Da liegt sie also - die Emscher - eingezwängt in ihr künstliches Korsett zwischen zwei spärlich begrünten Deichen. Ihre Farbe ist immer noch schmuddelig grau und wenn der Wind ungünstig steht, hat man den Brackwassergeruch sogleich in der Nase. Die Emscher ist hier zwischen Castrop-Rauxel und Oberhausen kein Fluss, sondern offener Abwasserkanal - noch. Der Hauptabwassersammler des Reviers wird seit den 1990er Jahren Stück für Stück renaturiert.
Vom Hinterhof zum Vorgarten
Mit dem Emscherumbau wird jetzt auch die 34 Kilometer lange "Emscherinsel" umgestaltet. Als man den Rhein-Herne-Kanal als künstliche Wasserstraße anlegte und die nahe Emscher parallel dazu in ein begradigtes Abwasserbecken zwang, blieb dazwischen ein Streifen Brachland liegen. Diese Insel war lange Zeit mit Stacheldraht umzogen. Betreten war strengstens verboten, denn an den glitschigen Kanten des Emscherbeckens aus Beton drohte Lebensgefahr. 40 Künstler haben das vernachlässigte Stück Land zwischen Oberhausen und Castrop-Rauxel jetzt mit ihren Werken bestückt. Emscherkunst heißt dieses größte Kunstprojekt der Kulturhauptstadt. Der unbekannte Flussraum, an dem sich einst nur Müll sammelte, wird zum öffentlichen Kunstraum und Naherholungsgebiet. "Vom Hinterhof des Reviers zum Vorgarten der Region" heißt es.
Schwerpunkt
Wasser- Klosett mit Aussicht
Den neuen Kunstraum kann man am besten mit dem Rad bereisen. Drei feste Leihstationen gibt es bereits: am Nordsternpark in Gelsenkirchen, im Kaisergarten Oberhausen und am Museum "Strom und Leben" in Recklinghausen. Und wer dann auf den bereits ausgebauten Rad- und Wanderwegen radelt, könnte auf die schwebenden Toilettenhäuschen der slowenischen Künstlerin Marjetica Potrc stoßen. "Between the Water" heißt das Projekt, das auf 80 Metern zwischen Rhein-Herne-Kanal und Emscher thront.
Vom Brackwasser zum Nutzgarten
Vom Himmels-Klo hoch über dem Brackwasser geht es über eine luftige Brücke Richtung Kanal, vorbei an einer Pumpe, einem Wassertank und schließlich hinein in einen Garten am Ufer der Schifffahrtsstraße. Mit einer Pflanzenkläranlage reinigt die Anlage verdrecktes Wasser und soll so die Kraft der Natur symbolisieren, sich selbst zu erneuern. Der Nutzgarten besteht aus erdigen Hochbeeten. Anwohner und Angler sollen ihn bald beackern.
Kohlebunker und Käsestange
Wer von hier aus weiterradelt, kann gleich hinter der nächsten Kanalbrücke einen Obelisk ausmachen. Eine Skulptur aus Kohlefaser. Hightechmaterial als Symbol des Fortschritts, so will es die Künstlerin verstanden wissen. In der Ferne ist schwach ein alter Kohlebunker zu erkennen. Auch dieses letzte Stück Industriearchitektur auf der Insel ist jetzt ein Kunstwerk. Das Abschlussgitter der Bauruine ist nun vergoldet - als Erinnerung ans "Schwarze Gold". Am anderen Ende der Insel wiederum machten Landschaftsarchitekten aus einer stillgelegten Kläranlage begehbare Gärten mit Lichtobjekten. Kunst verziert nun Schleusen oder ragt aus dem Wasser, wie die gelbe Skulptur am "Herner Meer", der man schon den Spitznamen "Käsestange" verpasste.
Kunstkasten zum Mieten
Kunst, nicht zur zum Gucken und Nachdenken, sondern auch zum Wohnen, gibt es übrigens auch. So hat eine Gruppe niederländischer Künstler und Architekten mitten in die Landschaft eine hölzerne Brücke mit andockenden Zimmern gebaut. Hier gibt es Küche, Schlafzimmer und Bad und wer will kann den Kunstkasten für 24 Stunden mieten. Einzige Voraussetzung: Am Tag dürfen die Urlauber den Besuchern den Eintritt nicht verwehren.
Pionier im Abfallraum
Das bewohnbare Kunstobjekt hört auf den Namen "Warten auf den Fluss" - und das ist durchaus ernst zu nehmen. Wenn nämlich 2020 die Emscher und ihre Nebenbäche komplett renaturiert sind, könnte es sein, dass der neu gestaltete Fluss tatsächlich wieder unter dieser Brücke mäandert. Er fühle sich, wie ein "Pionier im Abfallraum", sagt Andre Dekker, mitverantwortlicher Künstler für dieses Projekt. Und auch Karl-Heinz Petzinka, künstlerischer Direktor der Ruhr 2010, hat bereits eine Vision: "Die Köttelbecke ist weg, jetzt haben wir Auenerwartung."