Porträt: Carina Gödecke
"Und jetzt werde ich tatsächlich Präsidentin"
Stand: 31.05.2012, 06:00 Uhr
Carina Gödecke wurde am Donnerstag (31.05.2012) zur neuen NRW-Landtagspräsidentin gewählt. Die SPD-Politikerin war bislang Vizepräsidentin. Zwischen gepackten Kisten und der Arbeit an ihrer Antrittsrede bleibt noch Zeit für ein wenig Nervosität und ganz viel Vorfreude.
Von Jenna Günnewig
Die Schränke sind ausgemistet, ein paar Umzugskartons schon gepackt, nur die bunten Bochum-Bilder müssen noch von den Wänden: "Die werde ich sehr vermissen", gibt Carina Gödecke (SPD) zu. Am Donnerstag wird die bisherige Vizepräsidentin zur Präsidentin des Landtags NRW gewählt und in das große, repräsentative Büro ihres Vorgängers Eckhard Uhlenberg (CDU) umziehen.
"Fassen werde ich das alles wahrscheinlich erst am Wochenende danach", erzählt Gödecke. Es gebe in Deutschland schließlich nur 16 Landesparlamente, 16 Landtagspräsidenten - "und dann bin ich eine von denen, das ist schon so, das man 'wow' sagen kann. Das ist eine richtig große Verantwortung."
"Ich bin durch und durch Parlamentarierin"
Carina Gödecke ist 53 Jahre alt, beliebte SPD-Politikerin, begeisterte Bochumerin, Typ freundliche aber strenge Lehrerin. 1995 wurde sie in den Landtag NRW, 2000 zur parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Fraktion gewählt. Den Job machte sie zehn Jahre lang, vor zwei Jahren wurde sie dann erste Vizepräsidentin des Landtags. An das Thema der ersten Sitzung, die sie geleitet hat, kann sie sich nicht mehr erinnern, nur an das Gefühl: "Ich war total aufgeregt." Da vorne zu sitzen, die Kollegen aufzurufen, deren Mikro freizuschalten. "Aber nach kurzer Zeit habe ich gedacht: Das ist toll, das ist mein Ding."
Nun ist ihre SPD stärkste Fraktion im Landtag. Gödecke ist beliebt, hat als Vizepräsidentin einen guten Job gemacht, da war es nur folgerichtig, dass die Fraktion sie nun zur Landtagspräsidentin vorschlägt. Gödecke hat das gefreut, sie traut sich das Amt durchaus zu: "Wenn es eine Ausbildung für den Bereich geben kann, dann hab ich sie sicherlich durchlaufen. Ich bin Parlamentarierin durch und durch." Und trotzdem, ein wenig nervös sei sie schon.
Ausgleichend wirken, einen klaren Kompass haben
Vor der Politik hat Gödecke an der Uni Wuppertal Chemie und Pädagogik auf Lehramt studiert. Auch wenn sie mit der Fächerkombination nie einen Job gefunden hat, gelernt ist gelernt. Ein paar pädagogisch-didaktische Kniffe würden ihr bei der Arbeit als Präsidentin helfen. Wichtig sei, gut zuzuhören, auf Menschen zuzugehen, schnell Situationen zu erfassen. "Oben auf dem Präsidentenstuhl muss ich unterschiedliche Interessen unter einen Hut bekommen." Eine Präsidentin müsse ausgleichend wirken und für sich selbst einen klaren Kompass haben. "Wissen, was richtig und was falsch ist. Nicht unbedingt inhaltlich, nicht parteipolitisch. Man muss die Verfahren kennen", zählt Gödecke auf. Und: "Man darf sich nicht von Lautstärke beeinflussen lassen oder schnell angegriffen fühlen."
Eine politische Tagebuchschreiberin
Hört man im Landtag nach, wird Gödecke als blitzgescheit und bescheiden charakterisiert, sie selbst beschreibt sich als "Workaholic". Es fällt leicht, ihr das zu glauben. Neben dem Parlament engagiert sie sich in Bochumer Vereinen, sitzt in Stiftungen und Hochschul-Gremien. Am Wochenende schreibt sie lange Wochenberichte für ihre Homepage, in denen sie Politik und Privates vermischt und Revue passieren lässt, den politischen Alltag und komplizierte Politik einfach erklärt, ihre Sicht darstellt. "Kein reiner politischer Rückblick, sondern eher ein: Was hast du gemacht und wie hast du dich dabei gefühlt. Wenn ich die Wochenberichte binden lassen würde, hätte ich ein schönes Tagebuch."
Sie habe überlegt, ob sie es als Präsidentin noch schaffe, diese Berichte zu schreiben, doch gerade jetzt könne sie damit nicht aufhören. "Denn dann bin ich doch wie die Abgeordneten, die im Wahlkampf getwittert und in der Wahlnacht damit aufgehört haben."
"Der Parlamentarismus lebt von Persönlichkeiten"
Deswegen schreibt sie weiter, über Grönemeyer, ihre Mama im Altersheim, die neue Sitzordnung im Parlament, davon, dass ihr "kaum Zeit zum Luftholen" bleibe, das sie an ihrer Antrittsrede arbeite und über den Besprechungsbedarf der Piraten. Von denen erhofft sich Gödecke frischen Wind: "Ich erwarte nicht, dass sie den Landtag gleich mit Halali und Halalo entern werden. Die werden sich an die parlamentarischen Regeln halten." Aber wer neu dazu komme und die parlamentarischen Gleise nicht fest in Kopf habe, könne bereichern und beleben. Eins stellt sie in punkto Piraten dann doch noch klar: Computer und Internet seien erst mal Instrumente - und kein Selbstzweck. "Im Plenarsaal reden wir miteinander." Wort und Widerwort seien hier das Instrument, denn "der Parlamentarismus lebt von Persönlichkeiten am Rednerpult."
"Zur richtigen Zeit am richtigen Ort und nicht dumm angestellt"
Carina Gödecke hat sich vorgenommen, den Landtag zu öffnen, die Politikverdrossenheit der Bürger abzumildern und die "repräsentative Demokratie durch Hineinnehmen der direkten Demokratie" zu stärken. Freut sie sich auf ihre neue Aufgabe? Gödecke nickt: "Ja, sehr sogar." Landtagspräsidentin von Nordrhein-Westfalen zu werden, das sei zwar nicht geplant gewesen, aber in ihrem politischen Leben habe sich alles zufällig ergeben. "Zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen und nicht dumm angestellt", nennt sie das, lächelt und sagt, wie um sich noch einmal selbst zu vergewissern: "Und jetzt werde ich tatsächlich Präsidentin."