Familien gibt.
Und trotz allem: Ich trinke auch regelmäßig. An Wochenenden, auf Geburtstagen, auf Hochzeiten. Keine obszönen Mengen, ich vertrage Alkohol ja nicht mal besonders gut. Aber ich bin regelmäßig angesäuselt. Weil, wenn wir hier schon mal ehrlich sind: Die meisten von uns sind nicht besonders gut darin, sich gegen Gruppendynamiken und den gesellschaftlich akzeptierten und sogar kulturell geförderten Drogenkonsum zu stemmen. Sind wir Menschen nicht wunderbar widersprüchlich? Dass wir Dinge tun, die uns nicht gut tun, die wir nicht mal mögen?
Der Alkoholrausch ist gesellschaftlich akzeptierter Kontrollverlust
Und so werde ich auch an diesem Feiertag wieder beim Tanz in den Mai mehr Vodka-Mates und Aperol Spritz trinken, als mir guttun. Und das werden wahrscheinlich sehr viele andere Menschen hier in Deutschland auch tun. Zum Beispiel die, die im Rheinland oder auch in meiner bayerischen Heimat Maibäume für ihre Freundinnen aufstellen und sich beim Bewachen des Maibaums zusammen mit ihren Freunden die Nacht mit einigen Kästen Bier um die Ohren schlagen. Oder die Vatertags-Kolonnen, die mit ihren Bollerwägen durch die Dörfer und Felder ziehen und den ein oder anderen über den Durst trinken werden.
Das regelmäßige Besäufnis bringt Deutschland zusammen. Die Konservativen trinken aus Tradition, die Linken als Akt der Rebellion, als Aufbäumen gegen die Zwänge einer Leistungsgesellschaft. Was sie vereint: Die meisten finden Nicht-Trinker langweilig. Und wer will schon langweilig sein? Alkohol ist Mainstream, der Alkohol-Rausch der einzige gesellschaftlich akzeptierte Kontrollverlust. Dabei, und das muss ich hier glaube ich niemandem erzählen, spricht vieles gegen Alkohol. Er macht uns süchtig, er schadet unseren Körpern und der Wirtschaft. 57 Milliarden jedes Jahr kostet unser Alkoholkonsum der Volkswirtschaft.
Haben wir uns damit abgefunden? Eine Gruppe offensichtlich noch nicht: Die vielbesprochene Gen Z. Denn Befragungen zeigen: Tendenziell trinken immer weniger junge Menschen Alkohol. Der Trend geht Richtung Nüchternheit. Laut einer repräsentativen Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2022 gaben deutlich mehr jüngere Menschen als bisher an, nicht regelmäßig Alkohol zu trinken. Auch eine internationale Onlineumfrage von YouGov kommt zu dem Ergebnis. Demnach verzichten knapp die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland komplett auf Alkohol. Die Daten von YouGov basieren auf Umfragen in 26 Ländern. Befragt wurden mehr als 250.000 Personen. Die genaue Fragestellung lautete: Inwieweit stimmen Sie der folgenden Aussage zu oder nicht zu? Ich trinke keinen Alkohol. Als Antwort zulässig war eine Zustimmung, Nicht-Zustimmung oder ein Weder-noch.
Tauscht die Gen Z Alkohol gegen andere legale Drogen aus?
Psychologen, Journalistinnen, Soziologen - sie alle haben sich schon Gedanken darüber gemacht, warum das so ist. Das machen wir ja gerne, mal mit Belustigung oder mit Erstaunen auf "diese jungen Menschen da" gucken. Da wird darüber spekuliert, dass Selbstoptimierung und Selbstdarstellung auf Social Media wichtiger geworden sei - da passe der Suff nicht ins Bild. Dass sich das Leben mehr ins Digitale verlagert hätte, da werde weniger getrunken. Dass jungen Menschen ihre Mental Health wichtiger sei, als den Generationen zuvor.
Ich finde das immer befremdlich, wenn auf junge Menschen so geguckt wird als wären sie Zootiere. Also frage ich einfach die Teenager in meinem Leben, ob sie trinken oder nicht und warum. Die Antworten? Reichen von "nur ganz manchmal" zu "schmeckt mir gar nicht" oder "killt meine Gains" (zerstört Fortschritte beim Sporttraining). Das sind jetzt keine Umfragen und Studien, sondern Anekdoten aus meinem Umfeld - aber sie zeigen mir schon, dass mein Bruder und seine Freunde deutlich gediegener unterwegs sind als mein Jahrgang in ihrem Alter.
Zieht sich die Gen Z aus dem gesellschaftlich akzeptierten Rausch raus? Das glaube ich nicht. Rauschzustände finden wir Menschen schon immer gut. Das wird sich auch nicht ändern. Laut dem Jahrbuch Sucht der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen steigt schon seit Jahren der problematische Cannabiskonsum. In vielen Kiosken kann man Lachgaskartuschen mit Luftballons kaufen, fertig zum Inhalieren, für den kurzen Kick. Legaler Rausch geht inzwischen ja auch ganz gut ohne Alkohol.
Aber die Saufgelage am 1. Mai wären vielleicht doch nochmal für uns alle ein guter Anlass, um in sich zu gehen und sich zu fragen: Will ich gerade überhaupt Alkohol trinken? Oder trinke ich nur, weil man das eben so macht? In dem Sinne wünsche ich allen einen schönen 1. Mai und wer sich bewusst oder trotzdem weiterhin unbewusst ein Gläschen gönnen will: Prost!
Welche Rolle spielt Alkohol in unserer Gesellschaft? Und wie verbringen Sie die freien Tage? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.
Kommentare zum Thema
Bitburger 0,0 Herb - Super Kompromiss für alle die Bier mögen, aber klar bleiben möchten. Es gibt auch andere Hersteller die 0,0 anbieten, da müsste teilw. aber noch geschmacklich dran gearbeitet werden. Wichtig ist nur 0,0 ist auch wirklich komplett alkfrei! Für manche von uns ist das relevant! Nicht alle Supermärkte und Getränkeläden haben da die gleiche Auswahl. Der Trend ist aber (hoffendlich) dahingehend. Alkohol richtet einfach zu viel Schaden an und das wissen doch die meißten. Für alle, die sich alkoholfrei ausgegrenzt fühlen sage ich euch: stark bleiben und darauf hoffen, dass die Anderen vielleicht doch noch ihr Hirn gebrauchen und behalten wollen. :-)
Solange in Dorsten die Tri Kernheilanstalt gegenüber einem Spielplatz liegt und keine Milchbar installiert ist, wird sich die Anwohner Schaft wohl weiterhin mit Zerstörung von Toiletten. herum ärgern müssen. Anstatt dort Hühner frei umherlaufen zu lassen als erstes Alarmzeichen, dass du h gekümmert werden muss.
Alkohol war nach Zigaretten die zweite Drogenbegegnung in meinem Leben. Glücklicherweise bekam ich vom Alkohol regelmäßig einen schweren Kater und habe schon früh Cannabis für mich entdeckt. Letzteres hat mich als Musiker und Mensch kreativer gemacht und als Asthmatiker nebenwirkungsmäßig beschwerdefrei. Also Genuß und Gesundheit statt Suff und Krankheit. In meiner Nachbarschaft und Familie wurde schon immer viel getrunken. Nun, nach einigen Jahrzehnten sieht man die Auswirkungen: Schlaganfälle, Fettleber, Jähzorn, Aggressivität, Bierbäuche uvm. Angesichts dessen plädiere ich rauschmäßig für Cannabis.