Der Wahlabend im Landtag - Eine Kraft-Demonstration
Stand: 13.05.2012, 22:20 Uhr
Hannelore Kraft und Rot-Grün feiern lautstark ihren Erfolg, die Piraten bestaunen den ganzen Medienrummel, Lindner gibt Interviews am Fließband und Röttgen macht den Rüttgers. Am Ende gibt es Currywurst für alle - der Wahlabend im Landtag.
Von Jenna Günnewig
Der Landtag platzt fast. Scheinwerfer, aufgeregte Journalisten, Wahlstudio neben Wahlstudio. 16.00, 16.30, 17.00 Uhr - die Nervosität steigt. Gerüchte kochen über. Erste Prozentzahlen sickern durch. Man glaubt sie kaum: "Wahnsinn" ist zu hören, "unglaublich", "ist nicht wahr" - entfährt es einem Mitarbeiter von Infratest dimap.
Innenminister Ralf Jäger bejubelt die satten Mehrheiten
Auch Michael Groschek kennt den Trend. Dementsprechend zufrieden steht der SPD-Wahlkampfleiter mit seinem ersten Pils vor dem Fernseher. Der weigert sich um eine Minute vor 18.00 Uhr noch hartnäckig, ein klares Signal von sich zu geben. Ulrich Deppendorf flackert hin und her, Ton gibt es nicht. Als der SPD-Balken nahe an die 40 Prozent heranwächst, wäre der Fernsehkommentar sowieso im sozialdemokratischen Gekreische untergegangen. "Geile Mehrheit" und "der Hammer" schreit der ehemalige parlamentarische Geschäftsführer Marc Herter. Mit so einem grandiosen Ergebnis habe er nicht gerechnet. Innenminister Ralf Jäger verlangt mit einem fast unverschämt breiten Siegergrinsen nach einem Bier.
Röttgen macht den Rüttgers
"Sie tut richtig weh" - Röttgen über seine Niederlage
50 Meter sind es zur CDU und zur Stille. Norbert Röttgens Rücktritt flackert hier über die Bildschirme. Seine Niederlage sei bitter, klar und eindeutig, so der Bundesumweltminister noch in der CDU-Parteizentrale. Er räumt ein: "Das ist meine persönliche Niederlage." Denn der Wahlkampf sei ganz auf ihn ausgerichtet gewesen. Daraus ziehe er persönlich die Konsequenzen - er gebe die Führung ab. Ob Röttgens Rettungsschirm funktioniert, ob er Umweltminister bleiben kann. Alles fraglich.
Um halb sieben kommt Röttgen dahin, wo viele zweifelten, dass er dort überhaupt hin wollte - in den Landtag. Ein Pulk von Journalisten und schubsenden Kameramännern verfolgt ihn. Seine Frau Ebba weicht ihm nicht von der Seite. Ohne Kommentar quer durch die Eingangshalle und durch die feiernde FDP geht es hindurch. Die Szenen erinnern an Jürgen Rüttgers Nicht-Auftritt nach der CDU-Niederlage vor zwei Jahren. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende Karl-Josef Laumann bleibt schließlich mitten auf dem Flur stehen und stellt sich den Fragen. Röttgen habe einen guten Job gemacht. Er sei dankbar für seine Arbeit. Zudem sei er ein Mensch, der um zehn vor sechs die gleichen politischen Freunde habe, wie um zehn nach sechs. Auch Oliver Wittke verteidigt Röttgen - "Laden zusammenhalten" ist nun die CDU-Devise.
Zwei souveräne Sieger: Kraft und Lindner
Ganz anders die SPD: Hier und heute ist die Partei vor allen Dingen eine One-Woman-Show. "Nicht noch mal Minderheitsregierung" hat Hannelore Kraft als eines ihrer Ziele ausgegeben. Darauf braucht sie sich nun nicht mehr einlassen. Für Rot-Grün wären es nach aktuellen Hochrechnungen 127 Sitze und eine satte Mehrheit. "Wir werden gut mit dieser Mehrheit umgehen", verspricht Kraft vor laufenden Kameras. Das Ergebnis sei auch ein Schub für die nächsten fünf Jahre. Und ja, sie stehe zu ihrem Wort und zu NRW: keine Kanzlerkandidatur in Aussicht. Ihr Sohn wird derweil am Rand fast erdrückt von der schubsenden Medienmeute.
Christian Lindner hat kurz die FDP gerettet
Ein Fernsehstudio weiter bedankt sich gerade Christian Lindner artig für das "Vertrauen der Wähler" und weicht geschickt den Fragen nach der Zukunft des eher unbeliebten FDP-Bundesparteivorsitzenden Philipp Rösler aus. Über acht Prozent gibt es für die schon tot geglaubte FDP - das Ergebnis sei doch zunächst erst mal eine Stabilisierung der Bundespartei. "Natürlich gibt es einen Lindner-Effekt", erklärt der ehemalige Fraktionsvorsitzende Gerhard Papke den kometenhaften Aufstieg seiner Partei jenseits der grellen Scheinwerfer. Er kommt gar nicht durch, um Lindner zu gratulieren.
Triumph der Spitzenkandidatinnen
Wunschergebnis für Löhrmann und Kraft
Derweil feiert der Kölner Grüne Arndt Klocke in einer giftgrünen Hose die über elf Prozent seiner Partei. Seine Chefin Sylvia Löhrmann und Kraft umarmen sich im Blitzlichtgewitter zwischen zwei Interviews. Die Luft steht. "Vorsicht", ruft Kraft, als ihre Bodyguards sie durch die Menge boxen.
Jenseits des Medienrummels genießen die Piraten
Will das Chili im Landtag sein - Joachim Paul
Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei schaut sich das Spektakel aus entspannter Distanz an. Bernd Schlömer sieht mit seiner Schirmmütze zwar nicht aus wie ein klassischer Politiker, redet aber schon wie einer: Der Einzug in den Landtag, das sei der "Lohn für mühevolle Arbeit", die hohe Zustimmung spreche fürs Programm der Piraten. Während die anderen Spitzenkandidaten von Interview zu Interview gereicht werden, steht der erste NRW-Pirat Joachim Paul bei Kippe und Bier auf der Landtagsterrasse: "Die Wähler haben sich entschieden, einen Schuss Chili in den Landtag zu wählen. Der werden wir sein." Es ist das vierte und das größte Landesparlament, in das die Piraten nun einziehen.
In der Landtagskantine gibt es nur noch Currywurst
Spitzenkandidatin der Linkspartei Schwabedissen feiert trotzdem
Von der "kleinen Bundestagswahl" schreiben die Medien gerne, und vom Muttertag am Muttertag. Dann meinen sie aber meistens Kraft und nicht Katharina Schwabedissen. Die Mutter von zwei Söhnen ist am Muttertag aus dem Landtag geflogen. Bei ihr und ihrer Linkspartei herrscht aber trotzige "Ja-Und-Stimmung". Auch wenn sie enttäuscht sei: "Wir feiern jetzt einfach einen tollen Wahlkampf." Außerhalb des Parlaments wolle man jetzt Druck von links machen, so der Plan.
Um acht Uhr riecht es im Foyer des Landtags schon mächtig nach Alkohol. Ein Pirat hat sich die Parteiflagge als Umhang umgebunden und zieht breit grinsend durchs Foyer. Unten in der Landtagskantine ist zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Gericht zu haben: die Currywurst. Die SPD hat gewonnen.