Holpriger Weg zum islamischen Religionsunterricht in NRW
Der Fall Kalisch
Stand: 08.10.2008, 00:00 Uhr
Die Existenz des Propheten Mohammed sei historisch zweifelhaft, sagt Muhammad Sven Kalisch - und verlor dadurch in Münster einen Lehrauftrag. Jetzt stehen die Spielregeln zwischen Universität, Staat und Islam zur Debatte.
Von Gregor Taxacher
Man könne weder beweisen noch widerlegen, dass Mohammed gelebt hat, lehrt ausgerechnet ein Islamprofessor und bekennender Muslim. Anfang September 2008 sprach der Koordinierungsrat der Muslime (KRM) Muhammad Sven Kalisch deshalb das Misstrauen aus. Kalisch sei nicht geeignet, islamische Religionslehrer auszubilden. Dabei war er deutschlandweit der erste Professor, der genau dies tun sollte. Nun wurde ihm dieser Auftrag wieder entzogen. Ob von der Landesregierung oder von der Universität, darüber gab es zunächst unklare Meldungen.
Universität und Ministerium stimmen sich ab
"Die Entscheidung, Professor Kalisch aus der Ausbildung islamischer Religionslehrer zurückzuziehen, hat das Rektorat der Universität getroffen", betont Universitätssprecher Norbert Frie. Mit dem Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) habe man sich abgestimmt, und die Entscheidung sei im Einverständnis mit Kalisch getroffen worden. André Zimmermann, Sprecher des Wissenschaftsministeriums in Düsseldorf, bestätigt diese Darstellung. Er ergänzt, Pinkwart habe auch in Erwägung gezogen, die Religionslehrerausbildung zusätzlich an anderen Standorten als in Münster aufzubauen. Die westfälische Universität hätte dann ihre Monopolstellung in NRW und in der Folge wohl auch islamische Studenten verloren. Dennoch will Zimmermann nicht von Druck sprechen. Aber: "Wir müssen sicher stellen, dass die Lehrer, die künftig islamischen Religionsunterricht erteilen sollen, von den islamischen Verbänden auch akzeptiert werden."
Kalisch akzeptiert und kritisiert
Sven Kalisch
Kalisch bleibt nach Angaben der Universität Professor am "Centrum für religiöse Studien" und behält dort alle Rechte in Forschung und Lehre. Nur die Lehrerausbildung werde zukünftig von einem Lehrstuhl für islamische Religionspädagogik allein betreut, der schon länger beschlossen, aber noch zu besetzen sei. Kalisch selbst spricht inzwischen davon, dass er die Entscheidung zwar respektiere, aber auch kritisiere. Man dürfe sich die Inhalte der Islamlehrerausbildung nicht von den islamischen Verbänden diktieren lassen. "Islamische Theologie ohne historisch-kritische Methode zu betreiben ist eine Katastrophe." Kalisch erhofft sich darüber eine öffentliche Debatte, gerade unter den Muslimen. "Ich glaube nicht, dass die Muslime sich in der Mehrheit von den Verbänden vertreten sehen", sagt Kalisch. Außerdem bezweifelt er, dass die Professorenstelle für Religionspädagogik allein die Islamlehrerausbildung inhaltlich bewältigen könne. "Man wird in Münster nicht um mich herum kommen."
"Es gibt keinen Rechtsanspruch der Islam-Verbände auf Mitsprache bei unseren Lehrstuhlbesetzungen", sagt Universitätssprecher Frie. Die Universität hätte sich also auch im Fall Kalisch stur stellen können. "Wir haben pragmatisch entschieden, weil unsere Absolventen sonst keine realistische Chance hätten, später einmal als islamische Religionslehrer auch akzeptiert zu werden." Denn der Staat stelle zwar auch diese Lehrer ein, aber das sei nicht gegen den Widerstand der islamischen Gemeinden und Eltern machbar.
Religionsunterricht mit Verfassungsrang
Das Problem im Hintergrund: Der künftige islamische Religionsunterricht soll schulische Glaubenslehre vermitteln, so wie der christliche konfessionelle Religionsunterricht auch - und anders als das neutrale Schulversuchsfach "Islamkunde", das es bislang in NRW gibt. Der Unterschied zwischen beidem hat Verfassungsrang: Denn Artikel 7 des Grundgesetzes gewährt den Religionsgemeinschaften Mitspracherecht beim Religionsunterricht auch an staatlichen Schulen. Entsprechend besagt Artikel 14 der Landesverfassung, dass solcher Religionsunterricht nur von Lehrern gegeben wird, die von den Kirchen oder Religionsgemeinschaften auch akzeptiert werden. Die Kirchen haben die entsprechenden Ausführungsbestimmungen seit langem in Verträgen mit den Ländern festgelegt, die Spielregeln sind klar. Evangelische und katholische Religionslehrer brauchen die Lehrerlaubnis ihrer Kirchen ebenso wie die Professoren an den theologischen Fakultäten der Hochschulen. Und diese können sie, bei gravierenden Konflikten mit ihren Kirchen, auch entzogen bekommen. Der Staat muss sie dann, soweit sie Beamte sind, an anderer Stelle weiter beschäftigen.
Islam künftig den Kirchen gleich gestellt?
"Mit den muslimischen Religionsgemeinschaften gibt es derartige Verträge bislang nicht", sagt André Zimmermann vom Wissenschaftsministerium: "Weil sie nicht Kirche im Sinne einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sind." Aber gerade das wären die islamischen Verbände auf Dauer gern. So begrüßte Ali Kizilkaya, Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime, die Entscheidung im Fall Kalisch gleich als Schritt zur künftigen Gleichstellung mit den Kirchen. Allerdings ist der Koordinierungsrat keine islamische "Kirche", sondern ein Dachverband der drei Dachverbände "Zentralrat der Muslime", "Islamrat" und türkischer "Ditib". Eine einheitliche Organisation und Entscheidungsinstanz gibt es im Islam insgesamt nicht. Dennoch befürwortet der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) seit längerem, bundesweit einen islamischen Religionsunterricht einzurichten, an dem die islamischen Gemeinschaften so mitwirken wie die christlichen Kirchen an dem ihren. Die politische Willensbildung der Länder zu dieser Frage ist aber noch offen - ebenso, ab wann es in NRW einen regulären islamischen Religionsunterricht geben wird. Politisches Ziel ist er jedoch. Man sehe sich durch neuere Studien darin bestätigt, "dass schulischer Islamkundeunterricht den Muslimen in Deutschland helfen würde, in der Mitte der Gesellschaft zu leben", sagt André Zimmermann.
Unabhängigkeit und Konsens zugleich?
Die neue Professur in Münster soll noch im Wintersemester besetzt werden. Über die Kandidaten berät eine Berufungskommission, die Entscheidung liegt nach dem neuen Hochschulfreiheitsgesetz von NRW bei der Universitätsrektorin Ursula Nelles. "Die Universität wird nach ihren Kriterien den geeigneten Kandidaten aussuchen", sagt Norbert Frie. "Das Ministerium wird darüber den Austausch mit den Verbänden suchen", ergänzt André Zimmermann - eine Arbeitsteilung also, die universitäre Selbständigkeit und den Konsens mit den islamischen Verbänden unter einen Hut bringen soll. "Wir hoffen da auf Zustimmung und gute Zusammenarbeit", sagt Frie. Er betont, dass man aber auch bei Widerspruch die Besetzung nicht mehr rückgängig machen werde.