Der deutsche Filmregisseur Adolf Winkelmann hat fast sein ganzes Leben im Ruhrpott verbracht. Der 64-Jährige wurde für seine Kino- und Fernsehfilme mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet - zuletzt für seinen Film "Contergan", einen Fernseh-Zweiteiler des WDR.
WDR.de: Herr Winkelmann, Sie zeigen drei aufwändige Filminstallationen am so genannten Dortmunder U. Warum dort?
Adolf Winkelmann: Was wir uns angewöhnt haben, das Dortmunder U zu nennen, ist ja ursprünglich ein Keller. Die Besitzer der dortigen Unionsbrauerei sind 1926 auf die Idee gekommen, ihren Braukeller in die Höhe zu bauen. Daraus wurde das erste Hochhaus der Region. Es ist bis heute das wichtigste Wahrzeichen der Stadt. Dann haben sie in der riesigen Brauerei gebraut, bis das nicht mehr ging. Danach hat das längere Zeit leer gestanden. Und so ein unglaubliches Bauwerk kann man nicht abreißen. Deshalb ist entschieden worden, daraus ein europäisches Zentrum für Kunst und Kreativität zu machen. Damit man das dem Gebäude auch ansieht, habe ich vorgeschlagen, es mit bewegten Bildern zu inszenieren.
WDR.de: Waren Sie an der Entscheidung beteiligt, was aus dem Gebäude wird?
Winkelmann: Nein, ich habe mich beworben. Das Gebäude hat sechs Etagen, und da habe ich gesagt, irgendwo müsste doch noch ein bisschen Platz für meine Bilder sein. Da haben sie gesagt, vielleicht im Treppenhaus oder in der Eingangshalle oder oben auf dem Dach, da sei es kalt, da wolle keiner hin. Am Ende sind es alle drei Orte geworden. Ich finde die deshalb interessant, weil man für die keine Eintrittsgelder nehmen kann.
WDR.de: Ihre Arbeit ist also kostenlos zu sehen?
Winkelmann: Ja, ich möchte mehr Leute erreichen als ein Museum für Moderne Kunst. Das Dach kann man von weitem aus der Stadt heraus sehen. Die Dachkrone stelle ich mir als Bilderuhr vor, und ich bin der Glöckner, der zur vollen Stunde statt eine Glocke zu läuten dort Bilder hineinspielt. Ich stelle mir das so wie in München vor dem Rathaus vor, wo die Leute darauf warten, dass die Figuren aus der Kuckucksuhr herauskommen.
WDR.de: Welche Bilder zeigen Sie?
Winkelmann: Ich lasse die Dachkrone zum Beispiel mit Bier voll laufen oder dort sechs Meter große Tauben wohnen. Das ist schon eine Attraktion. Wenn man dann in die Eingangshalle des Turms kommt, wird man von einer in einer Ellipse aufgehängten Bilderkette umarmt, die Panoramen aus dem Ruhrgebiet zeigt. Und wenn man im Treppenhaus die Rolltreppen rauffährt, dann kommen Menschen auf einen zu und erzählen einem Sachen, die man nicht hören will.
WDR.de: Zum Beispiel?
Winkelmann: Geständnisse. Sie gestehen unangenehme oder eklige Sachen, die sie gemacht haben. Eine Frau hat Botox geklaut und sich heimlich gespritzt, und das ist ihr misslungen. Sie verspricht, das nicht wieder zu tun. Dann habe ich auch einen Kardinal, der gesteht, dass er Unsittliches getan hat. Und es gibt eine Frau, die mich sehr an mich selbst erinnert. Die sagt nämlich, dass ihr Telefon intelligenter ist als sie selbst.
WDR.de: Haben Sie eine persönliche Beziehung zum U-Turm?
Winkelmann: Der Ausgangspunkt war nicht, was ich mache, sondern, dass ich etwas genau an diesem Ort mache. Dieser U-Turm ist in meinem Leben immer wichtig gewesen. Ich habe als Kind davon 500 Meter Luftlinie entfernt gewohnt und immer auf den Turm geguckt. Damals war das U noch nicht da oben drauf. Nur in der Vorweihnachtszeit standen dort Lichterbäume. Und da wusste ich, jetzt ist Vorfreude angesagt. Ich bin auf dem Weg zur Schule immer um diese Brauerei herumgekurvt. Die war irgendwie immer im Weg. Und jetzt habe ich mich intensiver damit beschäftigt und habe herausgefunden, dass es ein mystischer Ort ist, der an sich schon sehr viel über das Ruhrgebiet erzählt. Nicht nur weil es dort eine Brauerei gab, sondern auch weil dort 1906 der größte Goldschatz gefunden wurde, der je diesseits der Alpen gefunden worden ist. Mehr als 400 römische Goldmünzen, alle unter diesem Turm. Und da meine Installationen ja dauerhaft bestehen, die Bilder sich aber verändern müssen, werde ich dort im dritten Kellergeschoss eine kleine Wohnung beziehen und mit dem Computer diese Show steuern.
WDR.de: Gab es viele Hindernisse bei der Umsetzung?
Winkelmann: Das ist zunächst einmal die Frage des Denkmalschutzes. Darf man an den Säulen auf dem Dach des Gebäudes LED-Paneelen anbringen? Das war zuerst äußerst unsicher, ob wir das dürfen. Man muss dazu wissen, dass dieses zehn Meter hohe U, das auf dem Gebäude steht, diese riesige Leuchtreklame der Brauerei, erst 1968 darauf gestellt wurde. Damals hat es anscheinend noch keinen Denkmalschutz gegeben. Jetzt machen wir diese eigentlich unsichtbare LED-Jalousie in die Fensterlöcher und bekommen gesagt, das geht nicht. Aber dann haben wir doch gewonnen und dürfen es. Dann gab es die nächste Hürde: die Lichtemissionen. Nach 22 Uhr dürfen die Bilder ganz bestimmte Helligkeitswerte nicht überschreiten. Wir wollen das nachts daher dimmen. Den dritten Punkt haben wir verloren. Wir hätten oben am Turm so gern Lautsprecher angebracht, damit der auch klingt. Aber das ist leider noch nicht wie beim Kirchturm möglich. Deshalb versuchen wir jetzt den Ton dieser Filme über Smartphones in das Ohr des Betrachters zu bekommen.
WDR.de: Was kosten das Ganze?
Winkelmann: Das Ganze ist ja kein Kulturhauptstadtprojekt im engen Sinne. Wir haben damit ja bereits vor der Finanzkrise begonnen. Die Sanierung des ganzen Turms kostet 50 Millionen Euro, rund fünf Millionen Euro sind für die drei Filminstallationen. Die Stadt Dortmund, das Land NRW und die EU zahlen das, weil sie auf Kreativwirtschaft setzen. Genau in diesem Bereich entstehen im Ruhrgebiet ja derzeit die meisten Arbeitsplätze: in der Mode, der Musik und im Design.
WDR.de: Wie hat sich das Ruhrgebiet im Laufe Ihres Lebens verändert?
Winkelmann: Das Ruhrgebiet hat sich sehr verändert. Es ist viel sauberer geworden, die Kohle schwimmt nicht mehr in den Pfützen. Als Kind habe ich immer ein weißes Blatt Papier auf die Fensterbank gelegt, und dann lag am nächsten Tag eine feine Schicht Ruß darauf, und da konnte man dann mit dem Finger drauf malen. Mit dem Ruß sind auch die Industrie und die Arbeitsplätze verschwunden. Seit den 1960er Jahren ist es steil bergab gegangen. Was sollen denn diese ganzen Menschen, die damals nur wegen Kohle und Stahl gekommen sind, noch machen? Warum sind die noch hier? Das ist eine Herausforderung für die Wirtschaft und die Politik, aber nicht für die Kunst.
Das Gespräch führte Stephanie Zeiler.