Sie sind das Markenzeichen Münsteraner Studenten: die Fahrräder. 1987 hat sie der Beuys-Schüler Reiner Ruthenbeck für die "Skulptur Projekte" von der Straße ins Museum geholt und abgestellt. Wie eine gebändigte Herde unter dem Mantel eines Schäfers stehen sie im Lichthof des LWL-Museums für Kunst und Kultur in Münster. "Lodenfahne" nennt der Künstler seine Arbeit.
Spannung von Material und Form
Schwer wie ein Brett hängt der Loden herunter, viel zu schwer für eine Fahne. Und doch fällt er weich wie eine Decke. Spannung im Kontrast von Material und Form sind charakteristisch für das Werk des in Velbert geborenen Künstlers. Sie kennzeichnet auch seine Skulptur "Lodenfahne". Gegensätzliches trifft hier aufeinander: Wolle auf Metall, schwer auf leicht, hart auf weich, Ruhe auf Bewegung.
Die Fahrräder bremsen den Fall der Fahne, ziehen den Stoff nach vorn, als wollten sie sich befreien und losfahren. Aber der Loden, ein traditionelles Material für Trachtenmode, erstickt jede Mobilität. Ineinander verkeilt, behindern sich die Räder gegenseitig. Schon der leiseste Anstoß genügt - und der ganze Pulk könnte aus dem Gleichgewicht geraten. Angespannte Ruhe, chaotische Vielfalt unter der bürgerlichen Hülle. Ein Balanceakt.
Ironisches Porträt einer Stadt
Fahrräder und Lodenfahne bilden ein absurdes Paar, das auseinanderstrebt, zugleich zusammenhält und sich gegenseitig lahmlegt. Mit leiser Ironie hat Reiner Ruthenbeck eine Stadt porträtiert, die mehr Fahrräder als Einwohner hat und in der er selbst von 1980 bis 2000 als Professor an der Kunstakademie lehrte.
Autorin: Martina Müller