"Nach der Party" von Anthony Veasna So

Stand: 31.05.2024, 07:00 Uhr

Mit freundlichem Witz erzählt der früh verstorbene Anthony Veasna So von einer kambodschanischen Stadt mitten in Kalifornien. Es geht in seinen ebenso leichthändigen wie hintergründigen Erzählungen um Nachwirkungen des Pol-Pot-Völkermords und um aktuelle Identitätsfragen. Eine Rezension von Wolfgang Schneider.

Anthony Veasna So: Nach der Party. Stories.
Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelius Reiber.
Luchterhand, 2024.
336 Seiten, 20 Euro.

"Nach der Party" von Anthony Veasna So Lesestoff – neue Bücher 31.05.2024 05:34 Min. Verfügbar bis 31.05.2025 WDR Online Von Wolfang Schneider

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Es ist ein Clash der Kulturen und der Generationen, den Anthony Veasna So in seinen Erzählungen über die kambodschanische Community im kalifornischen Central Valley inszeniert: Die Alten haben noch die Horror-Diktatur der Roten Khmer erlebt, den Steinzeit-Kommunismus, den Völkermord. Wenn ihnen die Flucht gelang, haben sie ein neues Leben in Kalifornien gesucht, das dem alten so weit wie möglich ähneln sollte, mit den gleichen Gebräuchen und Festen und vor allem der geliebten Khmer-Küche. Friedlicher Alltag mit oft unfriedlichen Erinnerungen.

Eine der Geschichten spielt in einem Altersheim, wo noch die dementen alten "Cambos" von ihren traumatischen Erinnerungen heimgesucht werden. Mit dem Völkermord kann man die Jungen ins Unrecht setzen, wie es die Frau von Doktor Heng mit ihren ungebetenen Ratschlägen gerne tut:

"Meine Generation kam mit nichts hier an. Wir sind den Kommunisten entkommen. Und was machen Jungs wie du so?"

Die Vertreter der zweiten und dritten Generation sind eingespannt zwischen die überlieferte und die sie umgebende Kultur. Es sind Hipster und Hedonisten, oft queer und studiert, beruflich irgendwie mit dem Internet beschäftigt – die Lockrufe der Tech-Giganten aus dem Silicon-Valley sind auch in Stockton zu hören, das 2019 bei einem Ranking der elendsten US-Städte auf Platz 1 kam. 

Beispielhaft findet sich der Generationenkonflikt in der Geschichte "Die Werkstatt". Der Ich-Erzähler kann selbst nicht begreifen, warum er mit seinem College-Abschluss nach Stockton zurückgekehrt ist und nichts Besseres zu tun weiß, als in der Autowerkstatt seines Vaters auszuhelfen. Und gelegentlich mit einem mexikanisch-italienischen Freund zum Sex rauszufahren aus der Stadt. Der Vater hat zuviele kambodschanische Freunde und Verwandte eingestellt, denen er alles durchgehen lässt, und er hat zuviele Kunden, die mit Spezialrabatten für "Cambos" rechnen. So geht es bergab mit der Werkstatt. Schließlich sucht er, um die Pleite abzuwenden, Zuflucht bei der Religion. Fünf Mönche in orangenen Gewändern besuchen die Werkstatt:

"Dad und ich verbeugten uns mit gefalteten Händen nacheinander vor jedem der Mönche. Dann liefen sie in der Werkstatt umher, untersuchten jeden Winkel und besprenkelten die ölverschmierten Wände mit gesegnetem Wasser. Der Duft der brennenden Blüten, so vermutete ich, sollte ein Kraftfeld erzeugen, das böse Geister abhielt und Kunden anlockte."

Die Geschichten dieses Bandes leben von starken Details und dem lässigen, beiläufigen, aber nie gewollt coolen Tonfall. Sehr atmosphärisch wird der Schauplatz der kambodschanischen Community vermittelt, das dichte Nebeneinander von fetttriefenden Imbissläden, buddhistischen Tempeln, Nagelstudios, Massage- und Friseursalons. Dazu kommen aktuelle identitätspolitische Fragen. Mit freundlicher, leichthändiger Ironie wird das kalifornische LGBTQ-People-of-Color-und-Safe-Space-Milieu vorgeführt.

Vor allem die jungen Cambos sind unermüdlich mit der Frage nach ihrer Identität beschäftigt. In der Geschichte "Die drei Frauen von Chuck’s Donuts" schreibt die junge Tevy sogar an einer Philosophie-Arbeit mit dem Titel "Über die Frage, ob Khmer-Sein mit sich bringt, dass man andere Khmer versteht." Dafür will sie einen etwas unheimlichen stillen Gast in der Donut-Bude ihrer Mutter interviewen, der ihr mit einiger Gewissheit "khmer" scheint. Aber die Instinkte ihrer Eltern sind ihr bereits verloren gegangen.

"Tevy hat die Fähigkeit ihrer Eltern, intuitiv alle Eigenschaften des Khmer-Seins oder des Auf keinen Fall-Khmer-Seins zu erkennen, immer wieder überraschend und frustrierend gefunden. Sie brauchte nur ein Glas Eiswasser zu trinken, und schon rief ihr Vater vom anderen Ende des Zimmers: 'Während des Völkermords gab es keine Eiswürfel!' Und fuhr dann mit der Klage fort: 'Wie konnten meine Kinder nur so un-khmer werden?' Es konnte auch vorkommen, dass sie ein Stück Trockenfisch aß oder sich am Kopf kratzte oder auf eine bestimmte Art lief, und ihr Vater lächelte und sagte: 'Jetzt weiß ich, dass du khmer bist.'"

Alles ziemlich khmer und ziemlich queer in den Geschichten von Anthony Veasna So. Traurig, dass eine Drogen-Überdosis die Karriere dieses begabten jungen Erzählers so früh beendet hat. Immerhin, dieses schöne Buch wird von ihm bleiben.