Wissenschaftsministerin lehnt Rücktritt ab
Svenja Schulze wehrt sich
Stand: 28.04.2011, 20:29 Uhr
Nach dem Informationschaos um Atom-Kugeln aus Jülich sieht Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) keinerlei Anlass für einen Rücktritt. Vorwürfe der Opposition, sie habe das Thema politisch instrumentalisiert, seien "infam".
Von Christina Hebel
In Düsseldorf werden derzeit viele behördeninterne Dokumente gewälzt. Am Dienstag war es die CDU, die ein Paket an Papieren veröffentlichte. Am Donnerstag (28.04.2011) ist es die Wissenschaftsministerin Svenja Schulze, die nachlegt. Sie legt rund 100 Seiten offen, den - nach eigenen Angaben - kompletten Schriftwechsel zwischen ihrem Haus, dem Bundesforschungsministerium und dem Forschungszentrum in Jülich zum Thema Atomkugeln. Sie entscheidet sich damit für die Flucht nach vorne.
Es ist ihr erster Tag nach dem Osterurlaub. Es war kein schöner Urlaub - FDP und CDU fordern ihren Rücktritt. "Schummel-Schulze" nennt sie die Opposition gern bei jeder Gelegenheit. Christdemokraten und Liberale glauben, Schulze habe wider besseres Wissen die Kleine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Hans Christian Markert falsch beantwortet. Der wollte Ende Februar wissen, wo der Atomkugel-Müll aus dem Forschungszentrum Jülich verblieben sei. Was folgte, war ein Informations-Wirrwarr, das mittlerweile zu einer ausgewachsenen Affäre für die rot-grüne Regierung - vor allem für die Ministerin selbst - geworden ist.
"Infam und verleumderisch"
Wie könne es sein, dass es noch am 10. März 2011 einen Antwortentwurf gebe, wo alle Brennelemente-Kugeln aufgeführt sind und dann am 22. März 2011 - nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima - alles plötzlich anders klingt, fragen die Kritiker. Der Verbleib von 2.285 Atom-Kugeln sei nicht sicher nachzuweisen, möglicherweise sei davon einiges in der Asse gelagert, heißt es in der endgültigen Antwort der Ministerin. Kurz: Die Ministerin habe die Anfrage genutzt, um zusammen mit den Grünen nach dem Unglück in Japan Stimmung gegen Atomenergie zu machen. Dies weist Schulze am Donnerstag (28.04.2011), sonst immer lächelnd, ernst und energisch auf der eigens angesetzten Pressekonferenz als "infam und verleumderisch" zurück. Sie sehe "keinerlei Anlass" für ihren Rücktritt, versichert sie.
Schulze: Zahlen aus Jülich nicht eindeutig und unzweifelhaft
Ihr Haus habe eine andere Antwort veröffentlicht, als von Jülich am 10 März 2011 vorgeschlagen. Das Forschungszentrum habe trotz mehrmaliger Nachfrage per E-Mail und Telefon "keine eindeutige und unzweifelhafte Bilanz" der Brennelemente-Kugeln vorlegen können. Dem Mitarbeiter des zuständigen Fachreferat sei das "zu heiß" gewesen. Er habe entschieden, nur das in die Antwort zu schreiben, "was tatsächlich gesichert ist". Deswegen sei auf die "Restgröße von 2.285 Kugeln, die nicht zweifelsfrei nachvollziehbar war", hingewiesen worden. Sie habe erst die Endfassung der Antwort vorgelegt bekommen, so Schulze. Einen Zusammenhang zwischen der Atomkatastrophe in Fukushima und der abschließenden Antwort auf die Kleine Anfrage gebe es nicht.
"In eigener Verantwortung" geändert
Verantwortung übernimmt ein anderer - ein anonymisierter Ministerialrat aus dem Fachreferat. Er sei bereit gewesen, seine Erinnerungen von Telefonaten am 10. und 11. März 2011 mit dem CDU-geführten Bundesforschungsministerium aufzuschreiben, sagt Schulze. In einer "dienstlichen Erklärung" vom 27. April 2011, also einen Tag vor der Pressekonferenz, erklärt er: "Die Angaben des Forschungszentrums waren widersprüchlich". Selbst das Bundesforschungsministerium habe "in Telefonaten davon abgeraten", die Anfrage auf Basis von Zahlen zu beantworten, die Jülich lediglich rückgerechnet habe. In Berlin sei nicht ausgeschlossen worden, dass Kugeln in "halb Europa verteilt" seien. Vor diesem Hintergrund habe der Mitarbeiter die Antwortversion am Vormittag des 11. März 2011 "in eigener Verantwortung geändert". Die Störfallmeldungen in Fukushima seien ihm zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen.
Dürre Antwort aus Berlin
Dies ist das wichtigste Dokument für Schulzes Verteidigung. Es lässt sich schwer nachweisen, dass es so nicht war. In Berlin braucht man beim Bundesforschungsministerium lange für eine Stellungnahme. Nach mehrmaligen Nachfragen teilt das Bundesforschungsministerium schriftlich mit, dass es zu "Telefongesprächvermerken, die erst eineinhalb Monate später verfasst wurden" keine Stellungnahmen abgebe. "Das Forschungszentrum Jülich hat der Landesregierung alle erbetenen Informationen zur Verfügung gestellt und wird dies auch künftig tun", heißt es weiter. Die Pressekonferenz der Ministerin Schulze sei "ein Ablenkungsmanöver der Landesregierung". Eine dürre Erklärung. Noch in der vergangenen Woche schrieb die Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen in einer Antwort (21. April 2011): Aus Sicht der Bundesregierung sei die Kleine Anfrage mit dem Antwortentwurf aus dem Landesministerium vom 10. März, also mit den Jülicher Zahlen, "zutreffend beantwortet" gewesen.
Eindruck erweckt, dass Atommüll fehlt
In der Landesregierung hofft man nun, dass sich die Aufregung um die Atom-Kugel-Affäre legen wird. Allerdings muss sich Schulze nach wie vor fragen lassen, warum sie öffentlich den Eindruck erweckt hat, dass Atommüll aus dem ehemaligen Forschungsreaktor Jülich vermisst oder womöglich illegal eingelagert worden sei. Denn in Pressemitteilungen hatte sie Anfang April "lückenlose Aufklärung" über den genauen Verbleib der gefährlichen Atom-Kugeln gefordert. Und das obwohl, wie sie selbst mittlerweile beteuert, der Brennstoff aus Jülich "grammgenau" dokumentiert und nachweisbar ist. Warum sie dies in der Antwort auf die Anfrage so nicht klargestellt habe? "Wir wurden nach Kugeln gefragt, wir haben versucht, in Kugeln zu antworten", so Schulzes immer gleich lautende Antwort. Sie will nicht noch mehr Angriffsfläche bieten.
CDU: "Kein Befreiungsschlag"
Der Opposition reichen Schulzes Erklärungen nicht. Lutz Lienenkämper, Fraktions-Vize sagt nach Pressekonferenz: "Das war kein Befreiungsschlag." Es gebe nun noch mehr Fragen als Antworten. Es sei alles andere als nachvollziehbar, dass ein Ministeriums-Mitarbeiter nach einem telefonischen Rat eines Kollegen aus Berlin seine Antwortversion abändere und sie danach mit niemanden mehr abstimme. "Da ist doch lebensfremd. Es muss doch von solch wichtigen Telefongesprächen Vermerke in den Akten geben", so Lienenkämper. In einer Sonder-Hauptausschuss-Sitzung des Landtags will die Opposition in der kommenden Woche nach der Rolle der Staatskanzlei in der Atom-Kugel-Affäre fragen. Sie hatte die Antwort freigegeben. Und auch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss schließt die CDU - offiziell zumindest - nicht aus.