Plötzlich gescheitert
Der Tag im Landtag
Stand: 14.03.2012, 19:42 Uhr
Die rot-grüne Minderheitsregierung ist am Mittwoch (14.03.2012) mit ihrem Haushalt überraschend schon in der zweiten Lesung gescheitert. Nun stehen Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen an. Im Landtag wich die Fassungslosigkeit schnell trotzigem Wahlkampfgetöse.
Von Jenna Günnewig
"Damit gilt der Landtag als aufgelöst. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend." Ein paar herzhafte Lacher kassierte Eckhard Uhlenberg für seine etwas lapidare Verabschiedung. Der Landtagspräsident war am Ende der Tagesordnung auch am Ende einer ganzen Legislaturperiode angelangt. Das Parlament in Nordrhein-Westfalen ist aufgelöst, Deutschlands einzige Minderheitsregierung gescheitert - am Haushalt für das Jahr 2012.
Kurze Stille im Parlament
"90 Ja-, 91 Nein-Stimmen", als die Landtags-Vorsitzende Carina Gödecke das Ergebnis vier Stunden zuvor verkündete, war es für einige Sekunden still im übervollen Landtag. Denn damit war der Haushalt der rot-grünen Minderheitsregierung offiziell abgelehnt. Es wird Neuwahlen geben, diese Nachricht sackte nur langsam. Keiner, weder der ausgebuffteste Politiker noch der skeptischste Journalist, hat damit an diesem Mittwoch gerechnet.
Früher Wahlkampf im Foyer
"Weiter geht's!" Sylvia Löhrmann (Grüne)
Draußen im Foyer wurde die Stille schnell vom lauten Wahlkampf-Getöse abgelöst. Vize-Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann (Grüne) ging als eine der Ersten in die Offensive: "Wir sind nicht enttäuscht über die Neuwahlen!" Eine Kamera weiter erklärte der CDU-Landeschef Norbert Röttgen die Politik der rot-grünen Regierung für gescheitert, und sich zum Spitzenkandidaten seiner Partei. Sein Ziel: Die CDU soll stärkste Partei in NRW werden. Auch Hannelore Kraft (SPD) sprach ihre Wiederwahl-Bewerbungen in dutzende Mikrofone. "Wir gehen mit Zuversicht in den Wahlkampf!"
Liberale Taktik ist nicht aufgegangen
Neuwahlen in NRW - Anfang der Woche hätte wohl jeder im Landtag darüber nur den Kopf geschüttelt. Doch am Dienstag (13.03.2012), nur einen Tag vor der zweiten Lesung des Haushalts, machte die Landtagsverwaltung die Fraktionen auf Folgendes aufmerksam: Wird auch nur ein Einzelplan in der zweiten Lesung abgelehnt, kann das zum Scheitern des kompletten Haushalts führen. Eine dritte Lesung würde damit obsolet. Bis dahin waren alle Fraktionen davon ausgegangen, dass es Verhandlungsspielräume bis zur dritten Etatlesung gebe, die war für Ende März vorgesehen.
Kurz vor zehn: Papke bekräftigt das liberale "Nein"
Die Regierung in Düsseldorf hatte bis zuletzt auf eine Enthaltung der FDP gesetzt. Die Liberalen hatten angedeutet, den Mehrheitsbeschaffer zu geben und wollten eigentlich nach der zweiten Lesung und in der kommenden Woche mit Rot-Grün noch einmal über mehr Sparpotenzial im Haushalt verhandeln. Ihnen fehlte nun die Zeit. Lange noch brannte in den Räumen der Liberalen Dienstagnacht das Licht. Am Mittwochmorgen, vor der eilig anberaumten Fraktionssitzung, rauschte FDP-Chef Gerhard Papke dann mit einem "Wir sagen nichts!" an den Kameras vorbei. Langes Warten, Spekulieren, Diskutieren vor den geschlossenen Fraktionsräumen. Eine halbe Stunde später stand der folgenschwere Entschluss: "Alle 13 FDP-Abgeordnete werden mit Nein votieren."
Das Ende aller Zockerei
Hannelore Kraft: "Ich halte nichts davon, auf Zeit zu spielen!"
Im Plenum lief trotzdem erst einmal das politische Tagesgeschäft weiter. Linkspartei und FDP ritten verbale Attacken gegen Innenminister Ralf Jäger (SPD), das Thema Neuwahlen wurde ausgeblendet. Trotzdem war die Spannung greifbar. Erst kurz vor 12 Uhr, kurz vor der entscheidenden Abstimmung, nämlich der über den ersten Einzeletat, ließ sich Hannelore Kraft auf die Rednerliste setzen. "Die Entscheidung steht hier und heute an", beschwor die Ministerpräsidentin die Abgeordneten. Es sei keine Zeit mehr für taktische Spielchen. Komme der Haushalt nicht durch, werde sie die Auflösung des Landtags beantragen.
Pause und politisches Geplänkel auf den Gängen
Scheinbar unbeeindruckt und in einer namentlichen Abstimmung ließ die Opposition den rot-grünen Haushalt nur Minuten später durchfallen. Daraufhin wurde die laufende Sitzung abgebrochen, und eine neue zur Auflösung des Landtags angesetzt. Zunächst um 15 Uhr, dann wurde auf 16 Uhr verschoben - und wegen Beratungsbedarf der CDU noch mal auf 17 Uhr. Genug Zeit, für politisches Geplänkel auf den Gängen: "Mir ist nicht bange um den Wiedereinzug in den Landtag", betonte zum Beispiel Papke (FDP). Sein Parteikollege - und wahrscheinlicher Spitzenkandidat - Daniel Bahr schob derweil in einem Fernsehinterview mit dem WDR den schwarzen Peter den Grünen zu: "Die wollten die Neuwahlen - und die SPD hat sich nicht durchgesetzt."
Wo die Presse schon mal da ist - vorgezogener Wahlkampf der CDU
Grünen-Chefin Löhrmann scheint in der Tat große Lust auf Neuwahlen zu haben: "Wir kämpfen im Wahlkampf um unsere eigenen Prozente, wollen aber gemeinsam mit der SPD eine klare Mehrheit schaffen." Auch Hannelore Kraft setzt auf Rot-Grün. In der Pause schloss die Ministerpräsidentin die Möglichkeit einer große Koalition aus. Die CDU zeigte sich gelassen und sehr gut vorbereitet: per Lieferwagen ließ sie ein großes Wahlkampfplakat vor den Landtag fahren.
Am Ende: Einstimmig selbst aufgelöst
Um 17 Uhr dann rasselte Eckhard Uhlenberg Tagesordnungspunkt um Tagesordnungspunkt herunter. Alle 181 Abgeordneten stimmten schließlich im Sinne von Artikel 35 der Landesverfassung und lösten sich damit "durch eigenen Beschluss" auf. Als Neuwahltermine kommen der 6. oder 13. Mai in Frage. Linkspartei und FDP müssen dann um den Wiedereinzug in den Landtag fürchten. Die FDP lag in jüngsten Umfragen nur noch bei zwei Prozent, die Linkspartei pendelte zuletzt zwischen drei und fünf Prozent.
20 Monate Ministerpräsidentin - Hannelore Kraft
Ungewöhnlich schnell packten die Abgeordneten am Ende ihre sieben Sachen, Bänke und Plenarsaal waren wie leer gefegt. Nur Hannelore Kraft stand noch länger mit ihrem Sprecher an der Regierungsbank. Als sie den Saal verließ, stand die Botschaft fest: "Ich bin stolz auf das, was wir in diesen 20 Monaten geschaffen haben. Unsere Bilanz kann sich sehen lassen." Jetzt ist Wahlkampf-Zeit in NRW.