Abstrakt geballte Formen - wie Steine, von Wind und Wasser geschliffen, wagemutig übereinander getürmt. 1929 schuf der Avantgardekünstler Otto Freundlich in seinem Pariser Atelier das Gipsmodell seiner Plastik "Der Aufstieg". Ein revolutionärer Gegenentwurf zu den bürgerlich konventionellen Standbildern der damaligen Zeit.
Sinnbild einer neuen Gesellschaftsordnung
Vage erinnert die Plastik an eine Büste und sprengt doch die Ketten gegenständlicher Kunst. Über einem schmalen Halsstück sitzt ein wuchtiges Kopfteil, als sei die Masse federleicht. Eine lebhafte Gemeinschaft unterschiedlichster Einzelstücke bildet die Basis. Geometrisch oder organisch geformt, gleicht kein Element dem anderen und steht dennoch in enger Verbindung zu seinem Nachbarn. Diese erste abstrakte Monumentalplastik der Kunstgeschichte ist ein Sinnbild für eine neue dynamische Gesellschaftsordnung, Gestalt gewordener Ausdruck der sozial-utopischen Ideen ihres Schöpfers: Einem Kollektiv individueller Kräfte gelingt der kühne Aufstieg. Die Kunst entwickelt neue Perspektiven, Abstraktion wird zum Synonym für radikale gesellschaftliche Veränderungen.
Der Bronzeabguss reproduziert die mit den Fingern modellierte Oberfläche des Originalmodells. Spuren der Hand des Künstlers und ihrer Bewegung sind sichtbar, bieten dem Spiel von Licht und Schatten einen Aktionsradius. Anonyme Körper werden zu lebendiger Materie, lassen ein spannungsgeladenes Gebilde aus Höhlen und Freiräumen entstehen.
Den Bronzeabguss seines Werks hat der Pionier der ungegenständlichen Kunst allerdings nicht mehr erlebt. Otto Freundlich starb 1943 im Konzentrationslager. Die Nazis diffamierten seine Kunst als entartet. Erst nach 1945 konnte sein "Aufstieg" in Bronze gegossen werden, wurde seine Ästhetik der geistigen Erneuerung sichtbar. Eine neue Kunst für eine neue Ordnung der Gesellschaft.
Buchtipps
Joachim Heusinger von Waldegg: Otto Freundlich - Ascension. Anweisung zur Utopie Fischer Taschenbuch 1987 (vergriffen)
Karena Lütge, Karena: "In der Malerei wird die Materie zum Geist". Otto Freundlich zwischen Jugendstil, Expressionismus und Konstruktivismus Verlag für Geisteswissenschaften, Weimar 1997
Otto Freundlich und die rheinische Kunstszene 1912 bis 1924 Ausstellungskatalog, Bonn 2006