Teilweise scheint es bei den Linken noch nicht angekommen zu sein, was am Sonntag (13.05.2012) mit ihnen passiert ist. Nach außen wirkt es so, als reagiere die Partei auf ihre Wahlschlappe mit Verdrängung: Die für Montag (14.05.2012) ursprünglich vorgesehene Pressekonferenz zur Ergebnisanalyse wurde kurzfristig abgesagt. Und ruft man im Netz die Fraktionsseite auf, sieht man als oberste Meldung immer noch Informationen zur Auflösung des Landtages im März. Von den 2,5 Prozentpunkten, dem Einbruch des Stimmanteils um rund zwei Drittel, keine Spur. Auch nicht davon, dass die Abgeordneten derzeit Akten sichten und Sachen packen müssen, um bis spätestens 31. Mai ihre Zimmer im Landtag geräumt zu haben. Nur auf der Homepage der Partei ein trotziges: "Wir machen weiter - so oder so!" Spitzenkandidatin Katharina Schwabedissen zitiert dazu am Mittwoch (16.05.2012) im Gespräch mit WDR.de einen Songtitel von Wir sind Helden, "Gekommen um zu bleiben", und fügt hinzu: "Wir schreiben uns nicht ab."
Protestwähler wanderten zu Piraten ab
Um das hinzubekommen, brauchen sie viel Durchhaltevermögen. Zumal die Piraten einen großen Teil des Protestpotenzials von der Linken abgeschöpft haben. "Rund 80.000 Wähler sind zu den Piraten abgewandert", sagt Schwabedissen. "Dabei sind die Piraten strukturell überhaupt nicht in den Protestbewegungen verankert." Die Landesvorsitzende der Linken ist frustriert. "Die Piraten müssen jetzt beweisen, dass sie überhaupt eine Protestpartei sind." Das werde schwer, ist sich Schwabedissen sicher. "Die sind ja noch dabei, sich selbst zu finden."
Auch an SPD verlor die Linke Stimmen
Doch der Verlust bei der Protestklientel ist nur die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere: Bedeutungsverlust. SPD und Grüne haben in ihrer Zeit der Minderheitsregierung Themen angestoßen, die zum linken Kernprogramm zählen: betragsfreies Kitajahr, Abschaffung der Studiengebühren - "das haben wir alles mitangestoßen, mit unserer Hilfe ging das durch den Landtag", sagt Schwabedissen. Dem Wähler das zu vermitteln, das hätten sie in diesem Turbowahlkampf nicht geschafft. "Der Alttagszweck der Linken ist den Menschen nicht mehr bewusst." Vor allem die SPD halten viele ehemalige Wähler beim Thema soziale Gerechtigkeit für glaubwürdiger. 90.000 von ihnen wanderten zu den Sozialdemokraten ab. Hannelore Kraft hat mit ihrer akribischen Basisarbeit die verprellten Ex-Wähler zurückgewinnen können, die überhauot erst zur Gründung der Linken in Westdeutschland führten. Dort verliert sie jetzt zunehmend an Boden: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schaffte sie erst gar nicht den Sprung ins Parlament, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen waren es nur kurze Intermezzi.
Die Gleichung heißt jetzt: Die Linke minus Protest und "Alltagszweck" gleich: Splitterpartei. Dass sie mit Wolfgang Zimmermann, der krankheitsbedingt verhindert war, während des Wahlkampfs auf ein Zugpferd verzichten musste, machte das Schlamassel in NRW perfekt.
Im Landtag wird gepackt
Im Landtag füllen sich in den Fraktionsräumen derweil die Umzugs-, oder korrekter: Auszugskartons. "Wir sind eine Firma in Liqudidation", versucht Fraktionssprecher Florian Kaiser der Situation mit Humor zu begegnen. Elf Abgeordnete müssen gehen. Mit ihnen: 34 feste Mitarbeiter aus Buchhaltung und Geschäftsführung. Außerdem: 21 persönliche Mitarbeiter der Abgeordneten. Und: Mitarbeiter in den Wahlkreisbüros. Insgesamt sollen es rund 80 Personen sein, die wegen der Wahlschlappe der Linken ihren Job verlieren. Nur wenige, so Kaiser, können in ihren früheren Beruf zurück wie etwa die Abgeordneten Bärbel Beuermann und Gunhild Böth, beide Lehrerinnen, verbeamtet, mit Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Um die anderen kümmert sich ab 1. Juni erstmal die Agentur für Arbeit.
Helfen Piraten manchen Schiffbrüchigen?
Hoffnung machte manchen die Ankündigung von Joachim Paul, dem Spitzenkandidat der Piraten. Am Montag sagte er, einige der früheren Linken-Mitarbeiter hätten Chancen, von seiner Fraktion übernommen zu werden. Er betonte, dass dafür nicht notwendig sei, Mitglied bei den Piraten zu werden. Die Stellen würden aber zunächst ganz regulär ausgeschrieben, sagt Michele Marsching, Landesvorsitzender der Piraten, der demnächst auch mit einem Mandat in Düsseldorf sitzt. Dann werde man sehen, wer sich eignet. Erfahrung in der Landtagsarbeit zu haben, sei sicherlich schon mal nicht schlecht.
Auf die Ausgangslage zurückgeworfen
Keine Abgeordneten, keine Wahlkreisbüros, weniger Parteienfinanzierung - die Infrastruktur der Linken scheint bis auf die Knochen abgenagt. Auch hauptamtliche Mitglieder im Landesvorstand wird es zukünftig wohl nicht mehr geben, so Schwabedissen. "Wir sind nicht die SPD, die auf einen großen Apparat zurückgreifen kann, um Parteiämter zwischenzeitlich aus anderen Töpfen zu bezahlen." Die Wahlniederlage - sie wirft die Linke auf ihre Ausgangslage zurück. Schwabedissen macht das keine Angst, zumindest sagt sie das: "Wir kennen das ja. Bis vor 20 Monaten war das ähnlich. Jetzt heißt es eben wieder: ehrenamtliches Engagement bis zum Umfallen." Auch, dass die Linken sich zurückarbeiten werden und nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken, ist sie überzeugt: "SPD und Grüne werden jetzt deutlich zeigen, dass die Kassenlage soziale Politik sehr schwierig macht." Außerdem sieht sie linken Rückenwind durch die Wahlergebnisse in Frankreich und Griechenland.
Diesen Rückenwind haben jetzt aber erstmal andere genutzt. Für die Linke wird es schwer werden, nicht den Anschluss zu verpassen. Denn fünf Jahre sind eine lange Zeit, um sich im Gespräch zu halten.