Kommentar zum Ende der Regierung Kraft
Gescheitert an der Finanzpolitik
Stand: 14.03.2012, 16:11 Uhr
Es war ein Experiment, und nun ist es zu Ende. Die erste Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ist aufgelöst. Die Bürger haben nun die Chance, für klare Verhältnisse in NRW zu sorgen. Eine Erleichterung, meint WDR.de-Landtagskorrespondent Rainer Kellers.
Von Rainer Kellers
Vor ziemlich genau einem Jahr rechnete jeder im politischen Düsseldorf mit Neuwahlen. Legendär jene Pressekonferenz mit SPD-Fraktionschef Norbert Römer, der seinen Terminkalender in die Kameras hielt und den Tag der Neuwahl anstrich: 17. Juli 2011. Es kam bekanntlich anders. Die Linkspartei ließ den Haushalt 2011 passieren, und das politische Leben in Düsseldorf lief weiter wie zuvor.
Rainer Kellers
In diesem Jahr hatte Neuwahlen ernsthaft niemand auf dem Plan. 2013, im Jahr der Bundestagswahl, ja, das hätte gepasst. 2012 jedoch sah alles nach Routine aus. Der Haushalt, die jährlich zu passierende Klippe, die einzige, die hoch genug ist, dass die Regierung daran zerschellen kann, wäre verfassungsgemäß gewesen. Alle Signale standen auf Einigung. Und nun das.
Irgendwann hat es der FDP gereicht
keine Verständigung mehr möglich
Nicht nur die Regierung, alle Fraktionen haben sich verkalkuliert. Buchstäblich über Nacht haben sich durch die Belehrung der Landtagsverwaltung die Koordinaten verändert. Und es ist mindestens merkwürdig, dass angeblich niemand in Düsseldorf gewusst hat, dass ein Haushalt ohne Mehrheit für die Einzelpläne bereits in zweiter Lesung gescheitert ist. So jedenfalls entstand eine Dynamik, die nicht mehr aufzuhalten war. Selbst durch die FDP nicht, die sich fast bis zum Zerbrechen gebogen hatte, um doch eine Verständigung zu ermöglichen. Viel Häme hat sie dafür einstecken müssen, und irgendwann gestern Nacht wird sich die Fraktion gesagt haben: Es reicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Liberalen nicht mehr im nächsten Landtag vertreten sein werden, ist groß. Doch wenn sie am Mittwoch (14.03.2012) den Haushalt gerettet hätten, wären sie gänzlich verloren gewesen. Diesen Makel wäre die FDP nicht mehr losgeworden. Dasselbe gilt für die Linken, auch sie gehen ein immens hohes Risiko ein.
Ohne Mehrheit einiges auf den Weg gebracht
Der Wahlkampf wird kurz werden und scharf. Viele werden die erste Minderheitsregierung in der Geschichte des Landes als Betriebsunfall bezeichnen. Als gescheitertes Experiment. Ist sie das wirklich?
Festzuhalten bleibt, dass die Kraft-Löhrmann'sche Regierung nicht nur viel länger im Amt war, als vor zwei Jahren ausnahmslos alle Beobachter geglaubt hatten. Ohne eigene Mehrheit hat sie politisch auch einiges auf den Weg gebracht. Darunter sind zwei Entscheidungen, die man getrost als historisch bezeichnen kann: den Schulkompromiss und den Stärkungspakt Stadtfinanzen. Jahrzehntelang hat es keine Regierung in NRW vermocht, das Schulsystem wirkungsvoll zu reformieren und dem demografischen Wandel anzupassen. Gemeinsam mit der CDU ist das nun gelungen.
Und mit dem Stärkungspakt hat Rot-Grün - dieses Mal mit der FDP - die Finanznot der Kommunen dauerhaft auf die politische Agenda gesetzt. Keine Regierung nach ihr wird mehr die Augen davor verschließen oder - wie die Rüttgers-Regierung - den Kommunen noch zusätzliche Lasten aufbürden können. Beides wichtige, ja, große Verdienste.
Das ist schon nicht schlecht für eine zweijährige Amtszeit ohne Mehrheit. Und dennoch: Es ist gut, dass es nun zu Ende ist.
Sparanstrengungen bis zuletzt nicht auszumachen
Denn auf einem entscheidenden Feld hat Rot-Grün versagt, beim Haushalt nämlich. Trotz gegenteiliger Behauptungen waren Sparanstrengungen bis zuletzt nicht auszumachen. Die ewig angekündigten Ergebnisse des "Effizienzteams", das den Haushalt durchforsten sollte - sie werden wohl nie mehr kommen. Förderprogramme wurden aufgestockt, statt sie zusammenzustreichen. Beim Personal wurde nicht gekürzt, sondern zum Teil sogar neu eingestellt. Das dritte Kindergartenjahr machte Rot-Grün kostenfrei, und Studiengebühren schaffte die Koalition ganz ab - obwohl allen klar war, dass es auch ohne diesen Schritt zu einem wahren Boom an den Unis kommen würde. Wie schließlich die Kosten für die WestLB zu schultern sind, hat Rot-Grün erst gar nicht beantwortet - der Posten fehlt im Haushalt.
Nun gibt es sicher gute Gründe für zum Beispiel das kostenlose Kindergartenjahr und Unis ohne Studiengebühren. Aber soziale Wohltaten allein, Wohlfühlpolitik auf Pump, ohne Gegenfinanzierung und ohne irgendjemand weh tun zu wollen (mit Ausnahme von Alice Schwarzer) - das ist auf Dauer keine tragfähige Lösung. Schon ganz am Anfang ihrer Regierungszeit hat Hannelore Kraft begonnen, das Schuldenmachen als Investition in die Zukunft zu verkaufen. Die schuldenfinanzierte "präventive Politik" sollte künftige Reparaturkosten vermeiden. Diese Logik ist und bleibt angreifbar. Die Schulden von heute belasten nun mal die Zukunft. Die Mehrheit im Landtag hat dem nun ein Ende bereitet.
Koalition der Einladung war immer erpressbar
Dennoch: Rot-Grün war kein Betriebsunfall, kein gescheitertes Experiment. Die Regierung Kraft hat Gutes und Wichtiges auf den Weg gebracht. Sie hat vieles für eine offenere und sympathischere Politikkultur getan. Sie hat als "Koalition der Einladung" lange Zeit erstaunlich gut funktioniert. Nur: Sie war auch immer abhängig und erpressbar. Auf dem alles entscheidenden Feld der Finanzpolitik schließlich ist sie gescheitert.
In 60 Tagen wird Hannelore Kraft vermutlich die Chance bekommen, diesen Fehler zu korrigieren.