Ägypter aus dem Rheinland
Angst um die Verwandten in Kairo
Stand: 31.01.2011, 07:35 Uhr
Voller Sorge verfolgen Ägypter in NRW die chaotischen Zustände in Kairo und anderen Städten ihrer Heimat. Per Telefon versuchen sie den Kontakt zu Freunden und Verwandten aufrecht zu halten - oft erfolglos.
Von Andreas Poulakos
Auf den ersten Blick unterscheidet sich die kleine Versammlung am Sonntagabend (30.01.2011) im Düsseldorfer Café Muckefuck nicht von einem ganz gewöhnlichen Kaffeekränzchen: Etwa ein Dutzend meist älterer Männer und Frauen sitzen beisammen und diskutieren bei Kaffee und Kuchen das Weltgeschehen. Aber die Stimmung am Tisch ist alles andere als entspannt und ausgelassen: "Es wird stündlich schlimmer", sagt Ibrahim Adam, der seit Tagen die Berichterstattung internationaler Medien zur Lage in Ägypten verfolgt.
Am Donnerstag wolle er eigentlich nach Hurghada reisen und nach der Familie sehen, erzählt der Diplom-Ingenieur aus Wesseling, der ebenso wie die anderen Anwesenden Mitglied eines deutsch-ägyptischen Kulturvereins aus dem Rheinland ist. "Aber ob mein Flug wirklich stattfindet, das muss sich erst zeigen."
Im Augenblick sei in Hurghada, einem der größten Tourismuszentren des Landes, noch alles ruhig. "Es gab nur ein paar Demonstranten, die sich vor dem Rathaus friedlich versammelt haben", sagt Adam. Das habe er am Telefon von seinen Verwandten erfahren - als für kurze Zeit die Telefonleitungen funktionierten. "Ganz klar. Da gibt es nicht so viel Armut wie anderswo."
"Die Plünderer sind überall"
So beruhigende Nachrichten hat Abdel Nasser Zaky nicht mitgebracht. Erst nach vielen erfolglosen Versuchen habe er gestern seine Eltern in einem Vorort von Kairo erreicht. "Die Plünderer sind überall", sagt der Maschinenbautechniker aus Erkrath, der seit 1997 in Deutschland lebt. Die jungen Leute aus der Nachbarschaft hätten eine Art Bürgerwehr gegründet und verteidigten gemeinsam ihr Wohnviertel. Auf die Polizei könne man nicht zählen. "Die hat sich schon seit Tagen nicht mehr sehen lassen." Fast alle Anwesenden, die ebenfalls Verwandtschaft in Kairo haben, berichten von ähnlichen Zuständen. Dass die Plünderer bei ihren Beutezügen offenbar organisiert vorgehen und angeblich sogar mit schweren Maschinengewehren bewaffnet sind, sorgt hier für einiges Misstrauen.
"Das könnte von Mubaraks Geheimpolizei so eingefädelt worden sein, um die Bevölkerung zu verunsichern und sie daran zu hindern, sich den Protesten anzuschließen", vermutet Mahmoud Farouk und erntet viel Zustimmung. Auch in Ägypten sei dieses Gerücht weit verbreitet. "Ich mache mir vor allem Sorgen um meine Schwester und ihre zwei Kinder", sagt Zaky. "Ihr Mann arbeitet im Ausland. Zurzeit passt mein jüngster Bruder auf die Familie auf, aber das kann kein Dauerzustand sein."
"Mit Mubarak gibt es keine Demokratie"
Was die Proteste gegen die Regierung Mubarak betrifft, sind sich im Grundsatz alle einig: Die Demonstranten kämpfen für eine gerechte Sache. "Mit Mubarak gibt es keine Demokratie", sagt der Aachener Student Nade Hassan, mit 32 Jahren der Jüngste in der Runde. "Es gibt viel zu viel Vetternwirtschaft und Korruption. Die jungen Leute haben einfach keine Chance." Doch ein Neuanfang ist schwierig: "Die einzig gut organisierte Oppositionspartei ist die Muslimbrüderschaft. Und Gnade uns Gott, wenn die an die Macht kommen", sagt Nabil El-Belbesi aus Monheim. Der Grund für den Aufstand sei wohl mehr die ungerechte Verteilung des Wohlstands als alles andere. Und allein eine neue Regierung werde kaum etwas an diesem Zustand ändern. Alles komme jetzt darauf an, auf welcher Seite die Armee stehe. Noch sei man in Ägypten überzeugt, dass sich die Soldaten und Offiziere nicht gegen das eigene Volk stellen werden. Aber ganz sicher könne man sich da nie sein.
Zweifel an einer Demokratie westlicher Prägung
"Für eine Demokratie westlicher Prägung braucht Ägypten Rahmenbedingungen", sagt Ibrahim Adam, bevor er sich wieder auf den Heimweg macht. "Das ist vor allem eine stabile Wirtschaft und Bildung." Beides sei derzeit nicht ausreichend vorhanden. Wohin ihr Land in den kommenden Tagen und Wochen steuern wird, das weiß hier in Düsseldorf keiner. Nur eines ist sicher: Die Sorgen um ihre Angehörigen und um ihr Heimatland werden noch lange Zeit ihr ständiger Begleiter sein.