Buchcover: "Dancing Queen" von Camila Fabbri

"Dancing Queen" von Camila Fabbri

Stand: 30.01.2025, 07:00 Uhr

In Deutschland kennt man die argentische Autorin Camila Fabbri noch nicht.  Das sollte sich schleunigst ändern, findet unsere Rezensentin Nicole Strecker. Denn mit Fabbris "Dancing Queen" sei dem Hanser-Verlag ein echter Coup gelungen.

Camila Fabbri: Dancing Queen
Übersetzt aus dem Spanischen von Susanne Lange.
Hanser, 2025.
176 Seiten, 22 Euro.

Nur wenig trennt die Ich-Erzählerin noch vom Tod. Die 35jährige namens Paulina steckt schwer verletzt in ihrem Auto fest nach einem selbstverschuldeten Unfall. Blutend, halbblind, zerschmettert. Ihr Körper will ihr nicht mehr gehorchen. Ihr Kopf aber auch nicht. Statt großer letzter Gedanken stellt sie kleine gemeine Beobachtungen an – etwa über das 15jährige Mädchen, das mit ihr im Auto sitzt.

"Ich höre, wie die Fünfzehnjährige sich das geblümte Kleid zurechtzieht. Niemand soll ihren Hintern sehen. Fein, nicht mal im verbeulten Zustand soll sich jemand auf diesen Teil ihres Körpers kaprizieren. Ich kann mich immer weniger bewegen, aber der Kopf hält nicht inne, er rauscht weiter, als weihte er eine Achterbahn ein."

Ein paar Seiten später wird man wissen: Dieser sarkastische Blick auf sich selbst und die Menschen um sie ist typisch für Paulina. Sie betrachtet unsere Spezies mit galligem Nihilismus – böse, aber sehr lustig zu lesen.

"Diese Welt ist so abgründig und wahnwitzig, dass nichts wirklich Sinn ergibt."

Nach und nach erfährt man in Camila Fabbris Roman, wie Ich-Erzählerin Paulina in die missliche Lage im Auto geraten ist. Sie lebt in Buenos Aires, hat einen langweiligen Job und einen etwas zu großen Hund.

"Ich liebe ihn und könnte ihn dennoch an einen Pfosten vor dem Asia-Supermarkt binden und seinem Schicksal überlassen."

Paulina verlustiert sich mit Pornos und gelegentlich auch mit ihrem Freund Felipe, den sie an einem Chipsregal kennengelernt hat. Sie trug damals ein Schlaf-T-Shirt mit der Aufschrift „100% sexy“. Er hatte speckiges Haar und Mundgeruch. Aber gemeinsam konnten sie wundersam harmonisch über Chipssorten und Geschmacksverstärker philosophieren.

"Vielleicht war das Zusammenspiel der Elemente an dem Morgen erfolgreich gewesen, ich hatte ihn also gerührt oder neugierig gemacht."

Jedenfalls zieht Felipe wenige Wochen später bei ihr ein.

"Es passierte einfach. War Teil dieser Farce des nackten Umarmens und der Intimität, des Fingierens einer Einheit, die die Schranken der Zeit überwand, damit man Söhne und Töchter bekam, herumreiste, krank wurde, genas, sich Dinge versprach. Die Lüge des harten Kerns, die Lüge der Gemeinsamkeit. Felipe war bereits eine Zahnbürste, ein Bündel Wäsche, mehrere Schuhpaare, ein Gespräch bei jedem Abendessen, ein gemeinsamer Film auf einem öffentlichen Sender, ein Mörder von Mücken, die sich an den Wänden postierten. Felipe war mein Freund."

Kurz vor dem Unfall trennt sich Felipe allerdings von Paulina, was dann doch für einige Erschütterung sorgt und sie mit ihrer einzigen Freundin in die Provinz reisen lässt – ein Roadtrip mit Folgen.

Mit der hierzulande noch völlig unbekannten Argentinierin Camila Fabbri ist dem Hanser Verlag eine echte Entdeckung gelungen: Präzis-schlaue Beobachtungen mit feministischem Touch wie bei Sophie Passmann. Knappe harte Sätze, in denen bei Fabbri aber immer auch sensible Poesie und Lust an der originellen Metaphorik lauern. So scheint nicht einfach die Sonne, sondern: 'ein Sonnenstrahl hat es auf sie abgesehen'. 'Ein Vogel fliegt schnell wie ein Niesen'. Und 'der Hund schläft mit heraushängender Zunge, als probe er seinen Tod'. Autorin Fabbri wahrt spöttische Distanz zu ihrer Protagonistin, die wohl eher eine 'Bitching-Queen' ist als die titelgebende „Dancing Queen“. Aber Fabbri zeigt auch früh die Risse in der vermeintlich coolen Fassade. Etwa die Sehnsucht nach Mutterschaft, die Paulina

"Denn immer wenn ich daran denke, scheint in mir drinnen etwas zu zersplittern. Als hätte sich eine Fischgräte für immer in ein wichtiges Organ gebohrt. Tack!"

Im Laufe des Romans wird Fabbri ihre Ich-Erzählerin mit ziemlicher Brutalität aus ihrer arroganten Verpanzerung holen. Verlassen, fast vergewaltigt, lebensgefährlich verletzt – erst dann gesteht sich Paulina am Ende auch Gefühle ein. Da sitzt sie dann und verliert sich im Anblick einiger Hundewelpen.

"So lange sehen wir sie an, bis uns jedes Begreifen abhandenkommt. Und eben das wollen wir. Die Welpen gähnen. Die Hunde schlafen. Wir verlieren den Verstand."

Happy End im Selbstfindungstrip – und doch kein Kitsch. Sondern im pointierten Schnodderton von Camila Fabbri eine Geschichte von weiblicher Wut und Selbstversöhnung – ein amüsant widerspenstiges Frauenporträt.