WDR.de: Herr Dierkes, um 12 Uhr wurde in Köln und Rom gleichzeitig mitgeteilt, dass das Rücktrittgesuch von Josef Kardinal Meisner angenommen wurde. Was bedeutet das?
Theo Dierkes: Mit der Veröffentlichung ist der Rücktritt sofort wirksam geworden, Meisner ist also nicht mehr Erzbischof von Köln. Innerkirchlich heißt das: "Der bischöfliche Stuhl ist erledigt." Meisner ist jetzt Altbischof, bleibt aber Bischof und Kardinal, nur mit weniger Rechten. Er gibt alle Geschäfte ab und hat auch nichts mehr mit seiner Nachfolge zu tun.
WDR.de: Das Erzbistum ist führungslos?
Theo Dierkes: Vorübergehend liegt eine eingeschränkte Entscheidungsgewalt beim dienstältesten Weihbischof. Das ist in Köln Manfred Melzer. Innerhalb kürzester Zeit wird dann das Domkapitel am Kölner Dom aktiv und bestimmt als erstes einen Diözesanadministrator, der Melzer ablösen wird. Der darf keine großen Entscheidungen treffen, keine wichtigen Posten neu besetzten und politisch umsteuern. Aber er sorgt dafür, dass die Geschäfte weiterlaufen, Jugendliche gefirmt und die Interessen der Kirche vertreten werden.
WDR.de: Das war der erste Schritt. Und dann?
Dierkes: Dann kommen die Domkapitulare innerhalb von acht Tagen wieder zusammen und beginnen mit den Beratungen über einen Nachfolger. Endergebnis ist nach Wochen eine Dreierliste mit Namen, die sie nach Rom schicken. Das machen aber nicht nur die Kölner Domkapitulare, das können auch die Nachbarbischöfe aus der alten preußischen Provinz tun, also aus Münster, Osnabrück, Paderborn oder Trier. Diese Kandidaten werden vom Nuntius, also dem Botschafter des Papstes in Berlin, daraufhin überprüft, ob etwas gegen sie vorliegt - ein umfangreiches Verfahren! Die Listen gehen nach Rom, wo die päpstliche Bischofskongregation aus allen Vorschlägen eine eigene Dreierliste zusammenstellt, die sie dem Papst präsentiert. Und der kann sie dann auch noch einmal ändern. Zum Schluss aber kommt eine Dreierliste nach Köln zurück, und daraus muss das Domkapitel in freier und geheimer Wahl den neuen Erzbischof aussuchen.
WDR.de: Die Liste, die aus Rom nach Köln geschickt wird, muss also nicht genau so aussehen wie die Liste, die aus Köln gekommen ist?
Dierkes: Nein. Das war ja nach allem, was ich gehört habe, schon bei der letzten Wahl so, dass von der Kölner Liste kein einziger Name wieder zurück kam - nicht ein einziger. Das ist klar, wenn jeder Nachbarbischof auch drei Namen nennen kann und Rom noch welche dazu gibt, kann das passieren. Da sind viele Kirchenmänner im Gespräch.
WDR.de: Das hat den Kölnern aber nicht gefallen.
Dierkes: Ja, dabei kam rüber: Ihr dürft vorschlagen, aber Gewicht hat das eigentlich nicht.
WDR.de: Die Kölner Domkapitulare wurden nicht gehört, das Kirchenvolk erst recht nicht. Hat die Basis diesmal eine Chance, an der Wahl beteiligt zu werden?
Dierkes: Diesmal ist es so, dass gleich im Vorfeld zwei Initiativen Anspruch auf Mitbestimmung angemeldet haben. Das Domkapitel hat darauf gar nicht reagiert, der Dompropst fand es nur unhöflich, dass sozusagen das Fell des Bären verteilt wird, ehe er erlegt ist. Aber ich denke trotzdem, dass das Domkapitel sagen wird: Wir lassen uns gerne beraten und nehmen eure Vorschläge an. Danach dürfen die Herren allerdings nicht mitteilen, wen sie auf der Liste haben. Das ist geheim.
WDR.de: Das ganze Verfahren ist schon ohne Laien-Beteiligung extrem kompliziert. Geht das nicht einfacher?
Dierkes: Es ist eine uralte Tradition, dass die Kirche sehr genau aufpasst, wer welche Macht ergreift. Dieses Kölner Verfahren sieht aber im Vergleich zu anderen Weltgegenden mehr Mitbestimmung von Kirchengremien und Staat vor. Das gibt es nur im ehemaligen Preußen, dass ein Gremium in der Kirche den neuen Erzbischof wählen darf. In Bayern ist das schon wieder anders, da setzt der Papst einfach die Bischöfe ein. Der Kölner Erzbischof muss auch von den Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bestätigt werden, ehe der Name veröffentlicht wird.
WDR.de: Was das Verfahren vermutlich nicht unbedingt beschleunigt.
Dierkes: Die Kölner können froh sein, wenn sie Weihnachten einen neuen Erzbischof haben. Das wäre dann aber schon schnell.
WDR.de: Wer kommt denn da überhaupt in Frage? Hinter den Kulissen werden bestimmt viele Namen gehandelt.
Dierkes: Darüber wird hinter vorgehaltener Hand schon lange gesprochen. Da war zum Beispiel der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst. Durch die Krise ist bekannt geworden, dass konservative deutsche Kirchenleute ihn ins Auge gefasst hatten. Aber jetzt ist er gar nicht mehr im Gespräch. Oder Georg Gänswein, Erzbischof und Präfekt des päpstlichen Haushalts. Da ist auch gemutmaßt worden, er könnte nach Köln kommen. Der wollte das vielleicht auch, aber er hat seine Chancen selbst als schlecht eingeschätzt. Ich denke, da liegt er nicht falsch.
WDR.de: Wer hätte denn bessere Chancen?
Dierkes: Der Münchner Kardinal Marx ist Westfale, der Berliner Kardinal Woelki ist in Köln aufgewachsen und in Berlin sehr erfolgreich eingestiegen. Aber Woelki ist sehr jung, und wenn er hierher käme, hätte Köln seinen Erzbischof für viele Jahrzehnte. Ich halte beide für unwahrscheinlich, weil sie gerade erst Erzbischöfe geworden sind und in ihren Bistümern wichtige Projekte angestoßen haben.
WDR.de: Wer steht noch zur Debatte?
Dierkes: Es gibt einige sprachbegabte, sehr energische Bischöfe, die gezeigt haben, dass sie Kirche in neue Zeiten führen können. Das ist für das Erzbistum Köln als umsatzstärkstes deutsches Bistum wichtig. Es muss auch jemand sein, der stark ist, sich gegen beharrende Kräfte durchsetzen kann. Der Trierer Bischof Ackermann hat als Missbrauchsbeauftragter gezeigt, dass er das kann. Da ist Bischof Bode, einer der älteren, der immer gesagt hat, es muss sich etwas ändern. Auch der ehemalige Kölner Weihbsichof Heiner Koch wird von vielen sehr verehrt und zurückgewünscht. Er ist ja seit kurzem Bischof in Dresden. Und da ist Ruhrbischof Overbeck, der in seinem relativ kleinen Essener Bistum einen vorzüglichen Dialogprozess durchgezogen hat. Der hat vor Jahren in einer Talkshow gesagt, "Homosexualität ist Sünde", wurde dafür heftig kritisiert, und dann hat er sich Minderheiten und Religionskritikern geöffnet. Er ist sehr dialogfähig! Übrigens kann auch ein einfacher Pfarrer Erzbischof werden, es muss kein Kardinal und nicht einmal ein Bischof sein. Der ehemalige Kardinal Frings war Pfarrer und Leiter des Priesterseminars, mehr nicht.
WDR.de: Wer auch immer gewählt wird: Meisner darf da nicht mehr mitreden. Wie darf man sich eigentlich einen Erzbischof im Ruhestand vorstellen?
Dierkes: Der stellt sich das selbst so vor, dass er Seelsorger von Ordensleuten und Priestern ist. Ich weiß, dass er in eine Wohnung gleich am Dom zieht, in der bis vor einigen Monaten Weihbischof Heiner Koch wohnte, ehe er Bischof von Dresden wurde. Ich glaube, Meisner wird so was wie ein Übervater. Er wird sich nicht raushalten und weiterhin seinen Senf dazu geben. Soweit ich weiß, ist er nicht verpflichtet, über seinen Nachfolger oder über die Politik überhaupt zu schweigen. Meisner wird in Köln wohl weiter zu hören sein.
Das Interview führte Marion Kretz-Mangold.