Drei Kliniken in NRW bieten spezielle Betreuung für Muslime
Reha mit Gebetsteppich
Stand: 17.05.2006, 18:51 Uhr
An eine Hüft-Operation sollte sich in vielen Fällen eine Reha-Therapie anschließen. Aber was ist, wenn sich die Gebetszeiten mit der Wassergymnastik überschneiden und der Patient seinen Therapeuten nicht versteht? Drei Kliniken in Ostwestfalen haben sich auf die Bedürfnisse von Muslimen eingestellt.
Von Katrin Heine
"Für manche meiner Patienten ist der Klinikaufenthalt wie eine Auslandsreise mit fremder Sprache und fremder Kultur", erklärt Dr. Mustafa Yücel, der zusammen mit der Weserbergland-Klinik in Höxter das so genannte ethno-medizinische Projekt entwickelt hat. Es richtet sich an türkischstämmige Patienten, die nach einem Schlaganfall oder einer Gelenk-Operation oft auf einen Reha-Behandlung verzichten, weil der Klinikalltag ihre kulturellen Bedürfnisse nicht berücksichtigt. "Wir haben uns überlegt: Entweder wir gehen auf die Menschen ein und können so auch neue Patienten gewinnen oder der gewünschte Therapieerfolg bleibt aus", erklärt Wilhelm Volkert, Geschäftsführer der Weserbergland-Klinik. Jetzt gehe es vor allem darum, die Krankenkassen von dem Projekt zu überzeugen. Denn die entscheiden als Kostenträger, wer wohin zur Kur fährt und haben somit das letzte Wort darüber, ob die Patienten überhaupt in die Höxteraner Klinik überwiesen werden. Der potentielle Kundenkreis jedenfalls ist groß: Rund 590.000 der in NRW lebenden Ausländer sind Türken.
Bitte Schuhe ausziehen
Yücel, der als niedergelassener Orthopäde auch operiert, beschreibt seine Motivation so: "Nach einer OP stellt sich immer die Frage nach der optimalen Rehabilitation. Oft nehmen türkische Patienten das Angebot aus Unsicherheit gar nicht wahr oder verstehen die Therapieanweisungen nicht. Das Ergebnis - zum Beispiel ein schlecht heilendes künstliches Hüftgelenk - fällt dann auf mich zurück." Deshalb hat die Klinik mit 250 Betten für neurologische und orthopädische Rehabilitation zwei Stationen extra für Muslime eingerichtet und den Physiotherapeuten Hakan Deniz und die Pflegerin Hatice Akdemir eingestellt.
Yücel kommt abwechselnd mit seiner Frau Dr. Seyda Yücel regelmäßig in die Klinik, begleitet Chefarzt Hartmut Heinze bei der Visite und spricht mit den türkischen Patienten. "Die Behandlung ist genau die gleiche wie die meiner deutschen Patienten, und trotzdem gibt es Besonderheiten", erklärt er. So verbirgt sich hinter einer Tür jetzt ein Gebetsraum, den man nur ohne Schuhe betreten darf, und der Therapieplan überschneidet sich nicht mehr mit dem religiösen Tagesablauf der Muslime. Das Küchenteam hat gelernt, Halal-Kost zu kochen, die unter anderem auf Schweinefleisch verzichtet. Ein türkischstämmiger Sozialarbeiter hilft bei Fragen zu Gesundheits- und Arbeitsrecht und bei Formularen für Behörden und Krankenkassen.
Das Gegenteil von Integration?
Vor allem türkische Frauen profitieren von den nach Geschlechtern getrennten Stationen. "Denn Wassergymnastik zusammen mit Männern oder männliche Masseure kommen für sie nicht in Frage. Da sind sie bisher einfach nicht hingegangen", erklärt Yücel, der seit 34 Jahren in Deutschland lebt. Oft seien es vor allem Frauen, deren Deutsch sehr schlecht sei. "Sie sind ursprünglich als Gastarbeiterinnen hierher gekommen und wollten bald zurück in die Heimat. Mittlerweile haben sie hier ihre Kinder großgezogen, führen den Haushalt und versorgen jetzt die Enkel. Für Sprachunterricht fehlte die Zeit", wirbt Yücel für Verständnis.
"Manch einer wirft uns vor, wir würden das Gegenteil von Integration machen", sagt Wilhelm Volkert. "Aber wir können nicht 30 Jahre mangelnde Integration auffangen. Hier geht es doch darum, dass die Leute gesund werden." Außerdem sei die Station lediglich ein Angebot. Es gebe auch muslimische Patienten, die gar keinen Wert auf eine besondere Behandlung legten.
Therapie mit türkischen Zimmernachbarn
"Alles gut hier"
Gülseren Durlabozlu lebt seit 33 Jahren in Deutschland. Zurzeit will die Türkin nur eines: schnell wieder zurück an ihren Arbeitsplatz. Seit 27 Jahren stehe sie am Fließband, das sei "harte Arbeit", erzählt sie in gebrochenem Deutsch. Und dass sie zum ersten Mal in all den Jahren fehle. Vor einigen Monaten hat nämlich ihr Rücken schlapp gemacht. Nachdem Tabletten und Spritzen nicht mehr halfen, musste sie sich operieren lassen und macht ihre Reha-Therapie jetzt mit türkischem Fernsehprogramm und türkischen Zimmernachbarinnen. Zwar versteht die 58-Jährige besser Deutsch als sie spricht, ob sie aber ihren Therapieplan verstanden hätte, bezweifelt sie. "Ich wollte zuerst keine Reha. Ich hatte Angst vor fremden Leuten, die mich nicht verstehen. Mein Sohn hätte mir hier nicht helfen können", sagt sie, "aber nach dem Gespräch mit Dr. Yücel war ich beruhigt."
Mitarbeiter lernen Türkisch
An den Bad Oeynhausener Partnerhäusern 'Weserklinik' und 'Klinik am Park' läuft seit mehreren Jahren ein ähnliches Projekt in den Abteilungen Kardiologie, Onkologie, Orthopädie und Neurologie. "Wir bieten unseren muslimischen Patienten Fleisch von einem muslimischen Fleischer und fahren sie auf Wunsch zum Freitagsgebet in die Moschee", erzählt Geschäftsführer Stephan Dransfeld. Zwei türkischsprachige Sozialarbeiterinnen helfen bei der Verständigung. Viele deutsche Mitarbeiter sprechen zumindest ein wenig Türkisch, nachdem die Klinik Sprachkurse angeboten hat.
"Rund zehn Prozent unserer Patienten sind zurzeit Muslime. Das ist ein guter Schnitt, die Zahl ist kontinuierlich gewachsen", sagt Dransfeld. "Wir haben allerdings auch jahrelang bei den Kostenträgern Klinken geputzt und auf unser Angebot aufmerksam gemacht." Dabei sei das Problem der schlechten Heilungschancen bei Migranten mit mangelnden Sprachkenntnissen bekannt. Mit Gerüchten, die Kliniken würden jetzt "Türkenkrankenhäuser", mussten sich alle drei Häuser befassen. "Da hilft nur Transparenz, Patienten, die sich bei uns wohlfühlen und die Zeit", sagt Dransfeld.