Heinrich Schliemann liebt Sagen und Legenden – auch, wenn es um sein eigenes Leben geht. In seiner Autobiographie lässt der 60-Jährige seine archäologische Traumkarriere mit dem Weihnachtsfest des Jahres 1829 beginnen, als sein Vater ihm als neugierigem Knaben Ludwig Jerres' "Weltgeschichte für Kinder" schenkt.
Darin findet Schliemann Bilder des brennenden Troja. "Wenn solche Mauern einmal dagewesen sind, so können sie nicht ganz vernichtet sein, sondern sind wohl unter dem Staub und Schutt von Jahrhunderten verborgen", will der siebenjährige Heinrich damals neunmalklug verkündet haben. Und: "Vater, ich werde Troja finden!". Dabei hat Schliemann in seinem Leben zunächst ganz anderes im Sinn.
Fremde Sprachen in sechs Wochen
Geboren wird Schliemann 1822 in Neubukow und wächst im Pfarrhaus seines Vaters auf. Mit 14 Jahren fliegt er von der Schule, weil der Vater das Schulgeld nicht zahlen kann. Danach beginnt er eine Kaufmannslehre in einem kleinen Krämerladen. Um im Ausland ein neues Leben zu beginnen, versucht er völlig verarmt, 1841 nach Venezuela auszuwandern. Aber das Schiff strandet vor der holländischen Küste, weshalb Schliemann in Amsterdam eine Stelle als Kaufmannsgehilfe annimmt. Nebenbei erlernt er wie im Traum Sprachen: Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Russisch. Am Ende braucht er sechs Wochen für eine neue.
1846 geht Schliemann als Kaufmann nach Sankt Petersburg, wo er mit Baumwolle, Tee, Papier und Kriegsmaterialien handelt. Während des Goldrauschs in Amerika gründet er eine Goldgräberbank. Mit 46 Jahren zieht er sich als mehrfacher Millionär aus dem Handelsgeschäft zurück: reich, verheiratet - und unzufrieden.
Archäologische Zerstörung
Spätestens da kommt Schliemann Troja als fixe Idee wieder in den Sinn. Orientiert an Homers "Ilias", dessen Schilderungen der Stadt er für bare Münze nimmt, zieht er, verspottet von den Gelehrten seiner Zeit, in die Türkei. Zunächst findet er nichts und denkt an Abreise. Dann aber gibt ihm ein britischer Hobbyarchäologe den Tipp, auf einem Hügel nahe der Stadt Çanakkale zu graben. Dort lässt Schliemann eine 16 Meter tiefe und 40 Meter breite Schneise graben. Dabei zerstört er alles, was darüber liegt – inklusive wichtiger archäologischer Schichten.
Ende Mai 1873 stößt Schliemann tatsächlich auf einen Schatz, den er dem trojanischen König Priamos zuschreibt. Der Fund macht ihn berühmt. Später wird er die Überreste der Stadt Mykene ausgraben – und ebenfalls auf einen Goldschatz stoßen.
An Homers Troja vorbeigegraben
Aber Schliemann findet nicht das Troja, das er zu finden hoffte: Kurz vor seinem Tod erfährt er, dass sein Schatz des Priamos rund 1250 Jahre älter ist als das Troja Homers. Die vermeintliche Goldmaske des Agamemnon entpuppt sich als Bestattungsbeigabe an einen mykenischen Fürsten, der etwa 300 Jahre vor dem legendären Herrscher der Griechen starb. Schliemann stirbt am 26. Dezember 1890 in Neapel, nachdem er zuvor auf offener Straße zusammengebrochen war. Mit seiner Arbeit gilt er heute generell als Wegbereiter einer neuen Wissenschaft, der "Spatenarchäologie".
Stand: 26.12.10