
Fünf Jahre Corona-Virus: "Ich hatte Angst, dass er sich radikalisiert"
Stand: 11.03.2025, 06:00 Uhr
Vor genau fünf Jahren erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Corona-Ausbruch offiziell zur globalen Pandemie. Welche Folgen hatte das Virus auf unsere Gesellschaft und welche Spuren sind bis heute geblieben? Das beleuchtet der WDR-Podcast "CUT" in seiner zweiten Staffel.
Es ist der 11. März 2020. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat COVID-19 offiziell als weltweite Pandemie eingestuft. Kurze Zeit später wird in Deutschland der erste Lockdown verkündet. Bars, Diskotheken, Clubs, Kneipen, Theater, Opern, Konzerthäuser, Museen und ähnliche Einrichtungen müssen schließen.
Im März 2020 hat auch in Deutschland die Corona-Pandemie so richtig begonnen. Eine Pandemie, durch die weltweit fast sieben Millionen Menschen sterben, 175.000 davon in Deutschland. Eine Pandemie, die unsere Gesellschaft auf eine harte Probe stellt, die uns auseinanderbringt und Freundeskreise und Familien entzweit. Das zeigt das Beispiel von Illo, der mit seinem tatsächlichen Namen nicht in die Öffentlichkeit gehen möchte, und Jasmin. Beide wollen auch nicht mit Foto gezeigt werden.
Corona-Virus als Probe für unsere Gesellschaft
Die Geschwister sind sich ziemlich ähnlich. Er ist 32, lebt in Hannover und beschäftigt sich in seiner Freizeit damit, Computersysteme zu hacken. Sie ist 30, lebt in Hamburg und hat sich das Programmieren zum Hobby gemacht. Die beiden sind rational denkende Menschen, hinterfragen Dinge und lieben ihre Familie. Illo und Jasmin haben ein gutes Verhältnis zueinander.
"Ich würde Illo als loyalen Menschen beschreiben. Als kritisch, intelligent, ehrgeizig und kognitiv stark", sagt Jasmin. "Sie ist auf jeden Fall sehr ehrgeizig, sehr emotional. Hilfsbereit, empathisch, sportlich und beliebt", beschreibt Illo seine kleine Schwester.
Die ersten Zahlen: "Ganz so schlimm ist es nicht"
Doch so viel Gutes die beiden auch übereinander zu berichten haben und so ähnlich sie sich auch sind, so unterschiedlich reagieren sie auf die ersten Nachrichten über das Corona-Virus, das Ende 2019 in China entdeckt wird. "Ich habe mir auch Sorgen gemacht", erzählt Illo. "Nicht, dass ich das kriege und nicht, dass das irgendwelche negativen Auswirkungen auf mich hat."

Ende 2019 wird das Virus erstmals in China entdeckt
Während Illo das Geschehen in China aufmerksam verfolgt, blendet Jasmin das neuartige Virus zunächst aus. "Ich habe das mitbekommen und habe erst mal weiter funktioniert und habe gedacht: Okay, das ist in China, wer weiß, inwiefern das auf uns zukommen wird, wie doll wir getroffen sind."
In seiner Sorge überprüft Illo Anfang 2020 regelmäßig die Seiten vom Robert-Koch-Institut und von der John-Hopkins-Universität. Und da fällt ihm etwas auf: "Meine Altersgruppe hat gar keine Probleme, also da passiert halt einfach nichts, da sterben keine Leute."
Zu diesem Zeitpunkt sei ihm klar geworden, dass es unwahrscheinlich sei, irgendwelche negativen Einflüsse durch das Virus zu erfahren. "Ganz so schlimm ist es nicht", sagt er, "und ich habe hier nichts zu befürchten." Daher sind für Illo die Maßnahmen, die getroffen werden, vollkommen übertrieben.
Erster Lockdown: "Ich habe das irgendwie genossen"
Jasmin hingegen, die Corona anfangs ausgeblendet hatte, unterstützt die Vorkehrungen. "Ich fand das gut, dass Maßnahmen getroffen worden sind und sie mussten auch getroffen werden, auch wenn sie für viele sehr einschränkend waren."

Im März 2020 wird in Deutschland der erste Lockdown verkündet
Und während Illo sich durch den ersten Lockdown in seiner Freiheit eingeschränkt fühlt, kann Jasmin daraus etwas Positives ziehen.
"Ich hab das schon irgendwie sehr genossen, viel zu Hause zu sein, Mittagspause zu machen. Man ist nur noch spazieren gegangen und hat irgendwelche Podcasts gehört." Jasmin
Maskenpflicht, zweiter Lockdown, 2G-Regel
Es ist Oktober 2021 und seit dem ersten Lockdown im März 2020 ist einiges passiert. Maskenpflicht, ein zweiter Lockdown Ende 2020 und die Zulassung der ersten Impfstoffe.
Seit Mai 2021 gelten erstmals für Geimpfte und Genesene andere Regeln als für Ungeimpfte. Die 2G-Regel (geimpft und genesen) wurde in vielen Bereichen eingeführt. In Restaurants und Geschäfte darf man zum Beispiel nur geimpft, genesen oder in Ausnahmen getestet rein.

2021 ist für Vieles ein 2G-Nachweis nötig
"Jetzt werden Studenten ausgeschlossen, weil sie sich aus unterschiedlichen Gründen nicht impfen lassen, was doch ihr gutes Recht ist." Illo
Illo hält eine Rede auf dem Aegidientorplatz in Hannover. Er ist mittlerweile einer maßnahmenkritischen Initiative namens "Studenten stehen auf" beigetreten. In seiner Rede spricht er davon, dass mit der Maskenpflicht und den ständigen Impfnachweisen die Freiheit und Leichtigkeit des Studiums verloren gegangen und letztlich der Zugang zu Bildung eingeschränkt worden sei.
Querdenken-Bewegung tritt in Erscheinung
Die Demo, auf der er spricht, wurde von "Querdenken" organisiert, einer Gruppe, die sich anfangs vor allem um die Einschränkungen der Grundrechte sorgt. Später kommen Verschwörungserzähler, Reichsbürger und Rechtsextreme hinzu. Manche kommen aus einer eher esoterischen Ecke, andere wollen die Bundesrepublik abschaffen. Eine Mischung, die durch eines vereint wird: die Entfremdung vom Staat und von journalistischen Medien.

Deutschlandweit geht die Querdenker-Bewegung auf die Straße
Wegen den rechtsextremen Mitgliedern beobachtet unter anderem der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg seit Dezember 2020 "Querdenken Stuttgart" als "verfassungsfeindliche Bestrebung". Sowohl "personell" als auch "ideologisch" hätte es Überschneidungen unter anderem zu Rechtsextremisten und Reichsbürgern gegeben.
Illo schickt ein Video von seiner Rede in den Whatsapp-Familienchat. Jasmin ist geschockt. "Ich könnte auf keine Demonstration mit Nazis gehen oder mit Menschen mit rechter Gesinnung", sagt sie. "Dass mein Bruder das konnte, finde ich schlimm."
"Wenn er nicht mein Bruder wäre, dann wäre spätestens da der Zeitpunkt, wo ich sagen würde, ich möchte mit dir überhaupt nichts mehr zu tun haben." Jasmin

Die "Querdenker" fordern das Ende aller Corona-Maßnahmen
Jasmin antwortet nicht und lässt Illos Nachricht unkommentiert stehen. Illo selbst sieht in der Querdenken-Bewegung kein Problem. Es sei eine Frage der Perspektive, wie über die Demonstrationen berichtet werde, sagt er. "Wenn ich als Reporter auf eine Demo gehe und mir 34 komplette Vollidioten herausziehe, dann denkt der Ottonormalmensch, der sich abends die Tagesschau anguckt, dass das alles Vollidioten sind."
Corona wird zur Zerreißprobe für Freunde und Familien
Kurz gesagt: Illo und Jasmin verstehen sich nicht mehr - und der Grund ist die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Aber da sie Geschwister sind, fasst jeder für sich den Entschluss, dem anderen zu helfen. "Ich hatte nur den Wunsch, dass er aus dieser Bewegung rauskommt", sagt Jasmin. "Und es war für mich immer am wichtigsten, dass wir ihn als Familie nicht verlieren." Illo will wiederum Jasmin die Augen öffnen.
"Ich habe das nie akzeptiert. Dass meine Schwester unter anderem so einfach mitgemacht hat, ohne es zu hinterfragen, hat mich ganz schön gestört." Illo
Und so versucht Illo seiner Familie seine Ansichten näherzubringen. Ob in der Familien-Whatsapp-Gruppe oder bei Familientreffen in Norddeutschland. "Und dann geht das Gespräch halt wieder um Corona", berichtet Jasmin. "Es ist eine riesengroße Diskussion und alle meinen, im Recht zu sein. Es werden Menschen unterbrochen."
Schließlich - Ende 2021 - spricht ihre Mutter ein Machtwort. Über Corona soll nicht mehr geredet werden, damit die Familie nicht komplett auseinanderdriftet. Spätestens jetzt sind die Corona-Fronten verhärtet.
"Wir haben Angst, dass er sich radikalisiert"
Doch Illo will das nicht akzeptieren und schickt ständig neue Nachrichten in den Familienchat. "Illo hat immer wieder angefangen", sagt Jasmin. "Dann wurde wieder gesagt: Wir wollten als Familie nicht mehr darüber reden." Diese Antwort sei sehr häufig wiederholt worden, bis Illos Nachrichten immer weniger wurden und schließlich ganz aufhörten.
"Man hat sich so ein bisschen entfernt gefühlt", erzählt Illo. Es könne doch nicht sein, dass seine ganze Familie das alles so hinnehme. "Man hat alles mitgetragen und man selbst hat sich immer gedacht: das geht in die falsche Richtung. Das hat ein Stück weit frustriert."
Der Kontakt zwischen Jasmin und Illo wird daraufhin immer weniger. Sie schreiben nur noch über belanglose Dinge - und keiner weiß so richtig, wie es dem anderen geht. "Sie hat sich in den letzten Jahren geändert", sagt Illo über das heutige Verhältnis zu seiner Schwester. "Ich glaube, sie traut sich weniger."
Jasmin sagt, dass es ihr nie darum ging, ihn zu überzeugen, sondern ihn nicht zu verlieren. "Ich weiß gar nicht, ob ihm das so bewusst ist, dass einfach alle Angst um ihn haben, dass er sich da radikalisiert."
Die ganze Geschichte von Jasmin und Illo im WDR-Podcast "CUT"
Beinahe hätten sich die Geschwister durch die Corona-Pandemie aus den Augen verloren. Ob sie letztlich wieder zusammen gefunden haben, erfahrt ihr bei "CUT - das Virus, das uns trennt". Der WDR-Podcast beschäftigt sich in fünf Folgen mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Neben der Geschichte der Geschwister Illo und Jasmin geht es in "CUT" auch um die Frage, wie die Entscheider in der Corona-Pandemie heute auf die Maßnahmen blicken. So kommen der ehemalige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller (SPD), und der Virologe Christian Drosten zu Wort. Außerdem schaut der Podcast exklusiv mit dem ARD-DeutschlandTrend darauf, wie tief die Pandemie unsere Gesellschaft auseinandergerissen hat.
5 Jahre Corona: Wie gespalten ist Deutschland wirklich? | WDR aktuell
01:41 Min.. Verfügbar bis 11.03.2027.
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