Carola Hommerich lebt in Tokio und arbeitet dort als Wissenschaftlerin für das "Deutsche Institut für Japanstudien", das von einer Bonner Stiftung finanziert wird. Sie hat in den letzten Jahren zum Thema "Glück und Unglück in Japan" geforscht.
Nach Erdbeben, Tsunami und der nuklearen Katastrophe in Fukushima hat sie am Montag (14.03.2011) das Land verlassen. Zurück blieben ihr Lebensgefährte, ihre Freunde und ihre Arbeit. Von ihrem Elternhaus in Bergisch Gladbach aus verfolgt sie die Geschehnisse in ihrer neuen Heimat Japan und fühlt sich ohnmächtig.
WDR.de: Sie sind seit Dienstag (15.03.2011) wieder in Deutschland. Wie geht es Ihnen?
Carola Hommerich: Ich bin einerseits froh, dass ich im sicheren Deutschland bin, bei meiner Familie, meine Eltern, meiner Schwester und meinen kleinen Neffen. Aber mir geht es nicht so gut, weil mein Freund Takeshi noch in Japan ist und natürlich viele Freunde und eigentlich mein ganzes Leben.
WDR.de: Wie ist Ihre Erinnerung an den Tag des Erdbebens, war Ihnen das Ausmaß direkt bewusst?
Hommerich: Nein, ich habe ganz normal gearbeitet. Es hat zwar in Tokio mehr gewackelt als bisher, aber wir sind von einem der üblichen Erdbeben ausgegangen. Nach dem Beben sind wir alle rausgegangen. Einige von uns hatten Schutzhelme auf und den Notfallrucksack. Aber letztlich schien alles nicht so schlimm. Ich habe mich dann mit dem Taxi auf den Heimweg gemacht, doch das dauerte sehr lange. Die letzten Kilometer bin ich zu Fuß gelaufen. Auch das war nicht einfach, weil sehr viele Menschen unterwegs waren, man kam sehr langsam voran. Vom Tsunami habe ich aber erst zu Hause erfahren. Man hatte ja erst einmal kein Handynetz und damit auch keine Informationen. Mein Vater hat mich von Deutschland aus eigentlich erst informiert. Vor allem hat er mich gewarnt. Er sagte mir, bevor ich den Fernseher angeschaltet habe, dass ich mich auf sehr heftige Bilder einstellen solle.
WDR.de: Wie ging es dann weiter?
Hommerich: Ich lebe mit meinem Freund, einem Musiker, in Tokio. Er hat derzeit Konzertphase und ist viel unterwegs. Takeshi hätte am Tag nach dem Beben in Sendai ein Konzert gehabt. Am Freitag, am Tag des Bebens, war er in Utsunomiya gut 150 km nördlich von Tokyo. Er musste eine Nacht in einem Hotel ohne Strom bei ständigen Nachbeben übernachten. Am Samstag konnten er und die Band dann zum Glück nach Tokio zurückfahren. Natürlich haben wir uns erst erkundigt, dass es allen unseren Freunden und Bekannten sowie der Familie von Takeshi gut geht. Glücklicherweise haben wir durch das Erdbeben und den Tsunami niemanden verloren. Wir haben uns beraten, wie es weitergeht. Fest stand aber zunächst, dass wir in Japan bleiben.
WDR.de: Wieso sind Sie dann später abgereist?
Hommerich: Ich arbeite für ein deutsches Institut, das uns am Sonntag aufgefordert hat, über eine Rückkehr nach Deutschland nachzudenken. Da meine Familie in Deutschland auch darauf gedrängt hat, habe ich mich entschieden zurück zu kommen. Vor allem die ungewisse Entwicklung in Fukushima und die Gefahr der Radioaktivität haben da eine große Rolle gespielt. Meine Eltern und meine Schwester waren voller Sorge.
WDR.de: Wie war es, das Land zu verlassen?
Hommerich: Wir sind zunächst nach Kyoto gefahren, um die Lage zu beobachten. Als es nur schlimmer wurde, habe zumindest ich schon einmal einen Flug für Montagabend von Osaka aus gebucht. Mein Freund und ich haben uns einen kleinen Koffer geteilt und mit dem halb leeren kleinen Koffer bin ich jetzt weiter gereist. Die Leute am Flughafen waren sehr diszipliniert. Alles hat ganz gut geklappt, aber es waren viele Europäer und Ausländer, die mit mir ausgereist sind. Das Schlimmste war in den Flieger zu steigen und zu wissen, dass man 13 Stunden lang keine Informationen bekommen kann.
WDR.de: Sie sind Forscherin und haben sich sehr mit dem Thema "Glück und Unglück in Japan" auseinandergesetzt. Beobachter waren vor allem von der gefassten Reaktion der Betroffenen überrascht. Es herrschte kaum Panik und immer Zuversicht. Hat sich das in den vergangenen Tagen geändert?
Hommerich: Ich habe vor allem zu dem Thema geforscht, wie die Wirtschaftskrise die japanische Gesellschaft verändert hat. Die Solidarität vor allem mit Menschen, die keinen Job mehr haben oder in Schwierigkeiten steckten, ist in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen. Sie fühlen sich ausgegrenzt. In den Notsituationen der letzten Tage hat sich das aber sehr verändert. Das Wir-Gefühl ist sehr stark. Man kümmert sich sehr umeinander. So stehe ich im ständigen Kontakt mit vielen Freunden vor Ort. Sie wollen auch zunächst bleiben. Insgesamt sind die Japaner sehr gefasst. Sie zeigen ihre Gefühle nicht gerne nach außen, das finde ich auch gut. Aber gelacht hat niemand mehr, alle haben mittlerweile Angst.
WDR.de: Wie wird es für Sie weitergehen?
Hommerich: Ich weiß noch gar nichts. Ich muss jetzt erst einmal viel regeln und versuche mit meinem Freund in Kontakt zu bleiben. Natürlich erkundige ich mich auch nach meinen vielen Freunden in Tokio und verfolge die dramatische Entwicklung. Vorsorglich habe ich mit meinen Eltern ein Ticket für meinen Lebensgefährten gekauft. Er ist gerade in Hiroshima und soll dort am Sonntag ein Konzert geben. Falls das abgesagt wird, könnte es sein, dass er hierher zu uns kommt.
WDR.de: Aber Sie wollen zurück nach Tokio?
Hommerich: Natürlich gehe ich zurück, so schnell wie möglich. Das sind mein Wille und meine Hoffnung - jetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in Tokio nicht mehr leben kann. Ich weiß gar nicht, wo diese vielen Menschen hinsollten. Es ist unvorstellbar, dass sie flüchten müssten. Das gäbe dann wahrscheinlich schon eine Panik. Aber so weit will ich gar nicht denken. Ich hoffe einfach, dass es nicht so schlimm wird. Ich mag Japan, es ist meine Heimat geworden und dort liegt meine Zukunft.
Das Interview führte Marion Linnenbrink.