Jürgen Rüttgers ist spät dran, am Tag seines Abschieds als Landesparteichef. Erst kurz vor zehn Uhr, um zehn Uhr soll es eigentlich losgehen, kommt er mit seiner Frau Angelika in das World Conference Center in Bonn. Und so richtig bekommt das keiner mit, außer den Garderoben-Frauen, denen er zur Begrüßung die Hand gibt, und den Leuten, die an einem Stand Äpfel verteilen und ihn dann doch zu einem gemeinsamen Foto überreden. Norbert Röttgen ist zu diesem Zeitpunkt schon seit 20 Minuten mit Ehefrau Ebba in den ehemaligen Plenarsaal des Deutschen Bundestages und schüttelt fleißig Hände. Demonstrativ begrüßt er für die zahlreichen Kameras seinen künftigen Wunsch-Generalsekretär Oliver Wittke.
Anhaltender, höflicher Applaus für Rüttgers
Es ist Röttgens Tag. Rüttgers bleibt an diesem Samstag nur noch, Adieu zu sagen. Er redet von "schwierigen Zeiten", jeder im Saal wisse ja, was gemeint ist. Konkret wird er nicht, spricht die Querelen, die Affären der letzten Monate nicht an, macht nur die Wahlschlappe im Mai kurz zum Thema ("Wir haben unser Ziel nicht erreicht.") und sagt: "Ich weiß auch, dass ich nicht jedem gerecht geworden bin, aber ich habe mich bemüht." Dann zählt Rüttgers lieber noch einmal die Erfolge seiner schwarz-gelben Regierung auf, spricht über die christlichen Werte in der Politik.
Die Partei dankt ihm nach fast 12 Jahren Landesvorsitz mit einem Film. Darin sind seine großen Momente zu sehen, natürlich auch seine Wahl zum Landeschef 1999, der Wahlsieg 2005 nach 39 Jahren SPD-Vorherrschaft, sein Triumph, den auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und sein Nachfolger Röttgen später nochmals hervorheben. Die 650 Delegierten verabschieden ihren Parteichef mit anhaltendem, höflichen Applaus. Es ist ein bisschen so, als ob sie das Kapitel Rüttgers schnell schließen wollen - um das neue aufzuschlagen.
Krautscheid: "Provinz ernst nehmen."
Doch bevor es dazukommt, ist es Rüttgers' Generalsekretär Andreas Krautscheid, der die Gelegenheit für klare Worte nutzt und damit die Zerwürfnisse in der Union deutlich macht: Interne Kritik könne man jederzeit üben. Das habe er gegenüber Rüttgers getan, aber "nach außen muss die Bude dicht sein", sagt Krautscheid. Herzlicher Beifall, die Delegierten honorieren die Offenheit, viele bedauern sehr, dass Krautscheid sich - zumindest vorerst - aus der Politik zurückzieht und nun in die Wirtschaft geht. Seinem ehemaligen Freund Röttgen, heute Gegner, nachdem beide um den Bezirksvorsitz Mittelrhein kandidierten und Krautscheid verlor, wirft er vor, mit dem Landesvorsitz eigene Karriereziele zu verfolgen: "Selbst wenn die Provinz nur Durchgangsstation ist, muss man die Provinz ernst nehmen." Seinem Nachfolger Wittke und dessen Leuten ruft Krautscheid zu: "Wer den Bock zum Gärtner macht, hat nicht mehr lange Freude an seinem Garten." Es klingt recht garstig.
Röttgen: "Rot-Grün duckt sich vor Themen weg"
Röttgen lächelt die Kritik gelassen weg. Als er ans Rednerpult geht, sitzt Rüttgers schon mit verschränkten Armen neben Norbert Blüm, ebenfalls ehemaliger NRW-Parteichef, und hört mit stoischer Miene zu. Röttgen beginnt mit der Mitgliederbefragung. Dass mehr als 50 Prozent der NRW-Christdemokraten sich daran beteiligt haben, beweise, dass "Diskussion und Teamgeist" in der CDU wieder zusammen gehören. Geschickt bindet er Armin Laschet ein: Das, was die Mitglieder als Engagement in die Partei hineingegeben haben, dürfe nicht verloren gehen - Laschet habe bewiesen, dass er dazu bereit sei. "Ohne zu zögern" habe er zugestimmt, als Röttgens Vize zu kandidieren, zu dem ihn die Delegierten in Bonn auch wählen.
Der Bundesumweltminister gibt sich kämpferisch: Sitzen doch in dem Saal viele der Amtsträger, die seinen Konkurrenten Armin Laschet unterstützt hatten, der unterlag - die gilt es zu überzeugen. Der 45-Jährige macht nochmals deutlich, dass die CDU mehr Diskussion brauche. Vor dem politischen Gegner müsse die Partei keine Angst haben. Die CDU stelle sich den zentralen Herausforderungen wie Integration und Energiepolitik, ganz im Gegensatz zu Rot-Grün: "Die ducken sich vor den Themen weg", ruft Röttgen. SPD und Grüne ginge es bei ihrer Schulpolitik, der Einführung der Gemeinschaftsschule, nur um Ideologie, die Kinder würden gleichgemacht werden: "Wir kämpfen für ein vielfältiges Schulsystem, das jedem einzelnen Kind gerecht wird." Die CDU müsse wieder die Regierung in Düsseldorf übernehmen und endet: "Wir sollten uns an die Arbeit machen". Die Delegierten danken Röttgen mit langem, lautstarkem Applaus - und satten 92,5 Prozent Wahlergebnis.
Raunen bei Wittkes Vorstellung
Wittke hat es schwerer. Der frühere NRW-Verkehrsminister und neue Generalsekretär bekommt nur mäßige 70,3 Prozent. Ein Zeichen, dass die Partei nicht so geeint ist, wie es Röttgen gerne hätte, der viel von "Geschlossenheit" und "Wir zusammen" spricht. Nicht alle stehen hinter seinem Wunschkandidat Wittke, der in der Vergangenheit durch den einen oder anderen Spruch, die ein oder andere Eskapade auffiel. Bei seiner Vorstellungsrede sorgt Wittke dann auch für langes Raunen im Saal. Als er klar machen will, dass der Staat nicht mehr alle Aufgaben übernehmen könne, sondern der Bürger auch selbst anpacken müsse, ruft er: "Warum wird selbst in der kleinsten Anliegerstraße in vielen Großstädten die Straßenreinigung von der Stadt organisiert? Warum können die Bürger nicht selbst zum Besen greifen, so wie es in vielen ländlichen Gemeinden heute schon ganz selbstverständlich ist?"
Für viele geht Wittkes Bild zu weit: "Da ist er über das Ziel hinausgeschossen", sagt ein Delegierter. Künftig müsse Wittke sich etwas mehr zurückhalten, wenn er als Generalsekretär überzeugen wolle.