Das genaue Ausmaß des Schadens, den das Hochwasser am Pfingstwochenende im Saarland angerichtet hat, ist noch nicht abzusehen. Klar ist aber schon jetzt: Der Wiederaufbau wird Jahre dauern und Millionen kosten. Viele betroffene Privateigentümer haben ihr Haus nicht auf Flutschäden versichern lassen - und stehen jetzt vor dem finanziellen Ruin.
Flutkatastrophen werden auch in Zukunft immer häufiger auftreten - auch in Regionen, die als nicht so stark gefährdet gelten. Die Bundesländer fordern deswegen schon seit mehr als einem Jahr eine deutschlandweite Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Die Bundesregierung und die Versicherer sind dagegen. Im Juni beraten die Länder darüber mit Bundeskanzler Olaf Scholz.
Bedrohte Häuser sind häufig nicht versichert
Elementarschäden sind Schäden, die bei Naturkatastrophen eintreten. Sie sind häufig so drastisch, dass Versicherer sie nicht in die allgemeine Wohngebäudeversicherung mit aufnehmen. Wer sich für den Katastrophenfall absichern möchte, muss je nach Gefahrpotenzial zwischen 100 Euro und 2.000 Euro im Jahr zahlen.
Menschen, die in Gebieten wohnen, die von Naturkatastrophen besonders bedroht sind, bekommen häufig nur Versicherungen mit sehr hohem Eigenanteil im Schadensfall angeboten. Deswegen sind ausgerechnet die Menschen, die in der Nähe von Hochwasser-bedrohten Flüssen wohnen, häufig nicht gegen Elementarschäden versichert. Im Katastrophenfall wurden sie bisher häufig von staatlichen Hilfen gerettet.
NRW besonders gefährdet
Im bundesweiten Vergleich ist Nordrhein-Westfalen besonders gefährdet. Nach Angaben des GVD-Naturgefahrenreports waren 2023 in Baden-Württemberg fast alle Wohngebäude auch gegen Elementarschäden versichert (94 Prozent). In NRW waren es dagegen nur knapp mehr als die Hälfte (56 Prozent). Die Situation ist bedrohlich, weil sich nach Berechnungen des GDV in NRW 28.052 Gebäude in gefährdeten Hochwasserlagen befinden.
Der GDV kritisiert: "Wir planen, bauen und sanieren in Deutschland unseren Gebäudebestand auf Basis von Normen, denen der Schutz vor Klimafolgen weitgehend fremd ist." Der Dachverband spricht sogar von "Katastrophen auf Wiedervorlage".
NRW fordert Pflichtversicherung
Seit der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 fordern die damals betroffenen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinlandpfalz deswegen eine Pflichtversicherung für alle privaten Wohngebäude-Eigentümer - unabhängig davon, wie gefährdet das jeweilige Haus ist. Menschen, die in vermeintlich sicheren Regionen wohnen, würden dann solidarisch einzahlen und die Versicherung für Menschen in Risikogebieten bezahlbar machen. Dem von NRW im März 2023 eingereichten Antrag wurde vom Bundesrat einstimmig zugestimmt.
NRW-Justizminister Benjamin Limbach hat nach dem Pfingsthochwasser im Saarland die Forderung der Länder im WDR-Interview noch mal bekräftigt: "Viele Menschen an der Ahr oder im Saarland haben vor einigen Jahren noch gedacht, dass ihnen da nichts passieren kann. Und weil solche Schäden nicht an Landesgrenzen halt machen, brauchen wir eine bundeseinheitliche Pflichtversicherung."
Bundesjustizministerium ist dagegen
Bisher scheiterte der Vorschlag am Bundesjustizministerium. FDP-Justizminister Marco Buschmann argumentiert, dass durch eine Versicherung nicht das Problem der Gefahr durch Schäden gelöst werde. Außerdem sei eine Prüfung und Umsetzung der Versicherungspflicht bei den 19 Millionen Wohngebäuden in Deutschland zu aufwendig.
Eine Versicherungspflicht würde die Wohnkosten für alle steigern. Eigentümer würden die Versicherungskosten an ihre Mieter weiterleiten. Das wäre bei der angespannten Lage vieler Haushalte nicht zumutbar.
NRW-Justizminister Limbach argumentiert mit Solidarprinzip
Die Länder entgegnen auf das Kosten-Argument des Justizministeriums, dass aktuell die Kosten von Schadensereignissen durch Steuermittel getragen werden. "Die Bürger werden sowieso indirekt zur Kasse gebeten. Es ist am sinnvollsten, wenn die Solidargemeinschaft gemeinsame Risiken absichert. So wie wir das seit dem 19. Jahrhundert mit der Kranken- und Rentenversicherung haben", sagte Limbach dem WDR.
Versicherer schlagen Gesamtpaket vor
Die Versicherer schlagen ein Gesamtpaket aus einer flächendeckenden freiwilligen Versicherung, einer Beteiligung des Staates im Katastrophenfall und mehr Investitionen in präventive Schutz-Maßnahmen vor. Der Haupt-Geschäftsführer des GDV, Jörg Asmussen, sagte dem WDR, dass eine Pflichtversicherung nicht den verstärkten Schutz gegen Naturkatastrophen ersetzen könne - der sei von den Ländern in den letzten Jahren vernachlässigt worden.
NRW-Justizminister Limbach wehrte sich im WDR-Interview gegen die Vorwürfe: "Unsere Forderung nach einer Pflichtversicherung bedeutet nicht, dass wir nicht auch an die Prävention drangehen. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe und ich finde auch, dass wir damit in den letzten Jahren auch ein paar Schritte vorangekommen sind", sagte Limbach. "Viel zu wenig", finden die Versicherer.
Wäre eine Pflichtversicherung verfassungskonform?
2017 ist ein Vorschlag für eine Elementarschaden-Pflichtversicherung an verfassungsrechtlichen Bedenken gescheitert. Mittlerweile haben die Naturkatastrophen aufgrund des Klimawandels so zugenommen, dass auch Menschen davon betroffen sind, die nicht in klassischen Risikoregionen wohnen. Eine rechtliche Prüfung der Landes-Justizministerien bestätigte, dass deswegen eine Pflichtversicherung für alle verhältnismäßig wäre. Sie ist 2023 dann auch von der Bundesregierung als grundsätzlich verfassungskonform eingestuft worden.
Beratungen im Juni
Am 20. Juni beraten die Länder mit Bundeskanzler Olaf Scholz über eine mögliche Umsetzung des Vorhabens. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in den vergangenen Tagen für eine Pflichtversicherung ausgesprochen. Das FDP-geführte Bundesjustizministerium bleibt bisher bei seiner ablehnenden Haltung. Einen konkreten Gegenvorschlag der Bundesregierung gibt es nicht.
Quellen