Buchcover: "Wohnverwandtschaften" von Isabel Bogdan

"Wohnverwandtschaften" von Isabel Bogdan

Stand: 08.11.2024, 10:13 Uhr

Isabel Bogdan hat übersetzt (z. B. Jane Gardam), bevor sie ihren ersten eigenen Roman geschrieben hat. Jetzt legt sie mit "Wohnverwandtschaften" nach. Es geht um eine moderne Zweck-WG. Eine Rezension von Jürgen Deppe.


Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften
Kiepenheuer & Witsch Verlag, 272 Seiten 24 Euro

Sie sind alle nicht mehr ganz jung, nicht ganz freiwillig Single, und sie bilden alle zusammen in Hamburg-Altona eine Zweck-WG. Vorneweg der Besitzer der Wohnung:

Jörg: Jörg, 68, Witwer im Ruhestand
Anke: Anke, 50plus, beschäftigungslose Schauspielerin
Murat: Murat, um die 50, leidenschaftlicher Koch und Kleingärtner

Ein Zimmer in der WG ist frei, bleibt es aber nicht lange, denn eine neue Mitbewohnerin zieht ein.

Constanze: Constanze, jenseits der 50, Zahnärztin, frisch getrennt.

Als stünde sie dort vor der Tür erklärt Isabel Bogdan, die Erfinderin der vier WG-Bewohner, deren Wohnverwandtschaft:

"Es gibt doch den Slogan 'Freunde sind manchmal die bessere Familie'. Ich bin gar nicht so ein Fan des direkten Vergleichs, das eine ist besser als das andere. Das ist, glaube ich, Quatsch. Manche Familien sind toll. Für andere Leute ist es einfach ein Segen, dass man heute nicht mehr so auf die Familien angewiesen ist, sondern dass man auch Chancen hat, da raus zu kommen und sich seine Freundinnen und Freunde auszusuchen und auch in solchen Wohnkonstellationen zu leben."

Wie Constanze. Gerade frisch getrennt. Und deshalb nicht ganz freiwillig ist Constanze hier:

"Ich will nicht allein leben, ich will aber auch nicht in einer WG wohnen, ich wünsche mir jemanden, mit dem ich so richtig mein Leben teilen möchte, nicht so eine Zweckvereinigung mit wildfremden Leuten, weil sich kein Schwein die Hamburger Wohnungspreise leisten kann."

"Wohnverwandtschaften" halt. Wobei Murat – der lebenslustige Deutschtürke aus Köln – meint, dass es ganz gut funktioniere:

"Fühlt sich doch längst an wie Familie. Ich hab hier meinen kleinen Garten, der ist nur meins, aber Jörg und Anke sind mein Zuhause, meine Familie. Constanze eigentlich auch schon längst."

Die hübsche, langbeinige Zahnärztin Constanze, mit der Murat – Hoppla! – in seiner Gartenlaube spontan eine Liebesnacht verbringt. Anke macht das vielleicht ein bisschen eifersüchtig, vor allem aber wütend.

"Es geht mich theoretisch nicht mal was an, sollen sie doch vögeln, wie sie lustig sind, ich will ja weder von ihm noch von ihr was. Aber es ist mir nicht egal, es geht einfach nicht, nicht in der WG, (...) da können die doch nicht auch noch ihr eigenes Zweierding aufmachen."

Machen sie aber nicht. Es bleibt bei dem einen Mal, bleibt beim üblichen WG-Geplänkel. Was sich ändert, ist Jörgs Zustand. Eigentlich wollte der rüstige Rentner gerade mit seinem Bulli noch einmal auf große Tour gehen, nach Georgien, da bremst ihn eine eher harmlose OP aus. Nicht weiter schlimm, denken alle, auch seine Verwirrtheit nach der Narkose nicht. Wird schon wieder! Wird’s aber nicht. Jörgs Schusseligkeit wird immer schlimmer:

"Mir fallen die Wörter nicht mehr ein, wo sind meine Wörter hin, meine Schätze? Ich war doch mal ganz eloquent, e­lo­quent war ich, so ein schönes Wort. Sie fehlen mir, die Wörter. Die schönen. Und die hässlichen."

Isabel Bogdan erzählt auf der Straße in Altona davon, wie die Demenz als eins der großen Themen unserer Tage wie selbstverständlich als Themas in ihren Roman gelangt ist:

"Ich bin Mitte 50 und im kompletten Freundeskreis ist das Thema Nr. 1 gerade "Alte Eltern". Und Demenz spielt da eine große Rolle. Und ich glaube, das ist ein Thema, dass gerade viele Leute sehr beschäftigt. Wir werden alle immer älter und wahrscheinlich auch immer dementer."

In "Wohnverwandtschaften" lässt Isabel Bogdan Anke, Murat und Constanze Jörgs fortschreitende Demenz tagtäglich, hautnah erleben und erleiden. Und wir tun es auch. Denn Isabel Bogdan gelingt es, uns fast auf den Tag genau zwei Jahre lang sehr unmittelbar zu stillen Mitbewohnern der Zweck-WG zu machen. Wechselnd aus den Perspektiven von Constanze, Murat, Anke und Jörg vernehmen wir ein im Grunde wenig Aufsehen erregendes Drama um vier Menschen heutiger Tage. Sie tragen alle ihr je eigenes Päckchen und zusammen das des stillen Verschwindens eines Menschen aus dem Hier und Jetzt. In dieser Tonlage, alltagssprachlich, alltagslustig, alltagstraurig kann das wohl nur eine: Isabel Bogdan.