Viele Opfer hätten jahrelang geschwiegen und sich erst seit Jahresbeginn im Zuge der breiten öffentlichen Debatte um Missbrauch in der katholischen Kirche offenbart. Meist gehe es um lange zurückliegende und damit oft verjährte Missbrauchsvorwürfe, hieß es bei einer Seelsorgertagung in Münster. Bischof Felix Genn bat die Opfer erneut um Vergebung für die "Verwundungen tiefster Art". Zudem forderte er die Täter auf, ihre Vergehen einzugestehen. Laut Bistum gab es von 1948 bis 2001 in der Diözese Münster 56 Täter und 106 Opfer, in den Jahren 2002 bis 2010 vier Täter und eine noch ungeklärte Anzahl von Opfern.
Genn: Entschädigung nicht aus Kichensteuermitteln
Bischof Genn sprach sich gegen pauschale Entschädigungen durch die Kirche aus. "Ich möchte nicht, dass wir das aus Kirchensteuermitteln bezahlen." Wer die Taten begangen habe, müsse auch dafür aufkommen. Allerdings sei das Bistum bereit, im Rahmen der Grundregeln des Runden Tischs der Bundesregierung mitzuarbeiten. Der sexuelle Missbrauch sei "eine erschütternde Tatsache, die mich tief berührt, weil der Kirche viele junge Menschen anvertraut worden sind", sagte der Bischof. Die Missbrauchsfälle seien etwas, "was ins Mark von menschlichem Schicksal und priesterlicher Sendung geht".
Schwerpunkt
Taten fanden im Umfeld von Messdienerarbeit statt
Der diözesane Missbrauchsbeauftragte Hans Döink präzisierte die Opfer- und Täterzahlen. Danach sind von den 56 bis zum Jahr 2001 Beschuldigten 27 verstorben. 29 Fälle seien von der Kommission untersucht, 17 davon an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden. In 12 Fällen sei dies auf Wunsch der Opfer unterblieben. Von den 106 Opfern zwischen 1948 und 2001 waren laut Döink 84 männlich und 22 weiblich; 84 Prozent waren zwischen 14 und 17 Jahre alt. "Die Taten fanden im Umfeld von Messdienerarbeit, bei Ferienfreizeiten oder im Pfarrhaus statt", erläuterte der Kommissionsleiter. Dabei habe es sich zu 90 Prozent um Betrachten oder Berühren und zu 65 Prozent um Onanie gehandelt.
Kommissarin lobt Zusammenarbeit mit Bistum
Die frühere Leitende Kriminalhauptkommissarin Gudrun Schramm-Arntzen lobte die Zusammenarbeit mit dem Bistum. "Ich bin erstaunt über die Transparenz und Offenheit", so das Mitglied der Missbrauchs-Kommission. Generalvikar Norbert Kleyboldt kündigte das baldige Ausscheiden von Döink und Schramm-Arntzen aus der Kommission an. Als Grund nannte er enorme Belastungen in den vergangenen Monaten. "Wir wollen möglichst einen Außenstehenden als Leiter der Kommission gewinnen", so Kleyboldt. Mit dem Thema sexueller Missbrauch werde die Diözese sich weiterhin intensiv beschäftigen.
Im Januar 2010 hatten Missbrauchsvorwürfe ehemaliger Schüler gegen Geistliche und Mitarbeiter verschiedener Einrichtungen eine Welle deutschlandweiter Enthüllungen ausgelöst. Betroffen waren unter anderem das Aloisiuskolleg in Bonn und das Vinzenzwerk in Münster. Der Augsburger Bischof Walter Mixa war im Zuge der Ermittlungen von seinem Amt zurückgetreten.