Sie machen seit 25 Jahren Filme über das Ruhrgebiet und seine Menschen. Was war bei "Der lange Abschied von der Kohle" die besondere Herausforderung?
Dieser Film brauchte eindrucksvolle, tolle Männer und Frauen, die ihr Herz am rechten Fleck haben und die bereit sein würden, für den Film ihr Bestes zu geben. Die Herausforderung war also insbesondere, ob es uns gelingen würde, das Vertrauen der Bergleute zu bekommen. Seit vielen Jahren habe ich bei den vielen Protagonisten, die ich in meinen Filmen getroffen habe, beobachtet, dass dieses Vertrauen gegenüber Filmemachern und Journalisten schwindet, weil Protagonisten häufig den Eindruck haben, dass mit ihrer Offenheit und ihren Geschichten nicht gut umgegangen wird.
Es hat dann auch ein Jahr gedauert, bis Petra Neukirchen und ich vor Ort dieses Vertrauen zurückgewinnen konnten. Das ist uns deshalb gelungen, weil wir viele Gespräche geführt und uns mit den Leuten und der RAG viel Zeit genommen haben, um uns gegenseitig kennenzulernen. Über diese Gespräche und die vorsichtige Annäherung wurde für die Beteiligten offenbar deutlich, dass wir sie und ihr Leben ernst nehmen und mit ihnen zusammen gute Arbeit machen wollen. Dass dazu auch kritische Fragen gehören, haben sowohl die RAG als auch die Beschäftigten problemlos akzeptiert.
Was hat Sie noch überraschen können?
Überrascht hat mich die imposante Technik, die riesigen Aggregate unter Tage. Wie schafft man das da alles dorthin, hab’ ich mich oft gefragt, denn alles ist groß und schwer und sehr massiv. Wenn man die Strecken zum Abbaugebiet abgeht oder mit der Dieselkatze zum Abbaugebiet der Kohle abfährt, so hat man den Eindruck, dass dort unten eine ganze Stadt aufgebaut ist. Die Technik in 1200 Metern Teufe (Tiefe) funktioniert dort wie am Schnürchen, mit großen Mengen an Fördertonnen Kohle. Zudem wird dort unten Sicherheit ganz großgeschrieben. Überall stehen Hinweistafeln oder man wird von Bergleuten angesprochen, was geht und was nicht mehr geht. Wir haben uns strikt daran gehalten. Der deutsche Bergbau ist der Sicherste auf der ganzen Welt, das erfährt man dort unten sehr eindrücklich, besonders wenn so oft vor Ort war, wie wir es für den Film gemacht haben.
Wie dreht man "unter Tage" – in tausend Meter Tiefe?
Wir wollten für diesen Film erstmalig in der neuen Digital-Technik, in der Standard HD Bildqualität drehen. Dazu musste eine Kamera in einen extra angefertigten, explosionsgeschützten Stahlkorpus mit Panzerglas für die Optik eingebaut werden. Die Bedienelemente für Blende, Schärfe, etc. wurden als mechanische Druckknöpfe mit Kabeln nach außen verlegt.
Der Kameramann Jochen Balke hat hier viele Wochen experimentiert, um das alles für Dreharbeiten unter Tage praktikabel hinzubekommen. Das Bergamt in Arnsberg musste dann das Ganze auch noch prüfen und abnehmen. Mit diesem Stahl-Kamera-Ungetüm unter Tage zu drehen, war bei 30-35° Hitze im Kohlenstaub für das ganze Team eine große Herausforderung. Wenn man da unten ist, ist es ratsam, sich ganz und gar auf die Bergleute zu verlassen auch in sicherheitstechnischer Hinsicht. Wir haben uns also mit dem Team in die Hände der Bergleute begeben, die uns dann so gut betreuten, dass bei den Dreharbeiten unter Tage hervorragende Bilder entstanden sind und sich niemand verletzt hat.
Bergmann sein – das war und ist gefährlich, dreckig und körperlich extrem anstrengend. Haben Sie nach Ihren vielen und intensiven Begegnungen herausgefunden, warum die Menschen im Ruhrgebiet so sehr an dieser Arbeit hängen?
Ja, das war eine der Aufgaben im Film – endlich wirklich zu erfahren, warum die Menschen nicht loslassen können von der Kohle. Der Film beantwortet diese Frage, die auch mich persönlich, nach 25 Jahren Filmarbeit im Ruhrgebiet, nicht mehr losließ. Nun, ich will das hier zum Film ergänzen: Es ist einmal die Kameradschaft und das Miteinander unter Tage, was wir in anderen Industriebereichen über Tage kaum noch so kennen. Die Männer wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Zu viele Unglücke sind passiert, von denen die Großväter und Väter berichtet hatten. „Man braucht sich dort unten, um dort zu existieren“, wie das ein Bergmann im Film so schön ausdrückt. Das haben wir selbst erleben können. Dieses Miteinander unter Tage aber hat sich auch über Tage fortgesetzt. Die Leute halten auch dort zusammen und haben in allen Zeiten durch die 150 Jahre industrieller Steinkohlenbergbau für ihre Rechte und ihre Arbeit gekämpft. Das war und ist ihnen etwas wert. Dieses Miteinander hat etwas zutiefst Menschliches. Das aufzugeben ist schwer, weil es kaum noch vorkommt. Die Bergleute sind aus meiner Sicht auch heute noch die einzige Industriearbeiterschaft, die diesen Zusammenhalt noch lebt.
Das andere ist die hohe Produktivität, die weltweit begehrte Technik. Und die durch die digitale Technik optimierten Ablaufprozesse zur Förderung der Kohle. Das ist alles durch 150 Jahre Erfahrung so fein aufeinander abgestimmt, dass es schwer zu akzeptieren ist, das aufgrund eines politischen Beschlusses aufgeben zu müssen. Die Männer haben wirklich was drauf, sie beherrschen den hochtechnisierten Anlagenbau und können die Stoff- und Materialströme effizient bewegen. Etwas loszulassen, was man besonders gut kann, fällt wahrscheinlich allen Menschen schwer.