Ein Bagger rollt über den Brunnenplatz. Daneben spielen Kinder. Sie sprechen verschiedene Sprachen. Etwas abseits steht Rolf Haarmann, um ihn herum elf Zuhörer. Der 59-Jährige startet gerade seinen kleinen Rundgang auf der Route der Wohnkultur, einem Projekt der Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Vom zentralen, gerade im Umbau begriffenen Platz führt er durch das Bochumer Quartier "Hustadt", einer autofreien Trabantenstadt der Universität aus den 1968er-Jahren, in der er selbst siebzehn Jahre gelebt hat und bereits 15 Jahre Stadtteilarbeit leistet. "1.200 Menschen aus über 40 Nationen leben heute hier. Der afghanische Industrie- und Handeslminister und seine Frau, Mitglied der dortigen Königsfamilie, haben auch eine der Wohnungen", sagt Haarmann und versucht so, etwas Glamour in die öffentlich oft als Brennpunkt bezeichnete Großwohnsiedlung zu bringen. Dann setzt er den Rundgang fort.
Leben in Wohnblocks seit 1968
Viele der Teilnehmer wohnen bereits seit ihrem Bestehen in der Uni-Rahmenstadt. "Ich war das erste Kind hier", erzählt Jutta Rempe. Mit sieben Jahren zog sie mit ihrer Familie 1968 in das dort als erstes eröffnete Hochhaus und ist bis heute geblieben. "Mein Mann arbeitet an der Uni. Wir haben hier eine sehr gute Nachbarschaft, die Autobahn ist nah und aus unserer Wohnung haben wir eine wunderschöne Aussicht über den Wald", zählt sie Vorteile der Hustadt auf.
Schwerpunkt
Wie schön die 49-Jährige und ihr Mann dort leben, können Interessierte selbst erkunden. Am Tag der Wohnkultur (19.09.2010) führen beide Besucher durch ihre 80 Quadratmeter im obersten, dem 13. Stockwerk des höchsten Gebäudes des Quartiers. Weitere drei Mieter der ingesamt 93 Parteien im Haus werden dann ebenfalls ihre Türen öffnen. "Das ist das einzige Hochhaus, in dem der Aufzug auf der gleichen Etage hält, auf der die Wohnungen liegen", erzählt Rolf Haarmann. Deshalb plane man hier Formen des betreuten Wohnens. Das ist vor allem für die Hustädter wichtig, die bereits seit 40 Jahren in der Siedlung leben und nicht irgendwann ein Einfamilienhaus im sogenannten Speckgürtel des Quartiers gekauft haben.
Der Trabant der Bochumer Uni
Bis heute wohnen überproportional viele Lehrer und Mitarbeiter der Bochumer Universität in der Hustadt. "1968, als die ersten hierher zogen, haben sie direkt einen Mieterverband gegründet", sagt Haarmann. Der Förderverein, der wenig später entstand, besteht bis heute und ist in Deutschland nach wie vor einzigartig für eine Großraumwohnsiedlung dieser Größenordnung. "Auch der Zusammenhalt hier ist sehr schön", erzählt Homa Omaid. "Als mein Sohn einmal verschwunden war, haben mir sofort alle beim Suchen geholfen, so dass wir ihn schnell gefunden haben." Die 46-Jährige ist in dem Stadtteil gut vernetzt. Sie nimmt mit ihrer Schwester und Mutter, die ebenfalls in der Hustadt wohnen, viele Stadtteilangebote wahr: das wöchentliche Treffen der Afghanen, sowie den Frühstücks- und Kindertreff.
Gutes Nachbarschaftsleben in der Hustadt
Trotz des sehr lebendigen Nachbarschaftslebens kommt die Hustadt von ihrem Ruf als sozialer Brennpunkt nicht richtig los. "Bei uns ist vor einem Monat eingebrochen worden. Die haben die Playstation geklaut", sagt Homa Omaid. Von Überfällen kleinkrimineller Jugendbanden und Prügeleien erzählen auch andere Bewohner. Echte Angst machen die ihnen allerdings offensichtlich keine. Viele Erwachsene lachen heute darüber, wie sich andere vor ihrem Stadtteil fürchten. "Meine Schulfreunde durften mich nicht besuchen kommen. Die sagten: 'Ihr wohnt da im Ghetto'", erinnert sich Jutta Rempe. Die Management-Assistentin stört vielmehr, dass die Lädchen von früher alle verschwunden sind. "Die Dichte der sozialen Einrichtungen ist nirgends so hoch wie hier, aber an Einkaufsmöglichkeiten mangelt es", sagt auch Rolf Haarmann und deutet auf den Gemüsewagen, der gerade am Quartier entlang rollt und seine Waren dort als fliegender Händler verkauft.
Neugestaltung einer Großraumsiedlung
Zurück am Brunnenplatz erzählt der Stadtteilführer noch etwas über die bis 2015 geplante Sanierung der Hustadt. Zehn Millionen Euro wolle die EU, das Land und die Stadt in Integrationsprojekte und die Neugestaltung der Wohnblocks stecken. "Ziel ist es, die Gemeinschaft zu stärken, barrierefreie Wege zu schaffen, dunkle Ecken aufzuhellen und allgemein durch Farbe mehr Orientierung zu bieten", sagt Haarmann. Das Ganze solle bundesweit als Beispiel für eine zukunftsfähige Neugestaltung einer Großraumsiedlung gelten. Die Hustädter sind angesichts der Bauarbeiten und des Nothaushalts der Stadt allerdings skeptisch. "Der Rundgang war sehr interessant, aber was sie hier mit dem Platz machen?", fragt die 89-jährige Alice Kühle, die seit 40 Jahren exakt dort wohnt, und schüttelt verständnislos den Kopf.