Zu wenig Lebensmittel: Tafeln reduzieren Essens-Ausgabe Aktuelle Stunde 13.12.2024 24:17 Min. UT Verfügbar bis 13.12.2026 WDR Von Kristina Klusen

Tafeln in Deutschland in Sorge - 60 Prozent müssen Lebensmittel sparen

Stand: 13.12.2024, 14:50 Uhr

Die Tafeln in Deutschland sind ziemlich besorgt: Deutschlandweit müsse mehr als jede zweite Tafel die Ausgabe von Lebensmitteln einschränken – die einen haben zu wenig Spenden, die anderen zu wenig Helfer und weitere Gründe kommen oben drauf.

Rund 60 Prozent der Tafeln in Deutschland müssen die Ausgabe von Lebensmitteln rationieren. Andreas Steppuhn, Vorsitzender des Tafel-Dachverbandes, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitag), zahlreiche ehrenamtlich betriebene Einrichtungen seien an ihren Kapazitätsgrenzen angekommen.

Ein Drittel versuche, sich mit temporären Aufnahmestopps oder Wartelisten zu helfen, die sie nach Möglichkeit abarbeiteten. So werde versucht, auch weiterhin so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Grund sei die teils deutlich gestiegene Zahl der Menschen, die auf die Tafeln angewiesen sind.

50 Prozent mehr Tafel-Kunden - seit Beginn des Angriffs-Kriegs

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs vor knapp drei Jahren ist die Zahl der Menschen laut Tafel-Dachverband deutschlandweit um 50 Prozent gestiegen. Gleichzeitig seien die Lebenshaltungskosten in Deutschland gewachsen, Renten und Löhne aber nicht im gleichen Maße. Das sorge für wachsende Armut.

Sorgt sich über die Lage der Tafeln: Dachverbands-Chef Andreas Steppuhn | Bildquelle: picture alliance/dpa/Peter Gercke

Ein weiterer Grund für die prekäre Situation der Tafeln: Vor allem Gemüse, Obst und Brot sind deutlich teurer geworden und für manch einen nur noch durch die Tafeln in ausreichender Menge zu bekommen. Relativ neu ist, dass Künstliche Intelligenz dafür sorgt, dass Supermärkte besser planen können und so weniger Lebensmittel für die Tafeln übrig blieben, was auch zu Einschränkungen führt.

Das gravierendste Problem, mit dem es die Tafeln derzeit zu tun hätten ist laut der Sprecherin von Tafel-NRW: Der Mangel an Ehrenamtlern.

"Manche Tafeln mussten zuletzt schließen, einfach, weil es keine Fahrer mehr gibt. Zum Beispiel" Petra Jung, Sprecherin der Tafeln in NRW

Mehrere Tafeln - etwa die in Dinslaken und Hamminkeln am Niederrhein - hätten in diesem Jahr schon tage- oder wochenweise schließen müssen, weil Fahrer fehlten, so Jung weiter.

Nachwuchs gesucht - gern unter 80

Mehr als 500.000 Menschen brauchen in NRW Hilfe der 170 Tafeln, um über die Runden zu kommen. Darunter, nach den Zahlen des NRW-Tafel-Verbandes, etwa 150.000 Kinder und Jugendliche und etwa genauso viele Senioren. Und das Spendenaufkommen gehe zurück, da viele Lebensmittelketten angesichts der hohen Preise knapper kalkulierten und weniger übrig bleibe, sagt Jung.

Hinter den Ausgabeschaltern gehe den Ehrenamtlern aber vielfach die Kraft aus. "Rüstige 50er und 60er haben die Tafeln vor 25 Jahren gegründet. Davon sind jetzt viele über 80", sagt Jung.

"Nachwuchs dringend gesucht - gern unter 80 und ohne Bandscheibenvorfall". Petra Jung, Sprecherin der Tafeln in NRW

Die Auswirkungen seien fast überall in NRW spürbar - laut Dachverbands-Chef Steppuhn vor allem auf dem Land: "Eine Tafel in einer Stadt kann viele Supermärkte anfahren", so Steppuhn in der NOZ. Im ländlichen Raum sei die Situation schlechter.

Das Beispiel Oberhausen zeige eine weitere Problematik. Die dortige Tafel versorge nach Tafel-NRW-Angaben mit etwa 60 Helfern regelmäßig rund 4.500 Kunden. Da seien reichlich schwere Kisten mit Kartoffeln oder Obst zu schleppen, weiß Vize-Tafelchef Friedhelm Bever. Rund die Hälfte der Helfer sei weit im Rentenalter, bis vor Kurzem habe sogar noch eine 95-Jährige mitgeholfen. Die Schlepperei sei beschwerlich, aber "Trainingssache" erzählt er.

Appell an die Politik. Armut ernsthaft bekämpfen

Steppuhn rief die Politik in der NOZ dazu auf, Armut "endlich ernsthaft" zu bekämpfen.

"Tafeln können nicht auffangen und übernehmen, was der Staat seit Jahrzehnten nicht schafft." Andreas Steppuhn, Vorsitzender des Tafel-Dachverbandes

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) genannte mögliche Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel sei ein erster denkbarer Schritt. "Aber mehr auch nicht."

Unsere Quellen:

  • Interview mit Tafel-NRW-Sprecherin
  • Deutsche Presse-Agentur
  • Nachrichten-Agentur KNA
  • Artikel der NOZ
  • Gespräche mit lokalen Tafel-Sprechern in NRW