Der erste Linke im Landtag geht
Stand: 02.04.2012, 06:00 Uhr
Rüdiger Sagel war immer unbequem. Unter Protest verließ er die Grünen und trat in die Linke ein. Bis 2010 war er der einzige Landtags-Abgeordnete seiner Partei. Sagel dürfte die Liste der Zwischenrufer anführen, wurde sogar des Plenums verwiesen. Nach 14 Jahren im Landtag macht er nun Schluss und zieht im Interview Bilanz.
WDR.de: Herr Sagel, warum kandidieren Sie nicht mehr für den Landtag?
Rüdiger Sagel: Ich bin jetzt seit über 14 Jahren Mitglied im Landtag von NRW, und ich hatte schon länger den Gedanken im Kopf, mal was anderes zu machen. Ich überlege zurzeit, für den Bundesvorstand zu kandidieren, der im Juni neu gewählt wird. Ich möchte innerhalb der Partei dazu beitragen, dass wir uns inhaltlich und programmatisch weiterentwickeln. Sozialer Umbau, ökologische Politik und Flüchtlingspolitik - das sind Themen für mich.
WDR.de: Klingt nachvollziehbar, allerdings zeigen die Umfragen, dass die Linke im nächsten Landtag gar nicht mehr vertreten sein könnte. Man kann auf die Idee kommen, Sie verlassen das sinkende Schiff.
Sagel: Nein, eben nicht. Das kann man mir nicht vorwerfen, weil ich schon vor Monaten gesagt habe, dass ich nicht mehr antrete, da war eine Neuwahl noch gar nicht absehbar.
WDR.de: Wobei Sie den Rückzug damals schon an Neuwahlen geknüpft haben und den Mai als Termin ins Spiel gebracht haben. Prophetische Fähigkeiten?
Sagel: Ich habe eine Prognose abgegeben, dass es bei Hannelore Kraft Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur gibt und dass sie deshalb den Haushalt zu spät eingebracht hat, um ihn strategisch günstig im März platzen zu lassen. Da bin ich noch weitgehend verlacht worden. Aber wie gesagt, ich hatte immer deutlich gemacht, dass ich bei einer Neuwahl nicht antrete. Allerdings bin ich noch Direktkandidat für Münster Süd.
WDR.de: Moment, Sie treten also doch an?
Sagel: Naja, ich gehe nicht davon aus, dass ich den Wahlkreis gewinne.
WDR.de: Damit ist zumindest klar, dass Sie bei den Linken bleiben. Böse Zungen behaupten, der Sagel tritt als nächstes bei den Piraten ein.
Sagel mit Kaktus, einem Geschenk der Ex-Fraktionskollegen von den Grünen
Sagel: (lacht) Also, ich bin sehr bewusst bei den Grünen ausgetreten, weil die nicht mehr die Politik gemacht haben, für die ich ursprünglich angetreten bin. Das ist weitgehend eine Funktionärspartei geworden. Damals habe ich mir gesagt: Ich gucke mir an, wie das bei den Linken ist, und war ja auch eine Zeitlang parteilos. Inhaltlich und programmatisch fühle ich mich bei den Linken nach wie vor sehr gut aufgehoben. Die Piraten haben bislang wenig erkennbar Position bezogen haben. Und die Positionen, die sie haben, sehe ich in vielen Punkten mehr als kritisch, insbesondere was die sozialen Forderungen angeht. Bei den Piraten sehe ich mich überhaupt nicht.
WDR.de: An Ihrer Büro-Tür hängt aber einer - Johnny Depp als Captain Jack Sparrow.
Sagel: Das ist ein linker Pirat. Übrigens stehe ich durchaus für Informationsfreiheit und Transparenz. Ich bin damals als erster Abgeordneter seit zwölf Jahren aus dem Landtag geflogen, weil ich ein Plakat hochgehalten habe mit Kritik an Jürgen Rüttgers' Sponsoring-Praxis.
WDR.de: Jetzt fliegen Sie sozusagen auch vorzeitig aus dem Landtag. Hätten Sie sich ein besseres Ende Ihrer Abgeordnetentätigkeit gewünscht?
Sagel wird aus dem Landtag geführt
Sagel: Ich finde, dass eine große Chance für einen Politikwechsel vertan wurde. Bei den Kitas etwa ist die Beitragsfreiheit nur zum Teil umgesetzt worden. Und ein kostengünstiges Sozialticket gibt es auch nicht. Stattdessen haben sie eine Neuwahl in Kauf genommen, die mit 45 Millionen Euro teurer wird als die Einführung eines Sozialtickets. Man hätte die Neuwahl verhindern können, wenn man das politisch gewollt hätte.
WDR.de: Bei der jüngsten Haushaltsentscheidung sind die Linken standhaft geblieben. Vorher allerdings haben Sie häufig den Mehrheitsbeschaffer für die Minderheitsregierung gespielt. Warum eigentlich? Die Wähler scheinen es Ihnen nicht zu honorieren.
Sagel: Wir haben immer das unterstützt, was sinnvoll und notwendig war. Wir sind nicht als Radikalopposition angetreten, sondern haben gesagt: Da, wo es sinnvoll ist, machen wir mit. Wir wollten den Regierungswechsel, Rüttgers musste weg. Der Politikwechsel aber ist nur sehr bedingt umgesetzt worden.
WDR.de: Kommt die Linke wieder in den Landtag?
Sagel: Das wird schon eine enge Kiste werden. Wir werden sehr kämpfen müssen. Wir werden sehr deutlich machen müssen, warum es wichtig ist, dass die Linke als soziales Korrektiv in den Landtag kommt. Wir werden den Wählern deutlich machen müssen, dass wir die einzige Partei sind, die konsequent für ihre Interessen streitet.
WDR.de: Kann es sein, dass die Leute genug davon haben, dass Sie immer nur soziale Wohltaten fordern, aber nie an die Gegenfinanzierung denken?
Sagel: Im Gegensatz zu den anderen Parteien, die immer nur auf Sparpolitik setzen, wollen wir ganz konkret die Einnahmen verbessern. Es muss eine höhere Erbschaftsteuer geben, es muss eine Millionärsteuer geben, einen höheren Spitzensteuersatz. Wenn man alleine die Vermögensteuer wieder einführen würde, hätte NRW drei Milliarden mehr Einnahmen, käme also ohne Neuverschuldung aus. Man muss andere Wege gehen. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass es mehr Steuerprüfer gibt, und dafür hat sich die Steuergewerkschaft bei mir persönlich bedankt. Ich habe übrigens auch Vorschläge gemacht, wie man hier im Haushalt sparen kann.
WDR.de: Und wie? Beim Personal, dem größten Brocken, wollten Sie nie sparen.
Sagel: Ich bin da differenziert. Es gibt Bereiche, in denen wir weniger Personal brauchen, und andere Bereiche, da brauchen wir mehr, zum Beispiel im Hochschulbereich. Verwaltungswasserköpfe aber brauchen wir nicht, etwa bei der Landwirtschaftskammer. Außerdem wird immer noch Geld für unnötige Sachen ausgegeben. Zum Beispiel für das Landgestüt in Warendorf. Da werden jedes Jahr viereinhalb Millionen Euro für Pferdezucht ausgegeben. Das ist völlig unnötig.
WDR.de: Wenn Sie zurückblicken auf 14 Jahre Abgeordnetenzeit: Was waren Ihre größten Erfolge?
Streit um die DDR gehörte dazu: Sagel mit Stück der Berliner Mauer
Sagel: Ich habe mit meiner Erfahrung geholfen, die Fraktion der Linken aufzubauen. Das war gerade in der Anfangszeit sehr wichtig, weil meine Kollegen keine parlamentarische Erfahrung hatten. Die Abschaffung der Studiengebühren haben wir zuerst gefordert, und es war schon ein großer Erfolg, dass das so gekommen ist. Insgesamt finde ich aber auch eine Menge Defizite. Bei den Grünen war ich ja eher in der innerparteilichen Opposition. Die Zeit von Clement und Steinbrück (frühere Ministerpräsidenten von der SPD, Anm. d. Red.) war keine, in der man als kritischer Grüner Hurra schreien konnte.
WDR.de: Was war Ihr schönster Zwischenruf?
Sagel: Och, weiß ich nicht. Ich war in der Statistik der Zwischenrufe und auch der Ordnungsrufe immer vorne. Es war aber auch manchmal unerträglich, was da zum Besten gegeben wurde. An einen Zwischenruf, für den ich gerügt wurde, kann ich mich erinnern. Ich habe den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Koch als Sozialräuber tituliert.
Das Interview führte Rainer Kellers.