Dass Hilbrand Gringhuis einmal Geschichte schreiben würde, hätte der Torfstecher aus dem niederländischen Emsland nie für möglich gehalten. Doch am 29. Juni 1904 stößt Gringhuis bei der Arbeit auf zwei menschliche Leichen. Dicht beieinander, die eine auf den Arm der anderen gebettet, liegen sie im Bourtanger Moor nahe des Ortes Weerdinge.
Moorleichen, die von Luftzufuhr abgeschnitten Jahrtausende überdauerten, hat man überall in Europa gefunden. Berühmt wurden der Tollund-Mann in Dänemark, der englische Lindow-Mann oder der Rote Franz, der 1900 ebenfalls im Bourtanger Moor auftauchte. Die Entdeckung des Torfstechers Gringhuis jedoch beurteilt der Archäologe Vincent van Vilsteren, Kurator des Drents Museum in Assen, als Sensation: "Es gibt eigentlich keine Moorleichen, die paarweise gefunden wurden."
Mijnheer und Mevrouw van der Veen
Damals weiß Hilbrand Gringhuis nicht, ob da vielleicht zwei Mordopfer vor ihm liegen. Zur Sicherheit ruft der Torfstecher den Weerdinger Dorfpolizisten herbei, der die Moorleichen in Augenschein nimmt. Platt gedrückt sind sie, nur wenige Zentimeter dick und elastisch, wie Hauthüllen, aus denen die Luft entwichen ist. Deshalb löst der Dorfpolizist das Transportproblem auf praktische Weise. "Der hat die Moorleichen übereinander gelegt, aufgerollt und hinten auf seinem Fahrrad mitgenommen", erzählt Vincent van Vilsteren. "Für einen Archäologen ist das natürlich schrecklich."
Aus der Zeitung erfahren Mitarbeiter des Drents-Museums, das heute weltweit die meisten Moorleichen lagert, von dem seltsamen Fund. Sie nehmen das Paar in ihre Obhut und gehen nach ersten Untersuchungen davon aus, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelt. 90 Jahren lang heißen die beiden deshalb Mijnheer und Mevrouw van der Veen – Herr und Frau aus dem Moor. Erst 1993 bringt eine paläopathologische Untersuchung ans Licht, dass beide Leichen männlichen Geschlechts sind.
Opfer eines Ritualmordes
Ob es sich um Vater und Sohn handelt, um Brüder oder Freunde, die vielleicht eine tabuisierte sexuelle Beziehung hatten, darüber kann der Archäologe van Vilsteren nur rätseln. Klar ist aber: Die "Männer von Weerdinge" lebten um Christi Geburt im von Germanen besiedelten Bourtanger Moor, damals das größte Moorgebiet Westeuropas. Es war ein unheimlicher, geheiligter Boden, "wo die Menschen versuchten, mit ihrer Götterwelt in Kontakt zu treten", erklärt van Vilsteren. Tausende wertvoller Kultgegenstände wurden als Opfergaben im Moor versenkt, um die Gunst der Götter zu erflehen.
Das wertvollste Opfer waren Menschenleben. Auch die "Männer von Weerdinge", davon ist Vincent van Vilsteren überzeugt, fielen einem Ritualmord zum Opfer. Mindestens einer von ihnen starb eines gewaltsamen Todes, wie eine Stichverletzung in der Brust beweist. Nach 2.000 Jahren im Moor hat das seltsame vertrocknete Paar nun bei gedämpftem Licht in einer Museumsvitrine in Assen seine letzte Ruhe gefunden. Dass sich noch weitere Mumien aus dem Moor zu ihnen gesellen, ist unwahrscheinlich. Seit der Torfabbau maschinell betrieben wird, landen Moorleichen eher gut geschreddert auf Blumenbeeten als konserviert im Museum.
Stand: 29.06.2014
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