Gasometer, Tetraeder, die Zeche Nordstern - auf ihren 58 Kilometern bietet die A42 geballte Industriekultur am Wegesrand. Von Kamp-Lintfort nach Castrop-Rauxel verläuft die Autobahn quer durchs Ruhrgebiet und den Emscher Landschaftspark. Die Idee: Die Autobahn in den Landschaftspark einbinden, einen "Freeway der urbanen Kulturlandschaft" erschaffen, eine "Parkautobahn" gestalten.
"Die Autobahn ist Teil der Landschaft und nicht nur dazu da, um von A nach B zu kommen." Mit leuchtend roter Warnweste bekleidet, schaut sich Landschaftsarchitekt Harald Fritz von der "Planergruppe Oberhausen" die neu gepflanzten Baumreihen am Kreuz Castrop-Rauxel an. Zusammen mit Hans-Peter Rohler, einem Landschaftsarchitekten aus Kassel, hat Fritz das Konzept zur Parkautobahn A42 entworfen. Ihr Ziel: Einen Kontext zwischen Straße und Landschaft herzustellen und die Autobahn als Teil des Emscher Landschaftsparks neu zu erschaffen. Dafür braucht es Transparenz am Wegesrand. Die täglich 80.000 Autofahrer sollen nicht mehr auf Straßenbegleitgrün, sondern auf die Kultur am Streckenrand schauen.
Schwerpunkt
Industriekultur gegen Sekundenschlaf
Pünktlich zur Kulturhauptstadtjahr 2010 wurden Sichtfenster und Infotankstellen entworfen und die "grüne Wurst" gerodet. Weiter sollen alle 500 Meter insgesamt 1.000 Mammutbäume gepflanzt werden. Der Blick ist nun frei auf die Nationale Kohlereserve, auf das Castroper Rathaus oder das alte Schalke Stadion - zu viel ablenkende Umgebung für die Autofahrer? Keinesfalls, die neue Gestaltung verspreche sogar mehr Sicherheit, erklärt Fritz. "Früher musste die Autobahn mit grünen Scheuklappen versehen werden. Der Autofahrer sollte nur auf seinen Vorfahrer gucken." Nun habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden, der Fahrer soll bewusst Reizen ausgesetzt werden. Eintönigkeit macht müde, wechselnde Umgebung aufmerksam.
Eine Autobahn soll sich in ein Objekt der Kunst verwandeln - das Projekt Parkautobahn ist ambitioniert und aufwendig. Für die Neugestaltung der A42 wurde extra eine "Arbeitsgemeinschaft Parkautobahn" gegründet, bestehend aus den Anrainerstädten, dem Regionalverband Ruhr, der Emschergenossenschaft, der Landesinitiative Stadtbaukultur NRW, der Ruhr 2010 und Straßen NRW. Viele Beteiligte, die sich mit unterschiedlich viel Geld an der Strecke beteiligen. Mit insgesamt 41 Millionen Euro planten die Büros noch in ihrer Machbarkeitsstudie 2008.
Die Kritik: Steuergeldverschwendung für Prestigeobjekt
Nun soll es um einiges günstiger werden, auch weil Ideen aus der Machbarkeitsstudie nicht umgesetzt werden. So wird erst einmal nur einer der fünf geplanten "Ohrenparks" gestaltet. Gemeint sind die Kreuze entlang der Strecke, die aus der Vogelperspektive betrachtet wie riesige Ohrmuscheln aussehen. Diese Asphalt-Ohren sollen zu grünen Ohren werden, indem in der Mitte von Kurven Bäume gepflanzt werden. Städte wie Essen oder Dortmund weigerten sich allerdings, die Umgestaltung ihrer Kreuze mitzufinanzieren. Sparen empfiehlt auch Andrea Defeld vom Bund der Steuerzahler NRW. Sie spricht von "einem Prestigeobjekt, das die klammen Kommunen mitfinanzieren sollen." Auch seien die Folgekosten, die für die Pflege der Anlagen entstehen würden, nicht absehbar.
Fördermittel für den Naturschutz?
Neben den Steuerzahlern sind Grüne und Naturschützer die größten Kritiker des Projekts. Die Grünen in Castrop-Rauxel verurteilen die "Massenrodungen" und beschreiben die Situation an ihrem Kreuz als "zweiten Kyrill-Sturm". "Wie aufeinander gehäufte Leichen nach einem Massensterben liegen die Bäume am Straßenrand."
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) spricht von "Disneyland-Planung" und arbeitet sich schon monatelang an dem Projekt ab. Ende November stieg der BUND aus den Planungsteam aus, Bedenken seien nicht gehört worden, hieß es zur Begründung. "Wir wollten nicht als Feigenblatt missbraucht werden", erklärt Horst Meister aus dem Landesvorstand. Das Projekt sei aus Umweltgesichtspunkten stümperhaft geplant. "Die Massenrodungen führen zu einer höheren Feinstaub- und Lärmbelastung für die Anwohner." Auch die frisch gepflanzten Mammutbäume seien ökologisch wenig nützlich und hier nicht heimisch. Zudem seien Finanzmittel aus dem "Ökologieprogramm Emscher Lippe", kurz ÖPEL, geflossen. Diese seien doch eigentlich für den Naturschutz gedacht, fasst Meister die Kritik seines Verbandes zusammen.
Grüne Fläche statt braunes Gehölz
Die Planer bestätigen: Die Einfahrten in die Parkautobahn, also die Kreuze Kamp-Lintfort und Castrop-Rauxel werden, nachdem die Kommunen sich weigerten den Eigenanteil aufzubringen, zu 100 Prozent aus ÖPEL-Mitteln bezahlt. Aber das ÖPEL-Programm sei ein Wirtschaftsförderungsprogramm für den Emscher Landschaftspark und nicht gebunden an Naturschutzmaßnahmen.
Auch die anderen Einwände versuchen die Planer zu entkräften. "Die Bepflanzung an der A42 ist 40 Jahre alt und bricht in sich zusammen, dadurch ist der Verkehr gefährdet. So oder so musste an der Strecke geholzt werden", macht Fritz deutlich. Dafür, dass das Gehölz, welches vorher am Rand wucherte, den Lärm und den Feinstaub abgefangen habe, gebe es keine wissenschaftlichen Ergebnisse. Fritz: "Wichtig für den Emissionsschutz ist, dass der Feinstaub an die Pflanze kommt. Was an der Autobahn stand, war viel Gehölz und wenig Grün." Jetzt gebe es stattdessen Rasen und Mammutbäume - viel grüne Masse zum Feinstaub binden.
Kunst auf dem Weg
Die Mammuts stehen, wachsen, ergrünen langsam. In den kommenden Monaten sollen die ersten Parktankstellen an der Strecke eröffnet werden. Dort sollen Besucher Informationen über den Landschaftspark "tanken" können. Das, was geplant und später gebaut worden ist, wird dann nutz- und erlebbar. Vielleicht steigen Zuspruch und Verständnis dadurch so sehr, dass auch die anderen Ohrenparks angelegt werden. Rohler und Fritz haben einen langen Atem. Die Umgestaltung der A42 sei ein kontinuierlicher Prozess, der auf Jahrzehnte angelegt sei. Rohlers Ausblick: "Die Parkautobahn ist nie fertig. Sie ist so unfertig, wie ein Park nun mal ist."