Das Herzstück der romanischen Ursulakirche in Köln, die einst auf einem römischen Friedhof errichtet wurde, bildet eine Schreckenskammer: das größte Beinhaus nördlich der Alpen. Auf Polstern gebettet, in Samt und Seide gehüllt, mit Gold- und Silberfäden, Pailletten und Perlen bestickt lagern in der „Goldenen Kammer“ die realen Überreste realer Menschen.
Der Legende nach handelt es sich jedoch um die Gebeine von Heiligen. Die englische Prinzessin Ursula starb mit ihren Gefährtinnen vor den Toren Kölns den Märtyrertod - elf hochadelige Jungfrauen, von den Hunnen niedergemetzelt. Später fanden die Kölner das Grab der Jungfrauen und entdeckten so viele Skelette, dass aus elf 11.000 wurden. Der katholische Glaube übersah geflissentlich, dass es sich bei der Grabstelle um einen alten römischen Friedhof handelte.
Bizarres Knochenornament mit über 100 Büsten
Den Schauder vor den unansehnlichen Resten mildert das Antlitz der Jungfrauen mit ihrem sanften, andächtigen Lächeln. Die geeignete Form, mit den Reliquien Geschäfte zu machen. Der Handel mit den heiligen Knochen war verboten. Verkauft wurde nur die Verpackung. Die Jungfrau war teuer, der Inhalt umsonst. Die Fülle der Gebeine und ihre Zurschaustellung offenbaren den heute kaum mehr nachvollziehbaren Wunsch nach Reliquien.
St. Ursula hat eine einzigartige goldene Kammer, in der Reliquien und Gebeine präsentiert werden
Das bizarre Knochenornament mit über 100 Büsten entstand zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert. Die Hofdamen der Heiligen Ursula: Cordula, Julia, Benedicta, Cristina - nicht alle waren Jungfrauen. Unter wohlanständiger Spitzenhaube sind auch verheiratete Damen in Begleitung von Diakonen, Bischöfen, Rittern und Fürsten zu sehen. Hinter eingefärbtem Glas, barockem Schleier- und Rankenwerk. Hunderte von Schädelreliquien – die himmlische Ordnung der Heiligen als irdische Wirklichkeit.
Bis die „Goldene Kammer“, das sakrale Gegenstück zu den profanen Kunst- und Wunderkammern, von St. Ursula wieder der ursprünglichen Ausstattung entspricht, werden noch Jahre vergehen. Erst dann wird der Raum wieder das sein, was er einmal war: ein Gesamtkunstwerk des Barock.
Buchtipps
Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien.
Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart
Nikol Verlag 2007, Preis: 12,95 Euro
Anton Legner, Kölner Heilige und Heiligtümer.
Ein Jahrtausend europäischer Reliquienkultur
Greven Verlag, Köln 2003
Autorin: Martina Müller